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Bundeskanzler Helmut Schmidt (Deutschland/SPD) und Ehefrau Hannelore Schmidt (Deutschland/SPD) auf einem Spaziergang über ihr Grundstück Mitte der siebziger Jahre. Eingezogen waren sie hier 1961.

© imago stock&people/Sven Simon

Kein gelacktes Interieur, kein Plüschkram: So hat Helmut Schmidt in Hamburg gelebt

Das Zuhause von Helmut und Loki Schmidt dürfte vielen Babyboomern vertraut sein - auch wenn sie nie dort waren. Ein Rundgang.

Es ist der bescheidene Wohlstand der sechziger und siebziger Jahre der alten Bundesrepublik, der sich in diesem Reihendoppelhaus in Hamburg-Langenhorn über die Jahre breitgemacht hat: Ein Sammelsurium aus Trouvaillen praller – und langer – Leben, unterlegt mit Perserteppichen auf pflegeleichten Kachelfußböden hinter rotem Backstein.

Oder um es mit Peer Steinbrück zu sagen, der seit Januar 2017 Vorsitzender der 2016 errichteten Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung ist: „Die zahllosen Bücher, die Kunst an den Wänden, der Flügel in der Halle, vor allem aber die tausend kleinen Erinnerungsstücke mit einem erkennbaren Hang zum Nippes gaben dem Haus etwas Lebendiges. Kein gelacktes Interieur, aber eben auch kein Plüschkram.“

Das Zuhause von Helmut und Loki Schmidt kommt vielen Babyboomern vertraut vor, selbst wenn sie nie dort waren. Errichtet von der gewerkschaftseigenen Wohnungsbaugesellschaft Neue Heimat und bezogen kurz vor Heiligabend 1961 war man seinerzeit sehr stolz auf ein solches Reihen(-doppel-)haus. Meist ging mit dem Einzug eine Zeit der behelfsmäßigen Unterbringung nach dem Krieg und dem Verlust von Haus oder Wohnung durch den Bombenkrieg zuende.

122 Quadratmeter Wohnfläche - damit begann es

Aus dieser Zeit wusste man aber noch, was wichtig werden könnte und was man besser nicht vergessen sollte: Viele Soldaten kehrten aus der Kriegsgefangenschaft mit Holzgeschnitztem zurück, mit dem man sich die Zeit vertrieben hatte. Ungeübtere Hände hatten zum Beispiel Brieföffner vorzuweisen, Helmut Schmidt brachte es zu einem (heute noch vollzähligen) Steckschachspiel. Es hat vielleicht eine Größe von 15 mal 15 Zentimetern, die schwarzen Felder hatte Schmidt als britischer Kriegsgefangener in Belgien mit Ersatzkaffee gefärbt. Dass sich in solchen Haushalten der Kriegsteilnehmer auch eine stets funktionierende und vor allem stoßfeste Taschenlampe fand, versteht sich von selbst. Solche und weitere Einblicke gewährt ein soeben erschienenes Buch, das die Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung herausgegeben hat.

Blick in das Arbeitszimmer im Wohnhaus vom ehemaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt und seiner Ehefrau Loki in Hamburg Langenhorn am Neubergerweg
Blick in das Arbeitszimmer im Wohnhaus vom ehemaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt und seiner Ehefrau Loki in Hamburg Langenhorn am Neubergerweg

© imago images/Stephan Wallocha

Er kommt zum rechten Zeitpunkt. Das Kanzler-Reihenhaus kann pandemiebedingt nicht besichtigt werden; auch ohne Covid-19 wäre es schwierig, einen Platz in einer der wenigen Kleingruppen zu ergattern, die durch das Zuhause der Schmidts geführt werden.

Laut Grundbuchauszug hatte die Immobilie ursprünglich 122 Quadratmeter Wohnfläche zu bieten; das Grundstück war 615 Quadratmeter groß. Helmut Schmidt kokettierte gerne mit dem – im Vergleich zu den Villen an der Alster – bescheidenen Anwesen. Im Laufe der Jahrzehnte konnten die Schmidts sowohl Haus als auch Garten durch Anbauten und Zukäufe immer wieder erweitern. Heute werden das Haus mit 422 und das Grundstück mit 1905 Quadratmeter vermessen.

1989 ließ Helmut Loki ein Gewächshaus errichten

Die vorzüglichen Texte des Autorenteams der Bundeskanzler-Helmut- Schmidt-Stiftung bieten mit vielen Fotografien von Michael Zapf einen visuellen Rundgang durch ein Haus, in dem sich auf untrennbare Weise Privates und Öffentliches, Menschliches und Politisches vermischen. Wie sollte es auch anders sein? Helmut Schmidts Stilisierung dieses Zuhauses als ganz normales, bürgerliches Eigenheim, das bei Staatsbesuchen gelegentlich auch Bühne der Weltpolitik war, findet in dem Band seine Entsprechung in Wort und Bild. Ausgeklammert werden zurecht Räume wie Schlafzimmer und Keller sowie das Familienbad.

So etwas zeigt man ja auch in aufgeräumtem Zustand wirklich nur sehr guten Freunden. Doch auch ohne diese Einblicke beginnt beim Durchblättern eine Reise durch die Zeiten und die deutsche Geschichte. Hier erinnern die von Deckenvertäfelungen und Bücherwänden dominierten Innenaufnahmen des Wohnzimmers an gelebtes Bildungsbürgertum.

Kanzlerhaus Hamburg Blick in die Hausbar im Wohnhaus vom ehemaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt und seiner Ehefrau Loki in Hamburg Langenhorn am Neubergerweg.
Kanzlerhaus Hamburg Blick in die Hausbar im Wohnhaus vom ehemaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt und seiner Ehefrau Loki in Hamburg Langenhorn am Neubergerweg.

© imago images/Stephan Wallocha

An anderer Stelle tauchen die siebziger Jahre aus der Versenkung auf (die Küche!), findet sich skandinavisches Möbeldesign auf vier Beinen, erinnert vieles an Norddeutschland (Die Knotentafel! Die Hausbar!) und an die Kunstsinnigkeit Schmidts (Barlach! Nolde!). Doch der Zeitgeist spricht auch aus den Blumenmotiven, die Loki Schmidt „Aus Liebe zur Natur“ auf Wandteller einbrennen ließ. Auch wer nicht am liebsten Botanikerin geworden wäre wie Loki Schmidt, malte oder zeichnete in den fünfziger und sechziger Jahren Pflanzen ab und hängte sich die mehr oder weniger gelungenen Werke an die Wand: Die alten Gemälde waren meist im Krieg verbrannt.

Bundeskanzler Helmut Schmidt und Ehefrau Hannelore Schmidt auf ihrem Grundstück in Hamburg-Langenhorn, das im Laufe der Jahre durch Zukäufe erweitert wurde. Zum 70. Geburtstag schenkte Helmut Schmidt seiner Frau ein Gewächshaus für 123000 D-Mark. Das war 1989.
Bundeskanzler Helmut Schmidt und Ehefrau Hannelore Schmidt auf ihrem Grundstück in Hamburg-Langenhorn, das im Laufe der Jahre durch Zukäufe erweitert wurde. Zum 70. Geburtstag schenkte Helmut Schmidt seiner Frau ein Gewächshaus für 123000 D-Mark. Das war 1989.

© imago/Sven Simon

Mit dem Garten ging Loki Schmidt ein Traum in Erfüllung und ihr Mann wusste, wie er ihr hier eine besondere Freude machen konnte. Zum siebzigsten Geburtstag ließ er Hannelore 1989 ein Gewächshaus errichten, für vergleichsweise üppige 123000 deutsche Mark. Das Pflanzenrefugium aus Glas ist mit allen Schikanen ausgestattet: Elektrische Fenster, Heizungssystem und Bewässerungssystem mussten sein. Und so gedieh in der norddeutschen Tiefebene der mattrote Kletterkaktus Selenicereu wittii, der sonst nur in den überschwemmten Wäldern des Schwarzwasser-Amazonas (und in einigen wenigen botanischen Gärten) zu finden ist.

Der Gedenkstein für den Erstgeborenen liegt unter einem Kirschbaum

Besonders berührend – und wohl zum ersten Mal so ausführlich aufgeschrieben – ist eine sehr persönliche Geschichte des Ehepaars Schmidt, die auf die letzten Kriegsjahre in Bernau bei Berlin verweist. Hier hatten sie sich über ihren Erstgeborenen gefreut. Helmut Walter Schmidt wurde am 26. Juni 1944 geboren und verstarb nur sieben Monate später, wahrscheinlich an einer Hirnhautentzündung Als sein Sohn starb, war Helmut Schmidt bereits an die Westfront abkommandiert. Erst Monate später erfuhr er – per Feldpostbrief – vom Tod des Jungen.

Wie es ihn getroffen haben muss, lässt sich daran ermessen, dass man meist nur an die Wirtschaftsjournalistin Susanne Schmidt (geb. 1947) denkt, wenn es um Kinder von Helmut und Loki geht. Er sprach nicht darüber. Der Junge – genannt Moritzelchen – wurde in Schönow, einem Ortsteil von Bernau beigesetzt. Hier gibt es zwar einige Kindergräber, doch nichts erinnert an Helmut Walter Schmidt. Durch die deutsche Teilung war den Schmidts der Weg zum Grab versperrt.

Erst 1979 machte Loki Schmidt die Grabstelle mit Hilfe des damaligen Fraktionsvorsitzenden der SPD im Deutschen Bundestag, Herbert Wehner, des DDR-Unterhändlers Wolfgang Vogel und des zuständigen Pfarrers Norbert Lautenschläger ausfindig. Sie ließen sie wiederherrichten und gaben dafür einen neuen Gedenkstein in Auftrag. Wann immer es ihnen bei Reisen in die DDR möglich war, besuchten sie das Grab ihres Sohnes. 2013 – zwei Jahre vor seinem eigenen Tod – ließ Helmut Schmidt die Ruhestätte auflösen: „Leider kann ich wegen meines Alters und meines Gesundheitszustandes nicht mehr nach Schönow oder zu Ihnen nach Bernau kommen, um die Auflösung des Grabes meines Sohnes zu regeln.“ Schmidt schickte einen Fahrer, um den Gedenkstein nach Hamburg zu holen.

Er liegt nun unter einem Kirschbaum im Garten – hinter dem Privatarchiv und damit abseits der öffentlichen Person, die es hier zu erforschen gilt.

Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung: Zuhause bei Loki und Helmut Schmidt: Das Kanzlerhaus in Hamburg-Langenhorn. Verlag Edel Book, Hamburg, September 2020, 224 Seiten, 22 Euro.

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