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In der Büroimmobilie „The Edge“ lässt sich über eine Vielzahl von Sensoren ergründen, was vor sich geht. Alles ist unter Kontrolle.

© Ronald Tilleman

Intelligente Gebäudetechnik: Dieses Büro weiß alles über seine Mitarbeiter

„The Edge“ in Amsterdam gilt als das nachhaltigste Gebäude der Welt. Doch Kritiker mahnen vor der totalen Kontrolle.

Im Süden des historischen Amsterdam, entlang der vielspurigen Schnellstraße und der hier oberirdisch fahrenden Metro, sind in den vergangenen Jahren zahlreiche Bürohäuser emporgewachsen, die weit über die innerstädtische Höhenbegrenzung hinausragen. Amsterdam will es nicht dem in architektonischer Hinsicht experimentierfreudigen Konkurrenten Rotterdam überlassen, mit großflächigen Gebäuden entsprechend personal- und umsatzstarke Gewerbemieter zu locken.

Eines der auffälligsten Gebäude im Süden ist „The Edge“, was mit „Kante“ oder „Rand“, aber auch mit „Vorteil“ und „Vorsprung“ übersetzt werden kann. Um einen Vorsprung geht es bei der „Edge“ allerdings: den Vorsprung in gebäudetechnischer Hinsicht. Denn die Architektur des 40 000 Quadratmeter Bruttogrundfläche messenden Gebäudes allein ist heutzutage nicht mehr einzigartig.

Ron Bakker und Lee Polisano vom Londoner Büro PLP Architecture haben ein Gebäude entworfen, dessen vierte Seite – der Stadt zugewandt – von einer Glasfassade abgeschlossen wird, sodass sich ein von Tageslicht erhelltes, haushohes Atrium ergibt. Die Idee gebäudehoher Atrien ist nicht neu, man denke nur an Norman Fosters bahnbrechendes Gebäude der HSBC-Bank in Hongkong, das 1986 eine Sensation darstellte und zahllosen Bürogebäuden Anregungen für natürlich belichtete Atrien oder Lichthöfe lieferte.

Das Gebäude ist vollvernetzt

„The Edge“ hat andere, zusätzliche Qualitäten. Insbesondere dient das Gebäude als Experimentierfeld für „intelligente“ oder besser gesagt: smarte Technologien. Ein Aspekt ist dabei die Minimierung des Energieeinsatzes. Beispielsweise sind die 15 Etagen des Gebäudes mit „digitalen Decken“ ausgerüstet, die permanent Informationen über die Beleuchtung der Räume liefern und so zu effizientem Einsatz von Beleuchtung und damit Energie führen. Oder die Scheiben: So transparent sie auch scheinen, liegt in ihrem Inneren zwischen zwei Schichten doch eine Flüssigkeit, die wie ein Solarpanel Sonnenlicht in Elektrizität umwandelt.

Sogleich wurde „The Edge“ als „nachhaltigstes Gebäude der Welt“ gepriesen, wie immer man Nachhaltigkeit definieren will – bei der es schließlich nicht allein auf Energieeffizienz im laufenden Betrieb, sondern auch bei der Herstellung bis zurück zur Produktion der Baumaterialien und zukünftig bei der Wiederverwendung des eines Tages überholten Bauwerks gehen muss, Stichwort „cradle to cradle“. Das nur nebenbei.

Neuartig und in diesem Ausmaß tatsächlich noch nirgends realisiert ist die Interaktion des Gebäudes mit seinen Nutzern. Es beherbergt keine festen Arbeitsplätze mehr, sondern stellt den Büroarbeitern, die bereits beim Betreten des Geländes – beispielsweise der Einfahrt in die Tiefgarage – erkannt werden, den benötigten Platz zur Verfügung; ebenso wie auf Nachfrage geeignete Konferenzräume oder Gemeinschaftsarbeitsplätze. Der Arbeitsplatz selbst kann vom Mitarbeiter per App mit der benötigten Beleuchtungsstärke und dem gewünschten Raumklima versehen werden. 28 000 Sensoren im Gebäude registrieren alle nötigen Daten, um die gewünschten und tatsächlich gegebenen Raumbedingungen optimal in Einklang zu bringen.

Der „gläserne Mensch“ wird zur Realität

Die vollständige Erfassung nicht nur der Anwesenheit, sondern der gesamten Tätigkeit des einzelnen Mitarbeiters ist denn auch der springende Punkt, an dem Kritik laut geworden ist: Der „gläserne Mensch“ – oder auch der optimierte Mitarbeiter – wird zur Realität, mit allen negativen Folgen, die die totale Kontrolle haben kann. Der Immobilienentwickler OVG Real Estate, der die Immobilie bewirtschaftet und langfristig unter anderem an die Beratungsgesellschaft Deloitte vermietet hat, wiegelt zwar entsprechenden Berichten in Fachblättern zufolge mit dem Hinweis ab, dass „alle, die jünger als 35“ seien, „damit kein Problem“ hätten.

Das mag so sein. Spätestens dann aber, wenn aus den Datenmengen Arbeits- und sogar Energieverbrauchsprofile erstellt werden – was so schwierig nicht sein sollte –, werden sich Mitarbeiter, die den gleichzeitig steigenden Anforderungen nicht gerecht werden, Gedanken machen – über ihre Gedankenlosigkeit. Dann werden die „intelligenten“ Kaffeemaschinen, die ihren Nachschub selbst ebenso ordern wie Kühlschränke oder Snack-Bars, über den Leistungsdruck der Firma auch nicht mehr hinwegtrösten können. Aber das sind Sorgen, die man sich „unter 35“ vielleicht noch nicht macht.

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