Inseltourismus in Coronazeiten: Rot ist die Kant, weiß ist der Sand - was wird aus Helgoland?
Bürgermeister Jörg Singer sortiert Notfallpläne und betet für den Saisonstart zu Ostern.
Dieser „Fuselfelsen“ hatte in den späten sechziger und frühen siebziger Jahren seine besten Zeiten. Sie waren – wie die Historie – immer schaurig-schön. Auf der Düne flog im Orkan schon einmal ein 12-Mann-Zelt der hier urlaubenden Sportvereine auf und davon und man saß im Freien. Am nächsten Abend trompetete die Kurkapelle schon wieder Il Silenzio. In Helgolands Gaststätten wurden Touristen gebeten, Platz für die nächsten zu machen, sobald die Teller leer gegessen waren. Es herrschte Hochbetrieb. Auf den Seebäderschiffen unterhielten abgehalfterte Showmaster wie Lou van Burg („Der Goldene Schuss“) die Passagiere, wenn die nicht gerade kurz nach dem Passieren des Leuchtturms „Roter Sand“ über der Reling hingen, den Horizont fixierten und nach der rettenden Insel suchten. Während hier auf dem Kalksteinfelsen aus den Kinderbüchern des gebürtigen Helgoländers James Krüss gelesen wurde, kenterte dort im Februar 1967 nach einem Einsatz der Rettungskreuzer „Adolph Bermpohl“ und trieb voll schwimmfähig mit ausgekuppelter und laufender Maschine vor Helgoland. Von der Mannschaft keine Spur.
Im Steuerhaus Helgolands hält heute Jörg Singer das Ruder in den Händen. Der Bürgermeister wacht, dass ihm die Insel in der Pandemie nicht durchkentert – nur im übertragenen Sinne natürlich. Denn selbst die Briten konnten Deutschlands Mutation der Kreidefelsen von Dover 1945 nicht kaputtmachen. Die letzten der ersten Rückkehrer auf die Insel sagen langsam Lebewohl. Die Generation Achtzig plus ist mit 138 HelgoländerInnen aktuell stark vertreten; das Durchschnittsalter lag vor zehn Jahren bei 60 (heute 50) Jahren. So ist der Immobilienmarkt in Bewegung gekommen. Nicht immer wollen die Kinder der Wiederaufbaugeneration auf der Insel bleiben. Gute Zeiten, um zu investieren?
Helgoland ist einzigartig: Vergleichswerte für Immobilien gibt es nicht
Am Montag kam im Amtsgericht Pinneberg die Zwangsversteigerung einer Immobilie auf Helgoland zum Aufruf: ein zweigeschossiges Mittelreihenhaus als Wohn- und Gewerbeobjekt im 60er-Jahre-Retrolook, Verkehrswert 370000 Euro. Sogar mit Keller; bei diesem Boden keine Selbstverständlichkeit. Im Internet gibt es weitere Angebote. Ein Indiz für den Untergang der touristischen Betriebe?
Stefan Heesch, dem für Helgoland zuständigen Geschäftsstellenleiter des Gutachterausschuss des Kreises Pinneberg, bleiben die Insulaner ein Rätsel. „Wir bekommen die nicht richtig festgezurrt. Wir müssten die Verträge näher lesen, aber je mehr ich lese, desto weiter komme ich weg.“ Das Problem: Weil es – angesichts der Größe der Insel – nur wenige Transaktionen gibt, fällt es schwer Vergleichswerte zu ermitteln. „Sonderbarerweise scheinen da auch gewisse Einzelpersonen vermehrt aufzutreten“, sagt Heesch. Wird die gesamte Insel aufgekauft? Vielleicht von britischen Investoren? Heesch weiß es auch nicht – vermutet nur, dass viel getrickst wird. Mit Hilfe von Share Deals und Werten, die offenbar allein für die Steuer eingepreist wurden. „Es gibt eigenartige Objekte, die in der zweiten Reihe liegen und trotzdem Meerblick haben sollen.“
Vielleicht liegt es an den Dachfenstern, an den Luken und Gauben, die nach und nach in die 50er-Jahre-Gehäuse eingebaut wurden und das einheitliche Erscheinungsbild Helgolands heute in Frage stellen. Andererseits: Woher soll man den Platz auch nehmen? Der Nordsee stehlen wollten ihn die Helgoländer nicht: Die See zwischen Düne und Insel einfach mit Sand zuzuschütten? Dieser gewiss nicht ohne Einsatz von Alkohol gefasste Plan wurde in einem Bürgerentscheid 2011 nüchtern abgelehnt. So etwas überlässt man den Singapurern, die ihr Staatsgebiet mit Sand aus Malaysia erweitern. So gibt es auf Helgoland eben keine nennenswerten Neubauflächen. „Der Boden kostet pro Quadratmeter zwischen 600 und 700 Euro“, sagt Gutachter Heesch. Und sonst so?
Helgoland braucht ein neues Planungsrecht
„Da gib es schon einen, der in den letzten drei, vier Jahren etwa 15 Immobilien gekauft hat“, sagt Helgolands Bürgermeister Singer: „Ich weiß gar nicht, wie die Immobilienpreise jetzt sind. Wir sind bei weitem noch nicht auf dem Sylter oder Norderneyer Preis-Level.“ Die Gemeinde hat vor drei Jahren eine Erhaltungssatzung eingeführt. „Wir streiten uns mit dem ein oder anderen Immobilienmakler, der meint aus einer Dauerwohnsitz-Situation eine Ferienwohnsituation machen zu können.“ Diese Stiefel kann sich Immobilienmakler Florian Ristow durchaus anziehen. Er nähert sich Deutschlands einziger Hochseeinsel von Norderney aus, wo er lebt und arbeitet. „Helgoland hat sich nach dem Krieg modern aufgestellt“, sagt er. „Im Zuge des Wiederaufbaus hat man Gästezimmer genehmigt, das Modell ist aber in die Jahre gekommen: Möchte man heute noch in einem Gästezimmer mit Etagentoilette Urlaub machen?“ Nostalgiker vielleicht. „Helgoland hat es verpasst. das Planungsrecht umzumodeln“, sagt Ristow. Die letzte Neuaufstellung des Flächennutzungsplanes liegt über 30 Jahre zurück, hieß es 2011 in einer Bestandsaufnahme und Perspektivplanung, die Singer bei der IPP Ingenieurgesellschaft Possel und Partner GmbH & Co. KG in Auftrag gegeben hatte. Eine Erkenntnis: „Die Insel benötigt dringend Perspektiven zur zeitgemäßen Weiterentwicklung der Inselstrukturen im Bestand und optional auch bei der Entwicklung neuer Flächen.“
Eben habe er eine Hotelimmobilie verkauft, am Südstrand 5, ein Haus mit Ferienwohnungen, sagt Ristow. „Da hätte man die Möglichkeit, ein Investment zu machen. Da kann es sein, dass man es von Fremdenzimmern zu Selbstversorger-Apartments umbaut.“ Die Immobilie steht noch im Netz – 16 Zimmer für drei Millionen Euro. Der Vertrag ist noch nicht unterschrieben. Jörg Singer kennt die Immobilie natürlich, wie fast jede Trottellummen-Familie, die in seinen Felswänden brütet. „Wir gucken in den Bebauungsplan, ob das möglich ist“, sagt der Bürgermeister. „Im konkreten Fall ist das ein Beherbergungsbetrieb und man müsste sich über die Frage streiten, ob man in diesem Betrieb nun unbewirtschaftete Ferienwohnungen vermieten dürfte.“
Die Lage auf der Insel wäre noch entspannter hätte man mehr Platz. 70 Wohnungen wurden im Oberland neu geschaffen im Mittelland werden noch einmal zwanzig gebaut. Potentiale sieht Singer, wo Molen erneuert werden müssen: Vielleicht lassen sich die Zwischenräume zum Felsensockel mit Sand auffüllen, hier und da vielleicht sogar bebauen. „Wir haben nur zirka 80 Zweitwohnungsbesitzer“, sagt Singer, „das wollen wir eigentlich auch nicht."Den Fehler von Sylt will Helgoland nicht wiederholen. Man will keinen Zweitwohnungsleerstand und unbezahlbare Mieten für Saisonkräfte. Andererseits, sagt Singer: „Wenn man an die Kinder nicht vererbt, sondern verkauft und dann vielleicht in dem Objekt einen gewissen Prozentsatz der Fläche als Ferienwohnung einrichtet, wenn der B-Plan das zulässt – das diskutieren wir gerade.“
Zehn Millionen Euro aus der Gemeindekasse werden auf Eis gelegt
Die Szenarien könnten sich aber auch in Luft auflösen. Zunächst sind die Insulaner gut durch die Pandemie gekommen. Dank Kurzarbeitergeld und Singers Soforthilfen – Erstattung des Dreifachen der Tourismusabgabe an die Betriebe – freuten sich Privatvermieter und Hoteliers über Gewinne. Weniger Aufwand = weniger Kosten. Speisekarten wurden verkleinert. Mit den Alternativen Fisch, Fleisch oder Suppe kommen Gäste auch zurecht. Zur Not.
„Aber wenn der Lockdown andauert, – wenn das dazu führt, dass wir wirklich keinen Tourismus haben – dann wird das hier Pleiten hageln“, sagt der Bürgermeister. "Wir werden eine Summe von acht bis zehn Millionen Euro erst einmal auf Eis legen." Die Inselgemeinschaft hatte sich für 2021 viel vorgenommen: Siemensplatz und Higstars werden umgestaltet, ein 60 Jahre alter Betonspeicher zur Trinkwasserversorgung soll durch einen Stahlspeicher ersetzt werden. Das denkmalgeschützte Aquarium wird abgerissen und anschließend wieder neu aufgebaut, 13 Gemeindewohnungen werden neu gebaut - nachdem alte Häuser abgerissen worden sind. Außerdem steht der Neubau der Dünenfähre an, Feuerwehr, Polizei und Rettungsdienst bekommen ein neues Gebäude. Und und und. "Ich bin gerade dabei, den Kassensturz zu machen für dieses und für letztes Jahr", sagt Singer: "Wenn wir im April oder Mai nicht wieder öffnen, wird das schon harte Konsequenzen haben." Dann wird das Wasser im Schwimmbad abgelassen und die Mitarbeiter der Eigenbetriebe gehen in Kurzarbeit. Oder es gilt Plan B: Alle Mann in die letzten Börteboote und Kurs aufs Festland.
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