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Die Bärenquell-Brauereigelände in Niederschöneweide hat sich seit Schließung der Fabrik in ein Elendsquartier verwandelt.

© Thilo Rückeis

Industriebrache in Niederschöneweide: Die Bärenquell-Brauerei soll ein Kulturstandort werden

Mit den Zustandsberichten über die Brauerei an der Schnellerstraße ließen sich Wände tapezieren. Jetzt setzt der Bezirk auf den neuen Eigentümer.

Der Mann reckt und streckt sich. „Rudi“ steht in roten Lettern auf einem handgemalten Pappschild, das etwas durchfeuchtet neben ihm liegt. Es ist früher Morgen und Rudi hat mal wieder eine unbequeme Nacht verbracht. Im Schatten der rückwärtigen Fassade eines nagelneuen Möbelmarktes, hinter einem Haufen von Pflastersteinen, die noch verbaut werden wollen. „Wenigstens windgeschützt ist es hier“, sagt der wohnungslose Mittvierziger. „Und mit Spreeblick“, fügt er hinzu, grinst ein wenig schief und freut sich über den Becher Kaffee, den der Störenfried von der Zeitung mitgebracht hat. Früher habe er öfter mal „da drüben“ übernachtet. Er zeigt auf die verkommenen Ruinen der Bärenquell-Brauerei an der Schnellerstraße. „War aber furchtbar. Zu dreckig, zu viele kaputte Typen.“

Jetzt hat auf Betreiben des Bezirksamts Treptow-Köpenick der x-te neue Eigentümer der denkmalgeschützten Industriebrache in Niederschöneweide Unbefugten, vornehmlich Vandalen, mehr als nur einen Riegel und sehr viel Stacheldraht vorgeschoben. Immerhin. Nach mehreren Eigentümerwechseln geben sich die Verantwortlichen im Rathaus (mal wieder) der Hoffnung hin, der neue Investor könnte endlich die Sache anpacken und den Bezirk von einem weiteren der noch zahlreichen immobilen Schandflecken befreien.

Auch wenn allem Anschein nach Zugeständnisse gemacht werden müssen. Bereits 2014 beschäftigte sich der Ausschuss für Stadtentwicklung und Bauen mit einem Antrag der Grünen, die über ihre Drucksache VII/0723 „auch eine Wohnnutzung geprüft“ sehen wollten. Der Ausschuss strich diesen Satz indes wieder aus der schließlich von der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Ende Januar dieses Jahres beschlossenen Fassung: „Das Bezirksamt wird ersucht, schnellstmöglich Verhandlungen mit dem neuen Eigentümer der ehemaligen Bärenquell-Brauerei mit dem Ziel zu führen, ein Nutzungskonzept für die denkmalgeschützten Gebäude zu entwickeln, wodurch allein der weitere Verfall gestoppt werden kann.“

Ende des 19. Jahrhunderts war Berlin die Brauerei-Kapitale Europas

Im September 2016 habe wieder einmal ein neuer Eigentmer das Bärenquell-Areal erworben, heißt es im März in einem Zwischenbericht zum BVV-Beschluss vom Januar dieses Jahres. „Maßnahmen zur Substanzsicherung“ würden nun zwischen der Unteren Denkmalbehörde des Bezirks und den Eigentümern abgestimmt. „Die neuen Eigentümer haben erste Ideen für eine gewerbliche und kulturelle Nutzung vorgestellt, diese bislang aber noch nicht konkretisiert“, heißt es in dem Zwischenbericht weiter.

Mit den Zustandsberichten über die aufgegebene Brauerei ließen sich inzwischen viele Wände tapezieren. Das Internet ist zudem voll mit Schreckensbildern eines auf dem Müllhaufen der Geschichte zwischengelagerten Industriedenkmals. Und Berlin hat noch einige davon. Ende des 19. Jahrhunderts war die Stadt die Brauerei-Kapitale Europas. Etwa 150 Brauereien sorgten an mehr als doppelt so vielen Standorten dafür, dass der Strom des Gerstensafts nicht versiegte. Schließlich wollte auch das Umland bedient werden. Zur Zeit ihrer Schließung 1994 war die Bärenquell-Brauerei eine der „Big Four“-Brauereien neben Berliner Kindl, Berliner Pilsener und Schultheiss.

Die Brauerei wurde 1882 gegründet und hieß damals "Borussia"

Eine der vielen Braustätten der Stadt lag an der Berliner Straße. Sie wurde zu DDR-Zeiten nach Ernst Schneller umbenannt, einem KPD-Funktionär, der 1944 in Sachsenhausen ermordet wurde. An der Fassade des alten Verwaltungsgebäudes direkt an der viel befahrenen Schnellerstraße prangt noch das Baujahr: 1888. Gleich daneben das sogenannte Beamtenwohnhaus, in dem Braumeister und einige Bedienstete residierten. Es stammt aus 1882, dem Gründungsjahr der ursprünglichen Brauerei „Borussia“, auf Neulateinisch „Preußen“.

Damals wie heute galt auch am Biermarkt die Devise: Groß frisst Klein. Folgerichtig übernahm Schultheiss bereits 1898 die „Borussia“. Mit Beginn der DDR 1949 nahm die Entwicklung ihren Lauf: Es erfolgten diverse Umbenennungen des Betriebs, bis 1959 schließlich viele Sudhäuser unter ein Dach kamen und der VEB Berliner Brauereien entstand. Die Produktionsstätte Niederschöneweide bekam den Namen Bärenquell-Brauerei. Nach der Wende die Privatisierung – und Bärenquell als Marke fiel von der Treuhand in den Schoß der Frankfurter Henninger Bräu AG.

Noch 1993 hatte Henninger Pläne, stellte einen Bauantrag, für den einige historische Gebäude hätten weichen müssen. Dieses Ansinnen wurde jedoch vom Bezirksamt Treptow mit dem Verweis auf den zu DDR-Zeiten verfügten Denkmalschutz abgelehnt. Zum 1. April 1994 schließlich versiegte der Bierfluss an diesem Standort.

Wer ist der neue Eigentümer?

Die Bärenquell-Brauereigelände in Niederschöneweide hat sich seit Schließung der Fabrik in ein Elendsquartier verwandelt.
Die Bärenquell-Brauereigelände in Niederschöneweide hat sich seit Schließung der Fabrik in ein Elendsquartier verwandelt.

© Thilo Rückeis

Geblieben ist dem Bezirk eine unter Schutz stehende Anlage, mit der anscheinend niemand so richtig glücklich wird. Die Lage direkt an der Spree besticht natürlich, doch das Sammelsurium von Gebäuden unterschiedlicher Stilarten verheißt offenbar keine profitable Nutzung. Die Mehrzahl der Bauten wie Flaschenkeller, Bierlager mit Kühlturm oder Neues Sudhaus sind auf dem Gelände zwischen 1901 und 1969 nach und nach gebaut worden, während von der eigentlichen „Borussia“ nur noch zwei im Original erhalten sind: das erwähnte „Beamtenwohnhaus“ und das Verwaltungsgebäude (1888), einst Sitz des Direktors.

Investoren sind im Zusammenspiel mit Entwicklern und Architekten sehr erfinderisch, wenn es gilt, ein Denkmal um- und in eine erkleckliche Rendite zu verwandeln. Wenn dann noch die Möglichkeit besteht, ganz nebenbei zusätzlich Neues zu bauen, gibt es strahlende Gesichter ringsum. Doch über dem Bärenquell-Areal hängt noch der Flächennutzungsplan wie ein Fluch. Dieser sowie das bezirkliche „Einzelhandelsentwicklungskonzept“ sehen vor, eine „nicht zentrenrelevante“ Einzelhandelsnutzung unter Berücksichtigung des Denkmalschutzes anzusiedeln.

Möglich seien hierbei etwa Wohnmöbel, Sport- und Freizeitboote und Zubehör sowie Baumärkte, heißt es im Bezirksamt. Wer heute am S-Bahnhof Schöneweide auf die Schnellerstraße tritt, wird indes förmlich erschlagen von neuer architektonischer Gleichförmigkeit, die auf ehemaligen Brachen entlang der Spree die neu entstandenen Möbelmärkte, Sportausrüster, Baumärkte und noch mehr Möbelmärkte kennzeichnet. Allein, so schnelles Geld ist auf dem Bärenquell-Areal nicht zu machen.

Der neue Eigentümer wird offiziell nicht genannt

Doch wer ist der neue Eigentümer, der in Bezirkspapieren nie genannt und dessen Name auch vom Bezirksstadtrat öffentlich nicht in den Mund genommen wird? Wie Tagesspiegel-Recherchen zeigen, ist eine Objektgesellschaft der Activum SG Capital Management (Firmensitz ist in Saint Helier, Hauptstadt des Steuerparadieses Jersey im Ärmelkanal) mit einer „Brückenfinanzierung“ im Umfang von 5,5 Millionen Euro eingestiegen. Das Geld ging an den Berliner Projektentwickler HCM Home Center Management, bereits Joint-Venture-Partner bei drei vorherigen Fond-Investitionen der ASG.

Alexander Haeger, nach eigener Aussage Kunsthistoriker und Denkmalgestalter, ist bei HCM in Berlin seit 2012 Leiter der Abteilung Entwicklung. Er verantwortet vor allem langfristige Projekte im Bereich der Denkmal-Umnutzung, etwa bei der Umwandlung der DRK-Frauenklinik an der Charlottenburger Pulsstraße. Haeger bestätigt, dass HCM „im Auftrag einer Objektgesellschaft die Entwicklungsaufgaben“ auf dem Bärenquell-Gelände übernommen hat. „Was das Konzept angeht, sind wir noch bei den Voruntersuchungen. Verschiedene Architektenteams arbeiten an Vorplanungen zu den Entwicklungsmöglichkeiten. Wir akzeptieren gewerbliche Nutzungen als Schwerpunkt für die künftige Entwicklung. Es wird noch dauern, bis wir uns dazu im Detail äußern“, teilt Haeger auf Anfrage dieser Zeitung mit. Zu einer möglichen Wohnbebauung entlang des Spreeufers mochte sich Haeger nicht äußern.

Wohnungen auf dem Areal sind ausgeschlossen

Das Bezirksamt ist in dem Punkt hingegen noch glasklar: „Die Entwicklung des Areals für Wohnzwecke wird ausgeschlossen, hierfür stehen im Bezirk genügend Standorte zur Verfügung“, heißt es auf Anfrage. Die Lage im gewerblichen Kontext mit großflächigem Einzelhandel sei „prädestiniert, gewerbliche Angebote aufzunehmen, die andernorts keine Entwicklungschance haben beziehungsweise im Nutzungskonflikt zu Wohnen stehen“. Der neue Eigentümer setze auf die eher mittelfristige Umsetzung eines Gesamtkonzepts, das „nach jetzigem Kenntnisstand eine vorrangig gewerbliche Ausrichtung i. S. Creative Industries (Industrie 4.0.) ergänzt um Kunst, Kultur und Gastronomie“ haben solle.

Einzelhandel werde hier eher funktional und nur räumlich untergeordnet gesehen. Derzeit werde durch den Eigentümer an tragfähigen Ideen für Zwischennutzungen gearbeitet, die für ähnliche Standorte mit sehr spezieller Denkmalsubstanz (zum Beispiel Bötzow-Brauerei, Stadtbad Wedding) schon erprobt beziehungsweise erfolgreich umgesetzt wurden. „Entsprechend verbindliche Abstimmungen dazu stehen jedoch noch aus“, teilt das Büro des Baustadtrats Rainer Hölmer (SPD) mit. Fragen nach einer eventuellen „Aufweichung“ des Denkmalschutzes auf dem Bärenquell-Areal konnte das Bezirksamt wegen eines personellen Engpasses bei der Unteren Denkmalschutzbehörde noch nicht beantworten.

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