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Wie gehts's weiter nach dem Brexit? Schaden wird der Ausstieg der Briten dem Immobilienmarkt in Berlin wohl nicht, meinen Experten.

© Michael Kappeler/dpa

Immobilienmärkte: Brexit bietet in unsicheren Zeiten Chancen für Berlin

Das Interesse der Investoren wird sich noch stärker auf Kontinentaleuropa und dessen Metropolen richten. Langfristig jedoch könnte der Ausstieg der Briten die deutsche Wirtschaft schwächen und deshalb auch die Immobilienmärkte belasten.

Frankreichs Staatschef François Hollande bringt nach dem Brexit-Votum Paris in Stellung, um London als wichtigsten Finanzplatz Europas zu beerben. „Wir müssen unsere Regeln, darunter die steuerlichen, anpassen, um den Finanzplatz Paris attraktiver zu machen“, sagte Hollande in einem Interview mit der französischen Wirtschaftszeitung „Les Echos“ vom Donnerstag.

Griechische Industrielle wittern bei einem Austritt Großbritanniens aus der EU Chancen in der Schifffahrt für das Mittelmeerland. Für Griechenland und seinen größten Hafen Piräus biete sich bei einem Brexit eine „einmalige Gelegenheit“, London als eines der Zentren der Handelsschifffahrt zu ersetzen, heißt es in einem ebenfalls am Donnerstag veröffentlichten Bericht des griechischen Industriellen-Verbands (SEB).

Und Berlin? Könnte die deutsche Hauptstadt London als Immobilienstandort den Rang ablaufen? Wie beurteilen Lobbyisten einzelner Branchen und unabhängige Immobilienexperten und Sachverständige die noch unübersichtliche Lage?

Das sagt die Wissenschaft

Die deutschen Immobilienmärkte könnten vom Brexit kurzfristig profitieren, langfristig überwiegen aber die Kosten, meint Immobilienwissenschaftler Tobias Just von der International Real Estate Business School an der Universität Regensburg (Irebs).

Der EU-Austritt werde die Nachfrage auf den hiesigen Vermietungsmärkten gerade nicht stimulieren, sondern die Wirtschaft schwächen und das Risiko erhöhen: Zum einen beschert die Schwächung des Pfunds und die Verteuerung des Handels mit UK deutschen Exportfirmen Einkommensverluste. Zudem werden die Zinsspielräume in Kontinentaleuropa noch stärker eingeengt, wodurch sich der Anlagedruck in Risikoanlageklassen erhöht.

Das sagt die Immobilienwirtschaft

„Berlin ist bereits seit Jahren ein für internationale Investoren beliebter Immobilienmarkt“, sagt Andreas Schrobback, Berliner Makler und seit Dezember 2015 Abgeordneter des Bundesverbandes für die Immobilienwirtschaft (BVFI).

„Durch den Brexit ist nun damit zu rechnen, dass sich deren Interesse noch stärker auf Kontinentaleuropa und dessen Metropolen richten wird. Und Berlin als ständig wachsende Stadt ist natürlich besonders im Fokus dieser Immobilieninvestoren. Sie sind vor allem an Eigentumswohnungen im gehobenen Segment interessiert.“

Schrobback weist darauf hin, dass bereits mehrere große Unternehmen mit Sitz in Großbritannien angekündigt hätten, ihre Standorte aufs europäische Festland zu verlegen. „Auch für sie wäre Berlin ein spannender Standort, wodurch das Wachstum der Stadt und damit verbunden die Nachfrage nach Wohnraum noch mehr beschleunigt werden könnte.“

Die in dieser Woche neu ernannte Präsidentin der weltweit tätigen Berufsorganisation von Immobilienexperten „The Royal Institution of Chartered Surveyors“ (RICS), die Britin Amanda Clack, sagte dem Tagesspiegel auf Anfrage: „Es gab Spekulationen, ob Schlüsselunternehmen der Immobilienwirtschaft den Standort London infrage stellen und einen Wechsel in Städte wie Paris oder Frankfurt in Erwägung ziehen. Tatsächlich aber weiß derzeit niemand, wohin die Reise geht und RICS will sich an Spekulationen nicht beteiligen.“

Das sagen die Finanzierer

Nach einer Stimmungsverbesserung in den Monaten um den Jahreswechsel haben sich die Einschätzungen der Immobilienfinanzierer wieder verschlechtert.

„Unwägbarkeiten aufgrund der Konsequenzen des britischen EU-Referendums und die Entwicklung der Flüchtlingszuwanderung nach Europa dämpfen die Erwartungen auf den Märkten“, erläutert ein Sprecher von Jones Lang LaSalle (JLL), ein Dienstleistungs-, Beratungs- und Investment-Management-Unternehmen im Immobilienbereich, das 51 Experten befragte.

Der deutsche Immobilienmarkt als sicherer Hafen

Häuserzeile in London: Immobilien der Hauptstadt gehört zu den gefragtesten weltweit.
Häuserzeile in London: Immobilien der Hauptstadt gehört zu den gefragtesten weltweit.

© picture alliance / dpa

Das sagen die Makler

Deutschlands Immobilienberater, Makler, Verwalter und Sachverständige sehen in einer Mitteilung vom Donnerstag als Folge des bevorstehenden Brexits eine stärkere Nachfrage ausländischer Investoren nach deutschen Immobilien. Das habe eine Umfrage des Immobilienverbandes Deutschland (IVD) unter den Mitgliedern ergeben.

So rechnen 59 Prozent der Befragten damit, dass das Interesse von internationalen Investoren, die bisher in Großbritannien investiert haben, an deutschen Immobilien zunehmen wird. Weitere 47 Prozent gehen davon aus, dass britische Investoren, die zuvor verstärkt im heimischen Markt investiert haben, künftig vermehrt in deutsche Immobilien investieren werden. An der Umfrage nahmen rund 500 Mitglieder teil.

„Die Befragung macht deutlich, dass der deutsche Immobilienmarkt in seiner Funktion als sicherer Hafen bei internationalen Investoren weiter an Bedeutung hinzugewonnen hat. Als wirtschaftliche Lokomotive Europas ist Deutschland nun noch stärker in den Fokus der Immobilieninvestoren gerückt“, sagte Sun Jensch, Bundesgeschäftsführerin des IVD.

Bei den Kaufgründen stehe die Rechtssicherheit im deutschen Immobilienmarkt im Vordergrund. Der zweite Grund für die Kaufabsichten sind den Angaben zufolge die (günstigen) Kaufpreise in Deutschland.

Darauf verweist auch der Berliner Makler Thomas Zabel: „Zuletzt wurde London leergekauft. Heute stöhnen die Makler. Deutschland wird zum Ausgleichsmarkt nach dem Brexit, denn viele internationale Investoren aus dem Mittelstand möchten nicht außerhalb der EU investieren. Der große Schub für Berlin ist in den letzten zwölf Monaten gekommen seit der Brexit ernsthaft diskutiert wurde. Berlin ist ja auch immer noch verdammt günstig im internationalen Vergleich.“

Stefan Schulze, Vertriebsleiter des Maklerunternehmens Rubina Real Estate sagt auf Anfrage: „Berlin braucht keine Angst vor fremden Investoren zu haben. Sowohl deutsche als auch internationale Investoren haben kein Interesse daran, Leerstand zu erzeugen – wie einst arabische Investoren in London. Davon sind wir hier weit entfernt.“

Das sagen die Gewerbeimmobilienberater

Walter Boettcher, Chefökonom bei Colliers International, rechnet mit „neuen Unsicherheiten“ aufgrund der Abstimmung in Großbritannien: „Wir gehen davon aus, dass es gewisse Preisanpassungen sowohl bei Core- wie auch bei Non-Core-Immobilien geben wird. Hier wird es wiederum einen Dominoeffekt bei einigen Investoren geben, die zunächst abwarten wollen. Auch der Arbeitsmarkt wird sich verlangsamen, weil Unternehmen zunächst schauen werden, wie sich die Austrittsentscheidung auswirkt.“

Das sagen die Projektentwickler

Die Angst, dass infolge einer größeren Nachfrage nun auch in Berlin „Geisterviertel“ entstehen könnten, sei unberechtigt, glaubt auch Alexander Harnisch, Geschäftsführer des Berliner Projektentwicklers Diamona & Harnisch: „Der Berliner Wohnimmobilienmarkt wird von dem Brexit unmittelbar profitieren, insbesondere im Segment der bei internationalen Investoren sehr gefragten hochwertige Eigentumswohnungen ab 4000 Euro pro Quadratmeter.“

Ein Börsenweisheit laute aus dem angelsächsischen Raum laute „When in doubt, sell out“, sagt Harnisch auf Anfrage. „Und genau so werden sich die internationalen Investoren zunächst auch verhalten und sich aus London zurückziehen. Damit eröffnet sich für Berlin eine große Chance neben Paris zu einer festen Größe im globalen Immobilieninvestmentmarkt zu werden.“

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