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In Tripi steht etwa jedes zweite Haus leer: ein pittoreskes Geisterdorf.

© Reinhart Bünger

Immobilien für einen Euro: Sizilien kämpft mit Billighäusern gegen den Verfall

Für einen Euro wird mitten in Sizilien der Traum vom Haus in Italien wahr. Innerhalb von drei Jahren muss restauriert werden - so sollen Bergdörfer wiederbelebt werden.

In Gangi kostet ein Haus fast so viel wie ein Espresso. Egidia de Benedictis glaubte ihren Augen nicht, als sie das las. „Wie kann das sein? Das müssen wir uns ansehen!“, habe sie zu ihrem Mann gesagt. Und so reiste das Paar aus Belgien in den kleinen sizilianischen Ort zwischen Catania und Palermo, in dem es sie wirklich gibt: Häuser für einen Euro.

Auch in anderen Bergdörfern sind die Behausungen aus Naturstein für kleine Münzen zu haben. Zumeist vor Jahrzehnten verlassen, fallen sie als Besitz den örtlichen Kommunen zu. Ihre Eigentümer sind oft schon lange verstorben, die Erben meist in alle Welt verstreut oder zerstritten. Es gibt verschiedene Konzepte, etwas aus den meist pittoresken Hinterlassenschaften zu machen und so der Urbanisierung etwas entgegenzusetzen, den Dörfern neues Leben einzuhauchen.

Während man in Gangi auf Billigangebote und neue Käufer setzt, wäre man in der Gemeinde Tripi – auf einer Anhöhe an der Nordküste mit Blick auf die Liparischen Inseln gelegen – schon froh, wenn sich wenigstens im Sommer Mieter für einige der instandgesetzten Gehäuse finden ließen. Nachdem vor Jahren schon Versuche der Kommune gescheitert sind, selbst als Vermittlerin privaten Wohneigentums aufzutreten, setzt die kleine Gemeinde siebzig Kilometer westlich von Messina nun Hoffnungen auf eine privat organisierte Kooperative – und auf die beiden Sehenswürdigkeiten des Ortes: eine von der EU finanzierte Ausgrabungsstätte und die Ruine des Kastells, die über der Gemeinde thront. Die Kooperative „Monsignore“ will sich um die Vermittlung und Instandhaltung von Ferienwohnungen kümmern. Der Provisionsschlüssel: 70 Prozent der Einnahmen für die Kooperative, 30 für die Eigentümer.

Noch aber ist in Tripi und in Gangi wenig zu spüren von der Quirligkeit und dem Durcheinander Palermos bis zu zweieinhalb Autostunden entfernt. Gangi wurde auf einen Felsen gebaut, etwa 6700 Menschen leben noch dort. In der Altstadt scheint die Zeit im Mittelalter stehen geblieben zu sein. Zwischen Steinmauern und unzähligen Kirchen begegnet man in den engen, steilen Gässchen auch an einem sonnigen Septembertag nur wenigen Menschen. Schön gelegen ist der Ort, keine Frage: umgeben von Wanderwegen, mit Blick auf den stolzen Vulkan Ätna. Doch nur von schöner Aussicht kann niemand leben. Viele ziehen deshalb weg, in die größeren Städte oder ins Ausland.

Wer in Gangi ein Haus für einen Euro kaufen will, muss es innerhalb von drei Jahren restaurieren und eine Bürgschaft hinterlegen.
Wer in Gangi ein Haus für einen Euro kaufen will, muss es innerhalb von drei Jahren restaurieren und eine Bürgschaft hinterlegen.

© Reinhart Bünger

Bürgermeister Francesco Paolo Migliazzo ist so stolz auf die Idee, die Gangi wiederbeleben soll, als wäre sie seine eigene gewesen. Der Deal: Wer in Gangi ein Haus für einen Euro kauft, verpflichtet sich, das Gebäude innerhalb von drei Jahren zu restaurieren und hinterlegt eine Bürgschaft von 5000 Euro. Die Ziele: „Das historische Zentrum aufwerten. Die Kommune wiederbevölkern. Die lokalen Handwerker unterstützen“, sagt Migliazzo. Um die hundert Häuser wurden in den vergangenen Jahren für einen Euro verkauft, seit Migliazzos Vorgänger Giuseppe Ferrarello die Initiative angestoßen hatte. Nachahmer gibt es in Gemeinden der Toskana oder im Latium.

Alessandro Cilibrasi, ein Italiener, der nur selten sein Zigarettenpäckchen aus der Hand gibt, bringt die verlassenen, vernachlässigten und baufälligen Steinhäuser mit seinem Partner Santo Bevacqua an den Mann. Die meist um die einhundert Jahre alten Gebäude sind noch in Besitz der eigentlichen Eigentümer. Sie haben der Kommune Bereitschaft signalisiert, sie für einen Euro zu verkaufen. Auf der Homepage der Gemeinde kann man sich einen ersten Eindruck von den rund dreißig Niedrigpreis-Objekten verschaffen. Oder direkt zu Cilibrasi in den alten Fiat steigen, der viel zu schnell durch die schmalen Straßen fährt.

Der Makler schließt ein kleines Eckhaus auf. Im Eingangsbereich liegt Müll, Licht gibt es nicht. Das Erdgeschoss wurde früher als Stall genutzt. An den unverputzten Wänden sind noch die Eisenringe zu sehen, an denen Tiere festgemacht wurden. „Vorsicht, nur hier hintreten“, sagt Cilibrasi auf der Treppe ins Obergeschoss. Mit viel Fantasie erkennt man in dem Gebäude ein uriges Wohlfühl-Häuschen. Aber dafür ist viel Arbeit und Geld nötig.

Ob sich der Einwohnerschwund so wirklich aufhalten lässt?

„In den Häusern für einen Euro fiel alles in sich zusammen – es war viel zu viel zu tun“, sagt die 69-jährige de Benedictis. Cilibrasi habe dem Paar aber ein anderes Haus gezeigt. Das musste zwar auch renoviert werden, war aber in einem ganz guten Zustand, wie de Benedictis sagt. Die belgischen Rentner schlugen 2014 zu – und investierten etwa 75 000 Euro. Für die einfache Ausstattung und die Wiederherstellung eines achtzig bis 100 Quadratmeter großen Hauses muss man mindestens mit 30 000 Euro rechnen – Kaufpreis und Notarkosten laufen extra.

Laura Maria Aliénor Radulescu aus Stuttgart kam das erste Mal wegen der Ein-Euro-Häuser nach Gangi, gekauft hat die 30-Jährige ebenfalls ein teureres. „Von außen sehen die Häuser vielleicht ganz süß aus, aber man muss wirklich alles von Null an bauen. Und wenn man kein Haus für einen Euro kauft, hat man auch sein ganzes Leben Zeit, um zu renovieren.“

Bad und Toilette sind vor dem Einzug ein Muss – und nicht in jedem alten Haus zu finden. Decken und Dächer sind meist so marode, dass sie ersetzt werden müssen. Und wer gerne eine Gasheizung hätte – die alten Häuser wurden meist nur über Feuerstelle und Brotofen beheizt – sollte im Zweifelsfalle einige tausend Euro bereithalten, um unter Umständen den Felsboden der meist engen Gassen aufpicken zu lassen, um Platz für eine Zuleitung zu schaffen.

Radulescu ist Künstlerin und Designerin. Wie ihr Haus nach dem Umbau aussehen soll, hat sie sich selbst ausgedacht. Im untersten Stock soll ein Atelier entstehen. Eine Heizung muss noch eingebaut und die Hälfte des Treppenhauses neu gemacht werden. Wenn das Haus einmal fertig ist, könnte sie sich vorstellen, Deutschland für immer zu verlassen und auf Sizilien zu leben – aber nur, wenn sie einen Job findet. „Ich habe da eine Seelenheimat gefunden.“

Ob sich mit Italien-Liebhabern und Teilzeitbürgern der Einwohnerschwund in Gangi wirklich aufhalten lässt? Fraglich. Auch wenn man sich in Tripi umschaut: Um die 600 Seelen sind hier noch zuhause. Tendenz fallend – Altersdurchschnitt steigend. Immerhin hat im August ein Bed & Breakfast eröffnet („Al Tripiciano“), das ästhetisch und ausstattungstechnisch keine Wünsche offenlässt. Obendrein gibt es zum Frühstück frische Ricotta.

Die Werbetrommel ist also geschlagen – und die Not der Landflucht hat auch andernorts die Kreativität in die Rathäuser Italiens getrieben. In Castel del Giudice, wo die Einwohnerzahl seit den 60er Jahren von 1500 auf 340 sank, wurden verlassene Ställe in ein Hotel mit Gourmet-Restaurant verwandelt. Und auf der Mittelmeerinsel Ventotene wirbt der Bürgermeister um Migrantenkinder, damit die Schule nicht geschlossen wird. In Tripi wird sich im nächsten Frühjahr zeigen, ob die einzige Bar des Ortes noch geöffnet ist. Ohne die Aussicht auf einen Cappuccino zum Frühstück oder eine Granita mit Brioche dürfte hier gar kein Haus mehr verkauft werden. (mit dpa)

Weitere Informationen unter: https://www.immobiliare.it/

https://de-de.facebook.com/Immobiliare-Cilibrasi-879181632156149/

https://www.booking.com/hotel/it/casa-monsignore-tripi.it.html

http://www.comune.tripi.me.it/

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