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Hektik kennt man in Ketzin nicht. Das Städtchen liegt mit dem Auto nur eine halbe Stunde von Berlin entfernt.

©  Stadt Ketzin/Havel

Idylle mit Wachstumsschmerzen: Wohnen an der Havel wird immer teurer

Ketzin an der Havel war lange ein Geheimtipp. Doch auch hier haben sich die Preise inzwischen verdoppelt.

Immer mehr Berliner und Potsdamer entdecken das Havelland als neuen Wohnort, etwa das westlich gelegene Städtchen Ketzin. Seit gut drei Jahren, berichtet Bürgermeister Bernd Lück, hat sich der Zustrom verstärkt. Kitaplätze und Seniorenwohnungen sind knapp geworden. „Die Entwicklung hat uns überrollt“, so Lück. Der 6500 Einwohner zählende Ort war lange ein Geheimtipp. Doch jetzt platzt er aus allen Nähten. Zwei größere Neubauprojekte an den Silos und hinter der Feuerwache sollen für Entlastung sorgen.

Auf dem Gelände am ehemaligen Kraftfuttermischwerk könnten in der „Wasserstadt“ 500 lukrative Wohnungen entstehen. Das österreichische Unternehmen S Immo hat das Grundstück im Dezember 2018 übernommen. „Aktuell befinden wir uns im Ideenaustausch mit der Stadt Ketzin“, berichtet Robert Neumüller, Geschäftsführer von der S Immo Germany GmbH.

Bürgermeister Lück hat den Investoren seine Vorstellungen schon verdeutlicht: „Wir brauchen natürlich auch eine Kita, vielleicht auch eine Schule und ein Hotel. Das wird ein neuer Stadtteil für 1500 Menschen. Dann haben wir bald mehr als 8000 Einwohner“, schwärmt er.

Weiter fortgeschritten ist das Projekt „Baumschulwiese“ auf einer fast vier Hektar großen Fläche zwischen Feld-, Rudolf- Breitscheid- und Potsdamer Straße. Vor einem Jahr hat die Gemeindevertretung einen Bebauungsplan aufgestellt. Auf dem brachliegenden Gelände hinter der Feuerwache sollen knapp 180 Wohnungen für bis zu 500 Menschen errichtet werden.

Das Potsdamer Unternehmen „Leonwert“ steht hinter dem Projekt. Lück: „Der Bauantrag für die Erschließung ist eingereicht, aber noch nicht genehmigt. Ich hoffe sehr, dass wir noch dieses Jahr beginnen können. In zwei, drei Jahren könnten wir fertig sein.“ Eine Kita, ein Kinderspielplatz und Seniorenwohnungen sind im Bebauungsplan festgeschrieben.

Ketzin liegt gut eine halbe Stunde von Berlin entfernt

Obwohl bisher noch kein Kubikmeter Erde auf der „Baumschulwiese“ bewegt wurde, gibt es schon eine muntere Nachfrage. „Die Hälfte der Wohnungen ist bereits weg“, sagt Lück. Die Interessenten, oft junge Familien mit zwei bis drei Kindern, kommen aus dem Ort, aus der Nachbarschaft, aber auch aus Potsdam und Berlin. Sandra Sowitzki von der Leonwert-Gruppe bestätigt die starke Nachfrage: „Ich führe schon eine Liste mit Bewerbern.“ Die Projektleiterin kann im Moment aber noch nicht sagen, wann die kleine Siedlung bezugsfertig ist.

„Wohnen, wo andere Urlaub machen“, mit diesem Slogan wirbt die GWV, die kommunale Wohnungsbau- und Verwaltungsgesellschaft mbH Ketzin, an ihrem Büro in der Karl-Liebknecht-Straße mit Blick auf die Schiffsanlegestelle für das Zusammenleben in dem kleinen Havelstädtchen. Dort und in den Ortsteilen Brückenkopf, Etzin, Falkenrehde, Paretz, Tremmen und Zachow betreut sie als Nachfolgerin der VEB Gebäudewirtschaft Ketzin an die 600 Wohnungen.

Keine Großstadthektik

Ketzin, mit dem Auto eine gute halbe Stunde von Berlin, ist ein ziemlich idyllischer Flecken fernab jeglicher Großstadthektik. Die Lage an der Havel und inmitten von Seen macht den Ort zu einem begehrten Ziel von Touristen und Tagesausflüglern. Fahrten auf den Gewässern und Wanderungen in der Natur locken Gäste von nah und fern.

Auch die Einheimischen wohnen gern hier. „Wir haben eine sehr aktive Wohnungsgesellschaft, die sich um die Häuser kümmert, die Gebäude restauriert und die Gemeinschaft fördert“, sagt eine Ketzinerin, die schon vor einiger Zeit von Potsdam aus zugezogen ist. Neubürger sind in der Gemeinde gern gesehen. Schon seit der Jahrtausendwende wächst Ketzin, zuerst nur moderat, zuletzt aber mit stark zunehmender Tendenz.

Wohnungen sind knapp

Doch Wohnungen sind knapp. Die GWV hat zurzeit gerade ein freies Angebot. Die von Grund auf renovierte Zweizimmerwohnung im ersten Obergeschoss in Zachow mit Einbauküche und 105 Quadratmetern Fläche in einem freistehenden Mehrfamilienhaus mit fünf Parteien, Baujahr 1920, kostet monatlich 630 Euro Kaltmiete zuzüglich Nebenkosten von 300 Euro, Gartenmitbenutzung inklusive.

Die größeren Neubauvorhaben von auswärtigen Investoren sind nicht bei allen Ketzinern wohlgelitten. „Die machen Gewinne mit den Häusern, und für die Infrastruktur wie Kitas und Straßen muss dann die Allgemeinheit aufkommen“, so eine Einheimische. Diesem Eindruck tritt der Bürgermeister entgegen. „Wir haben mit städtebaulichen Verträgen festgelegt, dass die Bauherren die Kita selbst errichten oder das Geld dafür bereitstellen“, sagt er.

Bei der GWV hatte man Befürchtungen, dass größere Neubauobjekte von Privatinvestoren eventuell zu einer Abwanderung aus den eigenen Beständen führen könnten. Sie reagiert auf die gesteigerte Nachfrage vor allem nach Seniorenwohnungen und plant aktuell den Bau eines Mehrfamilienhauses mit 23 Mietwohnungen und mit Angeboten des betreuten Wohnens.

Das Grundstück für die „Residenz am Stadtpark“ wurde bereits 2017 erworben. Der viergeschossige Bau entsteht in der Theodor-Fontane-Straße auf einem Areal, das früher mit einer Kaufhalle belegt war. GWV-Geschäftsführerin Doreen Wagenschütz hofft, dass schon Ende 2020 die ersten Bewohner einziehen können.

Große Nachfrage von Eigenheimern

Für interessierte Eigenheimer gibt es in der Region nur wenige Kaufofferten. Bürgermeister Lück weiß um die große Nachfrage, muss aber auch zugeben, dass im Moment nicht alle Wünsche in Erfüllung gehen können. Beim Immobilienhändler vor Ort wird ein Haus mit 90 Quadratmetern Wohnfläche plus 43 Quadratmetern im Souterrain auf einem 1600 Quadratmeter großen Grundstück für 270 000 Euro angeboten. Als Schnäppchen kann man das sicher nicht bezeichnen. Die Zeiten vom günstigen Immobilienerwerb gehören auch in Ketzin der Vergangenheit an. Die Grundstückspreise haben sich innerhalb der letzten drei Jahre verdoppelt.

Bei der GWV jedenfalls tut man viel für die Kundenbindung und nimmt den Unternehmensslogan „Gemeinschaftlich wohnen verbindet“ durchaus wörtlich. In einer Schauküche wird regelmäßig gekocht, gegart und gegrillt. Es gibt einen Clubraum, eine Gästewohnung und einen Wettstreit um den schönsten Balkon und Vorgarten.

Beim nunmehr schon 29. Ketziner Fischerfest vom 16. bis 18. August ist die Vermietungsgesellschaft wieder mit vollem Einsatz dabei. Vergangenes Jahr wurde ihr Umzugswagen mit dem Motto „Münchhausen grüßt Ketzin“ als drittbeste Präsentation ausgezeichnet.

Schon am 30. Juni steht ein anderer Höhepunkt ins Haus. Dann startet am Ketziner Strandbad zum dritten Mal der „Fischerman“, ein noch junger Volkstriathlon. Auch da ist der Andrang erheblich. Die sportliche Veranstaltung im Wasser und auf Land, ausgelegt für 300 Teilnehmer, ist schon seit Längerem ausgebucht. Gut möglich, dass manch angereister Sportler auch noch auf den Gedanken kommt, künftig nicht nur zum Wettkampf im westlichen Havelland zu weilen.

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