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Ausgrenzung durch ein Leben am Existenzminimum betrifft in Berlin ein Fünftel der Bevölkerung, vor allem Migranten und Kinder.

© Rolf Vennenbernd/dpa

Habitat III-Konferenz in Quito: "Es sollte bezahlbaren Wohnraum für alle geben"

Die neue Agenda der Vereinten Nationen propagiert nachhaltige Stadtentwicklungen.

Habitat III ist die große Konferenz der Vereinten Nationen zum Thema Stadtentwicklung. Sie findet nur alle 20 Jahre statt. Ab 17. Oktober ist es wieder so weit – in Quito/Ecuador. Dort soll eine New Urban Agenda zur nachhaltigen Entwicklung der Städte in aller Welt verabschiedet werden. Kaj Fischer beantwortete die Fragen zum Habitat-Prozess als Mitarbeiter der Berliner Denkfabrik Adelphi.

Herr Fischer, welche Teile der New Urban Agenda betreffen Städte in Industrieländern, und haben wir überhaupt etwas damit zu tun?
Grundsätzlich betrifft die ganze Agenda auch Industrieländer. Aber in Deutschland ist vieles schon Normalität, was im Entwurf der New Urban Agenda erst noch gefordert wird. Zum Beispiel Transfermechanismen, die eine gleichmäßige territoriale Entwicklung fördern. Das gibt es in Deutschland mit dem Länderfinanzausgleich schon.

Trotzdem könnte man annehmen, dass Berlin in der Stadtentwicklung noch besser werden kann.
Schaut man als Berliner auf Berlin, gibt es auf jeden Fall noch einiges zu tun. Was den Klimaschutz angeht, kann Berlin sicher mehr machen, auch mehr, als in der New Urban Agenda gefordert wird. Das Gleiche gilt für die Inklusion. Da tut Berlin viel, aber gemäß der Agenda müssten sämtliche U- und S-Bahnhöfe barrierefrei sein. Davon sind wir noch weit entfernt.

Ein weiteres Thema ist die städtische Armut – also allen Bürgern die Möglichkeit zu geben, ein selbstbestimmtes Leben in Würde zu führen. Das ist in Berlin noch immer ein Problem. Klar, es gibt das Quartiersmanagement und das Förderprogramm „Soziale Stadt“ des Bundes. Aber es gibt eben auch Bezirke, die als abgehängt zu bezeichnen sind. Da noch aktiver gegenzusteuern, ist eine der großen Herausforderungen, vor denen Berlin steht.

Und nicht zuletzt der Wohnraum. Es sollte ja eigentlich bezahlbaren Wohnraum für alle geben. Das wurde in der Habitat-Agenda vor 20 Jahren festgelegt und jetzt noch einmal bekräftigt. Das ist eine Debatte, die wir momentan auch in Berlin ganz intensiv führen und führen müssen.

Kaj Fischer befasste sich als Projektmanager in der Berliner Denkfabrik Adelphi mit urbaner Transformation und Klimaschutz. Seit Kurzem arbeitet er als freier Berater.
Kaj Fischer befasste sich als Projektmanager in der Berliner Denkfabrik Adelphi mit urbaner Transformation und Klimaschutz. Seit Kurzem arbeitet er als freier Berater.

© TSP Adelphi

Bürgerbeteiligung ist wahrscheinlich auch ein Thema.
Hier passiert so einiges, aber wie viel kann man als Bürger wirklich bewirken? Aktuelles Beispiel ist die Neugestaltung des Rathausforums am Alexanderplatz. Da gibt es einen Beteiligungsprozess, aber ist der wirklich so, dass man als Einzelner denkt: „Da ist mein Beitrag tatsächlich gefragt“?

Was sehr interessant ist: Es gibt ein sogenanntes Konzeptverfahren zur Vergabe von Bauland, das die Berliner Verwaltung entwickelt hat. Dabei kommt es nicht auf ein Höchstgebot an, sondern auf innovative Ansätze zur Nutzung der Grundstücke. Das wurde beispielsweise für ein Baufeld am Jüdischen Museum, dem ehemaligen Blumengroßmarkt, angewandt. Dort wurden Bürger in einer eigens eingerichteten „Bauhütte“ über einen längeren Zeitpunkt in die Planung des Areals einbezogen.

Was hätte Berlin denn konkret von der New Urban Agenda?
Dass noch einmal neuer Schwung in die Debatten kommt, die schon geführt werden. Über das Recht auf Stadt, also wem Berlin gehört. Woher wir die Wohnungen bekommen. Wie wir Migranten, Flüchtlinge und Benachteiligte integrieren. Wenn man als Aktivist, Ehrenamtler oder Verein sagen kann: Die internationale Gemeinschaft hat diese und jene Position dazu, hat das ein anderes Gewicht.

Darüber hinaus kann Berlin international als Vorreiter wahrgenommen werden, wenn sich die Stadt weiter im Sinne der New Urban Agenda entwickelt. Berlin gilt als Fahrradstadt, auch wenn man das als Fahrradfahrer in Berlin selbst vielleicht anders sieht. Das Gleiche gilt für den öffentlichen Nahverkehr. Gäste aus dem Ausland erzählen immer wieder, wie wahnsinnig toll das ist, dass man hier jederzeit zum Bahnsteig gehen kann und fast immer sofort ein Zug kommt. Mit dieser Wahrnehmung ist auch ein gewisses Prestige verbunden.

Die Verhandlungspartner konnten sich im Vorfeld allerdings nicht so schnell wie geplant auf einen Vertragsentwurf für die Konferenz einigen. Wo hakte es?
Ein großes Problem war, dass sich die Entwicklungsländer sehr stark positioniert haben, dass die UN-Organisation für Stadtentwicklung mehr Aufgaben bekommen soll. Das sehen andere Länder sehr kritisch, und da gab es kaum Verhandlungsbereitschaft.

Inzwischen liegt nun doch ein Vertragsentwurf auf dem Tisch. Wie bewerten Sie ihn?
Es ist ein erstaunliches Ergebnis. Erstaunlich einerseits, weil überhaupt ein inhaltlicher Kompromiss erreicht wurde, andererseits, weil einige wirklich progressive Abschnitte zu finden sind. Die Diskussion um UN Habitat wurde elegant umschifft, indem nun eine ausführliche Bewertung mit anschließender Beschlussfindung durch die UN Generalversammlung gefordert wird. Zu den wirklich starken Punkten zählt aber, dass Zivilgesellschaft und Kommunen als zentrale Akteure benannt und anerkannt werden.

Werden Städte damit auch mehr Finanzmittel und mehr Rechte bekommen?
Schwierig. Der Entwurf spricht eine stärkere Koordinierungsrolle von Verwaltungen und Stadtregierungen an. Es gibt verschiedene Hinweise darauf, dass man bessere Rahmenbedingungen braucht, aber eben wenig Spezifisches. Am Beispiel Finanzierung wird das deutlich. Der Text spricht davon, dass man ein nachhaltiges Schuldenmanagement braucht. Dass man die Möglichkeit für Städte stärken sollte, sich Geld am Finanzmarkt zu besorgen. Dass man einen Markt für städtische Anleihen, sogenannte Citybonds, aufbaut. Nur wie das konkret umgesetzt werden soll, wird nicht weiter ausgeführt.

Für Berlin ist interessant, dass die New Urban Agenda einen direkten Zugang für Städte zu globalen Fonds herstellen will. Beispielsweise zum Green Climate Fund, zur Green Environmental Facility und zu den verschiedenen Anpassungsfonds. Das globale Finanzierungsinstrumentarium soll also für Städte zugänglicher werden.

Das hört sich erst mal nicht so an, als ob die Städte durch die New Urban Agenda sehr viel bessergestellt werden.

Ein großes Hindernis bleibt, dass es immer noch die Nationalstaaten sind, die die New Urban Agenda verabschieden. Es ist nicht so wahrscheinlich, dass Staaten ihren Städten mehr Mitbestimmungsrechte geben, selbst wenn die New Urban Agenda nur eine nicht-bindende Vereinbarung ist. Immerhin wird betont, dass Städte wichtig sind, und das ist durchaus ein Fortschritt. Dafür hat sich die UCLG, der globale Dachverband der Städte und Kommunalverbände, sehr stark eingesetzt. Aber die Formulierungen sind nicht so verbindlich, wie alle gehofft haben.

Das Interview führte Susanne Ehlerding.

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