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In Bogensee könnten 4000 bis 4500 Bewohner ein neues Zuhause finden, auch in den Räumlichkeiten der ehemaligen FdJ-Hochschule.

© Johanna Steinke/BIM

Goebbels-Villa: "Bogensee ist ein böser Ort“

Berliner Immobilienmanagement (BIM) stellt Wohnbebauung Berlins in Brandenburg zur Debatte. Ein Gastbeitrag als Replik auf einen Vorschlag

So erfreulich der Bericht „Berliner Satellit im märkischen Wald“ über die Schorfheide und Bogensee in der Ausgabe vom 26. September 2020 ist, so sehr führt der oben genannte Beitrag doch in die Irre und an den historischen Gegebenheiten vorbei.

Es ist richtig: Berlin leidet unter den Folgen einer Wohnungsnot infolge der Verkäufe in den 2000er Jahren und infolge mangelnden Neubaus und braucht dringend Flächen für den Wohnungsbau. Auch wächst die Stadt unkontrolliert und oft planlos ins Umland und es entstehen überall im brandenburgischen Speckgürtel belanglose Einfamilienhausteppiche. Konzepte für eine länderübergreifende Verkehrswende sind trotz manchen Geredes auch nicht in Sicht. Die historisch bedeutsame Enklave Bogensee zum idyllischen Wohnquartier im brandenburgischen Kiefernwald zu machen, ignoriert völlig den genius loci dieses Ortes, der mit beiden deutschen Diktaturen eng verwoben ist.

Der nationalsozialistische Propagandaminister Joseph Goebbels ließ sich am Bogensee ein üppiges Stück Land für private Zwecke schenken und errichtete in zwei Bauphasen am Bogensee ein privates, abgeschiedenes Refugium. Die Villa ist erstaunlicherweise weitgehend unversehrt erhalten und hat mit seinen hoch funktionalen Räumen und versenkbaren Panoramafenstern à la Mies van der Rohe beinahe etwas Modernes. Glaubt man dem langjährigen Hausmeister, sind die Räume noch funktionstüchtig. So beschaulich das Anwesen trotz Leerstand und Verfall daherkommt – es ist ein böser Ort. Nicht wenige Künstlerinnen und Künstler hatten hier dem Kulturdiktator des NS-Regimes zu huldigen. So machte er sie für seine Zwecke und die des Regimes gefügig. Den Ort dem Boden gleichzumachen, wie die nahegelegene Residenz Carinhall des zweiten Mannes im NS-Reiche, Hermann Göring, war für die SED nach der Parteigründung keine Option. Die neue Partei plante vielmehr den Aufbau einer Parteischule, wurde im weitgehend zerstörten Berlin nicht fündig und so kam die ehemalige Goebbels-Residenz gerade recht, bot sie doch für die Anfänge der Schule hinreichend Platz und war zudem abgeschieden vom öffentlichen Leben der Großstadt. Wolfgang Leonhard („Die Revolution entlässt ihre Kinder“), der aus seinem Moskauer Exil in die DDR zurückkam, war einer der ersten Lehrer in Bogensee, bevor er 1949 zunächst nach Jugoslawien und später in die Bundesrepublik flüchtete.

Kurz vor der Wende wurde noch ein Plattenbau hinzugefügt

Doch die NS-Villa wurde rasch zu klein und so wurden die Architekten Hermann Henselmann und Kurt Liebknecht gebeten, eine neue Schule in unmittelbarer Nachbarschaft zu entwerfen. Die ersten Skizzen einer Waldschule mit Pavillons im brandenburgischen Kiefernwald wurden jedoch vom Parteivorsitzenden Walter Ulbricht in Bausch und Bogen verrissen. Der forderte nun eine sozialistische und staatstragende Architektur für den Schulcampus. Innerhalb weniger Wochen wurde der Entwurf neu gezeichnet, nun im Stil der Nationalen Tradition mit Säulen, Balustern und allerhand Fassadenapplikationen. Der Bau wurde dann innerhalb kurzer Zeit realisiert. Rotes Kloster nannten es Spötter treffend. Recht spät und kurz vor dem Ende der DDR wurde noch ein Wohngebäude ergänzt, der einzige Plattenbau der DDR, der die vorgebliche Nationale Tradition tradiert und sich behutsam in den Gesamtkontext einfügt. Alleine das ist schon ein bauhistorisches Kuriosum und leider von der Denkmalpflege bis heute nicht gewürdigt.

So falsch der Ort für eine Jugendschule am Anfang war, so richtig war es, diesen Ort zum internationalen Bildungsort für junge Menschen zu erklären. Nicht verschwiegen werden sollte jedoch, dass der Besuch der Kaderschmiede oftmals nicht freiwillig erfolgte und dort junge Menschen aus den Ostblockstaaten auf den Systemwechsel und den antikapitalistischen Kampf eingeschworen wurden.

Zum kulturellen Leben in Bogensee gehörten Konzerte, Theater- und Tanzveranstaltungen und sogar Bundeskanzler Helmut Schmidts berühmte Pressekonferenz am 13. Dezember 1981 während seines DDR-Besuches fand hier statt. Architektur und die großartigen Innenräume der Parteischule sind bis heute zu bestaunen. Bis auf einige undichte Dächer und Fassaden ist noch alles vorhanden und das Land Berlin als Eigentümerin lässt sich den Erhalt und den Kampf gegen Vandalismus und Zerstörung einiges im Jahr kosten.

Das Areal am Bogensee gehört zur Gemeinde Wandlitz am Stadtrand Berlins.
Das Areal am Bogensee gehört zur Gemeinde Wandlitz am Stadtrand Berlins.

© Rita Böttcher

Der Campus Bogensee braucht auch in Zukunft eine große und vor allem internationale Bühne. Er braucht engagierte Streiter und Kreative, die diesen durch und durch politischen Ort neu codieren und weitererzählen. Der Wohnungsbau, gar mit beschaulichen Balkonen und Geranien davor, kann diese Antwort nicht sein, auch wenn Berlin aus allen Nähten platzt. Zu dieser Antwort kamen auch Vertreter*innen der Jungen Genossenschaften, als sie im letzten Jahr Gebäude und Anlage in Augenschein nahmen.

Ein großes Kunstquartier, eine NS-Dokumentationsstätte, die sich vor allem mit dem Kunstschaffen im Dritten Reich auseinandersetzt, Theaterbühne und Atelierräume für Künstler*innen aus der ganzen Welt könnten hier ein neues Zuhause finden. Es gibt die großen Kulturbauten mit ihren Bühnen und ein Sommertheater – sie warten nur darauf, wieder bespielt zu werden.

Berlins Universitäten könnten Bogensee als Cité universitaire bespielen

Auch für die Wissenschaft könnte der Ort entwickelt werden: Eine Cité universitaire nach Pariser Vorbild und mit international ausgerichteten Hochschulangeboten könnten im Brandenburgischen Wald angesiedelt werden. Nicht in privater Verantwortung, sondern in der Verantwortung der vier Berliner Universitäten und übrigen Hochschulen, die einen solchen Ort locker bespielen könnten, wenn sie nur wollten. Seminar-, Wohn- und Sportflächen gäbe es genug. Stattdessen verkümmert die Anlage in der Berliner Immobilienverwaltung, dabei gehörte sie auf den Tisch des zuständigen Wissenschaftssenators und Regierenden Bürgermeisters. Andere europäische Metropolen würden sich die Finger danach lecken, einen solchen Schatz entwickeln zu dürfen. Wer ergreift die Initiative für einen internationalen Ideenwettbewerb, der auch öffentliche neue Verkehrsanbindungen schafft? Denn das ist die Voraussetzung für jede Entwicklung des Ortes.

Mit dem Fahrrad, so wie es die Jungen Genossenschaften vorgemacht haben, lässt sich die Schorfheide zwar gut erkunden – als Massenbeförderungsmittel eignet es sich nicht. Aber da wären noch die Heidekrautbahn – auch ein seit Jahrzehnten diskutiertes Verkehrsprojekt – und Elektroshuttlebusse in den historischen Ort Bogensee.

Der Autor ist Sprecher der „Schaustelle Nachkriegsmoderne“.

Andreas Barz

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