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Das einstige Verwaltungsgebäude des ehemaligen Fritz-Werner-Werkes, eine Werkzeugmaschinenfabrik in Berlin-Tempelhof, wurde in den 1930er Jahren erbaut und steht unter Denkmalschutz. Ab 1960 diente es als Zentrale der Supermarktkette Reichelt.

© CG Elementum

Erstunterbringung: Der Schlüssel für ein Zuhause

Die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine brauchen Unterkünfte. Doch bei Angeboten ist Berlin wählerisch.

Sie sind nicht gekommen, um zu bleiben. Doch Kriegsflüchtlinge suchen auch in Deutschland ein Zuhause. Wer etwa vorübergehend als Mutter mit schulpflichtigem Kind bei Berliner Gastgebern untergekommen ist, braucht für die Schule eine sogenannte Wohnungsgeberbescheinigung, die für die Meldebehörde gebraucht wird. Nicht jeder Helfer will oder darf aber längerfristig Wohnraum an Flüchtlinge untervermieten. Und was ist mit jenen, die sich auf dem „freien“ Wohnungsmarkt umschauen müssen? Berlin könnte also angesichts des ohnehin schon herrschenden Wohnraummangels in der Stadt froh sein über jede Unterkunft, die ihr für eine längerfristige Vermietung angeboten wird. Doch das ist sie nicht, wie ein Beispiel aus dem Bezirk Tempelhof-Schöneberg zeigt.

„Das Bestandsgebäude in der Daimlerstraße 97–111 punktet mit einer schnellen Anbindung an die Stadtautobahn, über die alle Ziele in und um Berlin einfach und schnell zu erreichen sind"“, heißt es auf der Homepage des Anbieters. Der dortige Hinweis auf die Historie des Gebäudes könnte ein positives Signal sein. Schließlich litten auch Ukrainer im Zweiten Weltkrieg unter der deutschen Wehrmacht. Das um 1938 erbaute Fabrik- und Verwaltungsgebäude der Fritz Werner AG erinnert nicht nur an die Hochrüstung der 1930er Jahre, sondern auch an die von Albert Speer durchgeführte Neugestaltung der Berliner Innenstadt. Nationalsozialisten entwickelten überdies die Idee, in der Ukraine 20 Millionen Deutsche anzusiedeln („Generalplan Ost“).

Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten verweist auf Verteilmechanismus

Doch das LAF winkt ab, wenn es um diese Immobilie in Marienfelde (Tempelhof) geht – und wohl auch um andere: „Aktuell werden aus der Ukraine geflohene Menschen bereits bei ihrer Einreise über den Bund im Bundesgebiet verteilt“, schreibt das Amt unter dem Datum 29. März an die CG Elementum (Berlin): „Dies hat zur Folge, dass sich der aktuelle Bedarf an Unterbringungsplätzen im Land Berlin verringert hat.“ Kein Bedarf?

Metropolen wie Berlin sahen sich zuletzt wegen der vielen Geflüchteten aus der Ukraine schon am Limit. Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) und Berlins Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales, Katja Kipping (Linke), drängten energisch auf eine bessere Verteilung und Steuerung der Flüchtlingswellen. Die Bundespolizei hatte seit dem Kriegsbeginn am 24. Februar bis 10. April mehr als 320000 Kriegsflüchtlinge festgestellt. Und dies sind nur die offiziellen Zahlen. Da Ukrainer visumsfrei einreisen dürfen, weiß niemand, wie viele Menschen aus dem Kriegsgebiet sich tatsächlich in Deutschland aufhalten.

Nach Einschätzung des bayrischen Innenministers Joachim Herrmann (CSU) sollte der Bund mehr tun, wenn es um die Unterbringung von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine geht. „Eine der größten Herausforderungen wird vor allem sein, genügend Wohnraum für Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine zu finden“, sagte er am vergangenen Sonntag. „Nur, weil Jobcenter die Wohnungsmiete finanzieren, ist noch kein Wohnraum da.“ Herrmann verwies darauf, dass ein Drittel der Kriegsflüchtlinge in Bayern erfasst wurden. „Viele davon müssen wir mit Wohnraum versorgen, vor allem wenn sich der Krieg noch länger hinziehen sollte.“ Diese Sorgen dürften Berlin in besonderer Weise umtreiben: Die Stadt hat eine größere geografische Nähe zu den Orten der grausamen Geschehen. Viele Kriegsflüchtlinge hoffen hier auf eine schnelle Rückkehr in ihre Heimat.

2016 waren hier 440 Geflüchtete untergebracht

Das war schon ab 2015 so. Nur waren es andere Flüchtlingsgruppen. Damals sah Berlin keine Probleme, in der Daimlerstraße 97–111 Menschen unterzubringen. Die Unterkunft wurde im Januar 2016 eröffnet.

2016 wurden in der Daimlerstraße 97-111 rund 440 Flüchtlinge untergebracht. Aktuell wurde die Immobilie aus brandschutztechnischen Gründen abgelehnt. Nach Angaben des Anbieters Christoph Gröner (CG Elementum) würden sich die Kosten für den Brandschutz auf etwa 400.00 EUR belaufen. Im Fall einer Inbetriebnahme vor dieser Installation wäre mit monatlichen Kosten in Höhe von 100000 EUR monatlich für eine Brandwache zu rechnen.
2016 wurden in der Daimlerstraße 97-111 rund 440 Flüchtlinge untergebracht. Aktuell wurde die Immobilie aus brandschutztechnischen Gründen abgelehnt. Nach Angaben des Anbieters Christoph Gröner (CG Elementum) würden sich die Kosten für den Brandschutz auf etwa 400.00 EUR belaufen. Im Fall einer Inbetriebnahme vor dieser Installation wäre mit monatlichen Kosten in Höhe von 100000 EUR monatlich für eine Brandwache zu rechnen.

© CG Elementum

„Nach Mitteilung des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) vom 6.7.2017 leben 441 geflüchtete Menschen in der genannten Unterkunft“, antwortete die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales auf eine Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Florian Graf (CDU) (Nr. 18/11663 vom 22.6.2017). Damals wurde, so heißt es in der Antwort des damaligen Staatssekretärs Daniel Tietze (Linke) für die Senatsverwaltung weiter, „Gebäudeteil A als Notunterkunft genutzt. Es sind jedoch Umbaumaßnahmen mit dem Ziel der Nutzung aller Gebäudeteile als Gemeinschaftsunterkunft unter Gewährleistung entsprechender Qualitätsanforderungen (einschließlich der Ausstattung der Wohneinheiten mit eigenen Sanitärbereichen) geplant; die Kapazität wird dann rd. 660 Plätze betragen.“ Bereits jetzt befänden sich Pantry-Küchen in den Wohneinheiten, die jedoch – aus Gründen des Brandschutzes – ohne Herdplatten seien. Für die Bewohnerinnen und Bewohner stünden Gemeinschaftsküchen einschließlich Herden auf den Etagen zur Verfügung.“

Anmietung von Wohnungen bevorzugt

Den mangelnden Brandschutz zieht das LAF nun heran, um CG Elementum eine Absage zu erteilen. Priorisiert werde „die Anmietung von bereits bestehenden, bezugsfertigen Immobilien, die sich baulich zur mittel- bis langfristigen, wohnähnlichen Unterbringung von geflüchteten Menschen eignen“.

Immobilienunternehmer Christoph Gröner, der für CG Elementum steht, sagt auf Anfrage, dass er den Bezirksbürgermeister von Tempelhof-Schöneberg, Jörg Oltmann (Bündnis 90/Die Grünen) als „einen sehr engagierten Bezirksbürgermeister kennengelernt habe, der mich persönlich aus dringenden Gründen zur Besichtigung des Projekts Daimlerstraße gebeten hat. Er erklärte, es wäre dem Anschein nach ein passendes Projekt, um Unterstützung für die Flüchtlingshilfe zu leisten“.

In der Flüchtlingskrise ab sollten an diesem Standort bis zu 1200 Menschen untergebracht werden.
In der Flüchtlingskrise ab sollten an diesem Standort bis zu 1200 Menschen untergebracht werden.

© CG Elelementum

Die geplante Entkernung der Immobilie habe er zugunsten der Ukraine-Flüchtlinge zurückgestellt, sagt Gröner. Insgesamt sei die technische Ausstattung des Gebäudes recht verbesserungswürdig. Doch er sei bereit, Vorleistungen zu erbringen: „Für die Ertüchtigungen hätten wir insgesamt Kosten in Höhe von 1,4Mio. EUR für folgende Gewerke übernommen: Brandmeldeanlage, Elektro, Heizung, Lüftung, Sanitär, Maler & Trockenbauarbeiten, Brandschutz, Duschcontainer, Gutachter und Fachplanerkosten.“

Gröner, als „Immobilienhai“ in Berlin in ideologisch linksgerichteten Kreisen schlecht beleumundet, hat nach eigenen Angaben in Berlin sechs freie Mietwohnungen aus dem privaten Bestand der Familie Gröner an ukrainische Familien vergeben. „Insgesamt konnten wir rund 20 Menschen in den vollständig ausgestatteten Wohnungen unterbringen", sagt er dem Tagesspiegel.

Pressestellen reagieren auf Anfragen sprachlos

Ob das LAF seit 24. Februar, dem Kriegsbeginn in der Ukraine, funktionsfähigen Wohnraum in Berlin akquirieren konnte, und welcher dringende Unterbringungsbedarf gesehen wird, war nicht in Erfahrung zu bringen. Weder die LAF-Pressestelle noch die ersatzweise befragte Pressestelle der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales reagierten in der Karwoche bis zum vorgezogenen Redaktionsschluss vor Ostern. Der BBU Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen e.V., der am 9. Juni 2020 im Rahmen eines Pilotprojektes mit dem Berliner Senat mehr Wohnungen für Geflüchtete suchen wollte, konnte auf Anfrage nicht sagen, wie viele Wohnungen seitdem für diesen Zweck akquiriert wurden.

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