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Beratungsbedarf. Die größte Reform des Wohnungseigentumsgesetzes seit 1951 hat für die Eigentümer von rund 10 Millionen Wohnungen gravierende gesetzliche Änderungen gebracht und neue offene Fragen aufgeworfen.

© Catherine Waibel/dpa-tmn

Eigentümer in der Coronakrise: Abstimmung mit Stimmbotschaften

Wie Immobilieninhaber in Wohnanlagen ohne Präsenzversammlungen Beschlüsse fassen können

Wegen der Corona-Pandemie gelten für Wohnungseigentümergemeinschaften (WEG) gesetzliche Sonderregeln. Die Gemeinschaften dürfen zum Beispiel auf Eigentümerversammlungen verzichten. Bestellte Verwalter bleiben auch ohne Beschluss im Amt und der bestehende Wirtschaftsplan in Kraft. Die seit dem Frühjahr 2020 geltenden Regeln sollten eigentlich Ende 2021 auslaufen. Der alte Bundestag hat sie in seiner letzten Sitzung aber bis 31. August 2022 verlängert. Das hat Vor- und Nachteile.

Viele Versammlungen finden nicht statt

Einerseits dienen die Vorgaben dem Schutz vor einer Ansteckung mit dem Corona-Virus – durchaus sinnvoll angesichts wieder steigender Zahlen. Andererseits bleiben in den WEG viele Dinge unerledigt, weil es ohne das Treffen der Eigentümer keine Entscheidung dazu gibt. Gabriele Heinrich vom Bonner Verein „Wohnen im Eigentum (WiE)“ befürchtet einen „Durchführungsstau“. Heinrich stützt diese Einschätzung auf eine Umfrage unter rund 2400 Eigentümergemeinschaften. Davon gaben rund 42 Prozent an, es habe seit 2019 keine Versammlung mehr gegeben. So bleiben Sanierungen aus und verteuern sich wegen der steigenden Baupreise. Sonderumlagen könnten fällig werden. Außerdem könnten missliebige Verwalter weiterarbeiten.

Kosten für Eigentümer steigen

Am Ende müssten Wohnungseigentümer mit höheren Ausgaben für die Verwaltung rechnen, stellt „Wohnen im Eigentum“ fest. Zu normalen Zeiten finden Eigentümerversammlungen in der Regel mindestens einmal im Jahr statt. Zuständig für die Einladung und die Organisation ist die Verwaltung. Der Verwalterverband VDIV Deutschland empfiehlt allerdings aufgrund der momentan geltenden Corona-Bestimmungen und dem damit verbundenen Risiko, keine Eigentümerversammlungen durchzuführen. Der aktuelle VDIV-Vorstoß bedeutet eine Entlastung der Verwalter, da das Arbeitsvolumen auf diese Weise reduziert wird. Verbandsgeschäftsführer Martin Kaßler („Unsere Branche arbeitet sich arm. Die Branche schafft sich ab.“) hatte sich 2018 dafür ausgesprochen, die Vergütungssätze um mindestens vierzig Prozent zu erhöhen. Grundsätzlich wären Hybrid- und Online-Versammlungen aus Sicht des Verbandes eine geeignete Lösung. Allerdings fehlten hierzu noch ausreichend rechtliche Grundlagen, um diese ohne Risiko auf Anfechtbarkeit durchzuführen. „In der Praxis behelfen sich einige wenige Immobilienverwaltungen derzeit mit digitalen Hilfskonstruktionen, um Beschlüsse zu fassen, die aber ebenfalls anfechtbar sind“, sagt Kaßler. „Wir halten es daher für unabdingbar, dass die Online-Eigentümerversammlung gesetzlich im Wohnungseigentumsgesetz zügig verankert wird – wie im Aktien- und Vereinsrecht bereits geschehen.“ Der VDIV hatte in einer Sonderumfrage zur Änderung des WEG-Rechts ermittelt, dass 59 Prozent der daran teilnehmenden 310 Unternehmen künftig verstärkt Wohnungseigentümerversammlungen mit der Möglichkeit zur Online-Teilnahme veranstalten wollen.

Der BVI Bundesfachverband der Immobilienverwalter empfiehlt seinen Verwaltern derzeit keine WEG-Versammlungen bei Geltung der 2G-Regeln abzuhalten. „Grundsätzlich können Eigentümerversammlungen weiter stattfinden und finden auch weiterhin statt“, sagt Geschäftsführer Oliver Möllenstädt auf Anfrage. Werde sich in Berlin in der Gastronomie versammelt, gelte 2G. Für die meisten Gemeinschaften dürfte das kein Problem darstellen. „Einige Gemeinschaften haben ja auch bereits Beschlüsse zur elektronischen Ausübung von Eigentümerrechten gefasst („hybride Eigentümerversammlungen“), sodass Eigentümer gegebenenfalls auch online teilnehmen können“, sagt Möllenstädt. Ein Risiko für die Gemeinschaft und den Verwalter bestehe dann, wenn Eigentümer, die aufgrund der 2G-Regel bei der Präsenzversammlung abgewiesen wurden, dagegen klagen. Dann könnte Nichtigkeit der gefassten Beschlüsse drohen.

„Wohnen im Eigentum“ empfiehlt nicht grundsätzlich, aufgrund der momentan geltenden Corona-Bestimmungen keine Eigentümerversammlungen durchzuführen. Es sollte stets im Einzelfall abgewogen werden, ob und wie eine Eigentümerversammlung stattfinden kann. Mithilfe der 2G-Regelung können WEGs die Durchführung einer Präsenz-Eigentümerversammlung regeln, solange es keine weiteren Einschränkungen gibt. In den meisten Fällen hätten es die Eigentümer „selbst in der Hand, für sich selbst die Teilnahmevoraussetzungen zu schaffen“, sagt Sprecherin Kathrin Reinhardt. Allerdings müssen WEGs die Online-Teilnahme erst beschließen – liegt kein Beschluss vor, ist die Online-Teilnahme an der Versammlung nicht rechtssicher und gefasste Beschlüsse können von Eigentümern angefochten werden. In dem Beschluss muss mindestens festgelegt werden, welche technischen Kommunikationsmittel die Eigentümer nutzen und welche Rechte sie online ausüben dürfen. Sind diese Punkte nicht enthalten, besteht das Risiko, dass der Beschluss wegen Unbestimmtheit von Miteigentümern angefochten werden oder sogar nichtig sein kann.

Eigentümer können selbst aktiv werden

Dem Verwaltungsbeirat räumt das WEG-Gesetz das Recht zur Einberufung des Eigentümertreffens ein. Dazu muss sich mehr als ein Viertel der Eigentümer hinter den Beirat stellen. Der wird zunächst selbst aktiv, indem er die Miteigentümer über das Vorhaben informiert und um Zustimmung bittet. Die Gründe und der Zweck der Versammlung sollten genannt sein. Die Information kann in Briefform erfolgen, oder digital über Messenger-Dienste, App, Mail und SMS. Faxen geht auch. Ganz ohne Beirat und Verwaltung kommen Eigentümer ebenfalls an das Ziel Eigentümerversammlung: Grundsätzlich ist die Verwaltung zu deren Einberufung verpflichtet, wenn mehr als 25 Prozent der Eigentümer dies verlangen.

Umlaufbeschluss erfordert Einstimmigkeit

Eine andere Option, um losgelöst vom WEG-Treffen Beschlüsse zu fassen, ist das Umlaufverfahren. Auf dem Weg können Eigentümer etwa die Jahresrechnung genehmigen oder kleinere Baumaßnahmen anschieben. Das Verfahren funktioniert so: Die Verwaltung macht einen Beschlussvorschlag, schickt diesen an die Eigentümer und bittet um Stimmabgabe und Rücksendung innerhalb einer bestimmten Frist. Jeder Eigentümer hat die Möglichkeit, entweder auf Papier oder elektronisch abzustimmen. Im Prinzip erfordert der Umlaufbeschluss Einstimmigkeit, um wirksam zu werden. Die Eigentümer können jedoch vorher festlegen, dass die einfache Mehrheit genügt.

Informationen in Online-Treffen geben

In der Praxis nutzen Verwaltungen und WEG Umlaufbeschlüsse eher selten. „In Ausnahmefällen haben wir auch Umlaufbeschlüsse durchgeführt“, sagt Sönke Bergemann, Geschäftsführer des auch als Verwalter tätigen Vereins Haus & Grund Kiel. Die Haus & Grund Bremen GmbH ist von Umlaufbeschlüssen wenig begeistert: Sie machen der Verwaltung viel Arbeit. In den neuen Verwalterverträgen, die Haus & Grund Bremen den Wohnungseigentümergemeinschaften anbietet, werden Umlaufverfahren „wegen des hiermit verbundenen Zusatzaufwandes“ künftig pauschal mit 1000 Euro („zuzüglich Mehrwertsteuer“) abgegolten – es sei denn, die WEG kann einen anderen Beitrag heraushandeln.

Versammeln mit Vollmacht

Haus & Grund-Geschäftsführer Bergemann (Kiel) setzte in den vergangenen Pandemiemonaten verstärkt auf eine dritte Option: eine Eigentümerversammlung mit möglichst wenigen Teilnehmern. Die Eigentümer erteilen der Verwaltung oder einem Miteigentümer eine Vollmacht, mit der diese in ihrem Sinne abstimmen (siehe dazu auch den unten stehenden Beitrag in der Rubrik „Vier im Recht“).

„Die Vollmachten waren mit Stimmbotschaften versehen, so dass der Wille der Eigentümer berücksichtigt wurde“, sagt Bergemann. Theoretisch könnte auf diese Weise eine Präsenz-Versammlung mit nur einem Teilnehmer stattfinden – der Verwaltung. Sofern sie die Vollmachten aller Eigentümer eingesammelt hat.

Reine Online-Versammlung wird es trotz Pandemie und neuem WEG-Gesetz so schnell nicht geben. Erstens sieht das Gesetz immer auch eine analoge Veranstaltung vor. Zweitens hält sich das Interesse von vielen WEG an der Digitalisierung in Grenzen. Und drittens sähen die meisten eine Online-Teilnahme nur als Notlösung, persönliche Treffen würden bevorzugt, hat „Wohnen im Eigentum“ beobachtet.

Die Haus & Grund Bremen GmbH wies in einer seiner Wohnungseigentümerversammlungen im November darauf hin, dass das neue WEG-Recht Verwaltern und Eigentümern vielen neue offene Fragen stelle: Wie solle mit großen Eigentümergemeinschaften verfahren werden, damit alle Eigentümer alle Miteigentümer online sehen und die Diskussionen verfolgen können? Es gebe technische Grenzen – zumal ohnehin fraglich sei, wer die Technik bereitzustellen und zu bezahlen habe. Wie solle schließlich das Thema Öffentlichkeit behandelt werden? Wer sitzt vor dem Bildschirm – bzw. dahinter? Immerhin sei es denkbar, dass Personen eine Online-Versammlung verfolgen, ohne dass sie gesehen werden und von der Teilnahme ausgeschlossen werden können. (mit dpa)

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