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Wirtschaft: Design bestimmt das solartechnische Sein

Wie ein notgelandetes blaues Ufo steht sie meistens auf dem Dach: die Solaranlage.Das muß nicht sein.

Wie ein notgelandetes blaues Ufo steht sie meistens auf dem Dach: die Solaranlage.Das muß nicht sein.Runde, bunte, hübsche Alternativen gab es vergangene Woche auf der "Solar Energy" zu sehen, der ersten Berliner Solar-Fachmesse.Mit ihr will die Hauptstadt den Anschluß an die rührige Solarszene der westdeutschen Provinz finden.

Einen fröhlichen Anblick bescherte dem Messebesucher das Solarwerk aus Teltow: Solarzellen in gleich acht Farben.In Dunkelblau selbstverständlich, der klassischen Kolorierung, gibt es sie, aber nun auch in Rot oder Grün oder - wer es gediegen mag - mit güldenen oder silbernen Oberflächen.So fällt die Anlage richtig auf.Doch nicht nur durch kräftige Farben, sondern auch durch eine clevere Steckvorrichtung fiel der Anbieter auf.Dadurch lassen sich die Solarzellen auf jeden beliebigen Dachziegel einfach aufstecken.

Nicht gar so kompatibel sind die Solarstromziegel des Dachpfannenkonzerns Braas.Sie wollen mit konventionellen Ziegeln eigener Fertigung kombiniert sein: Frankfurter, Doppel-S- und Tegalitpfannen.Teurer sind die Ökoprodukte von Braas auch.Für eine Anlage, die rund 1500 Kilowattstunden Strom pro Jahr produziert, verlangt der Hersteller rund 40 000 DM - 5000 DM mehr als das Solarwerk.

Für solche Preis- und Leistungsvergleiche ist die Berliner Messe der richtige Ort.Weniger erfreulich ist ein anderer Erkenntnisgewinn des Rundganges: Die technischen Grundlagen photovoltaischer Solarstromzellen und Sonnenkollektoren zur Warmwasserbereitung sind ausgereizt.Ausnahmen sind die Dachziegel mit integrierten Solarkollektoren im Angebot der Firma Sunshine Alligator.

Der Trend geht zu ästhetisch anspruchsvollen, auf die Gebäude der Baumeister maßgeschneiderte Lösungen.Derlei hat die Berliner Solon AG zu bieten.Der Newcomer unter den deutschen Modulherstellern stach nur wenige Jahre nach seiner Gründung die weltgrößten Hersteller von Standardmodulen bei denkbar prominenten Ausschreibungen aus: Solon bekam den Auftrag, das Dach des neuen Bundespräsidialamtes mit dem regenerativen Energieträger auszustatten."In den Wettbewerb gingen wir mit Modulen, die auf die Architektenwünsche angepaßt sind", so Solon-Geschäftsführer Reiner Lemoine.Schwarz sollten die Bausteine sein und ins Dachraster passen.Da das Dach einen elliptischen Grundriß hat, mußten Randmodule Rundungen aufweisen.Die Solon genügte diesen Ansprüchen, während ihre Wettbewerber mit Standardmodulen im Rennen waren - und leer ausgingen.

Daß auch Design das solartechnische Sein bestimmt, erfuhr die Solon auch bei einem zweiten, mit den Architekten des Umwelttechnikzentrums (UTZ) in Adlershof entwickelten Projekt.In die Fassade der Südhalle des UTZs wollten die Baumeister graue Solarstrommodule integriert wissen."Das Grau paßt viel besser zum Gebäude, vor allem zum Sichtbeton.Das Blau der marktüblichen Zellen hätte nur gestört", so UTZ-Architekt Gerd Begemann.Solon-Chef Lemoine: "Nach passenden Zellen haben wir lange gesucht." Fündig wurde er schließlich in den Vereinigten Staaten.

Solarstrommodule sehen nicht nur hübsch aus und liefern Strom, sie schützen die gläserne Empfangshalle des Gebäudes außerdem vor allzu starker Sonneneinstrahlung.Die Anlage im UTZ kostete 190 000 DM.Eine konventionelle Abschattung hätte mit 87 000 DM zu Buche geschlagen.Die Kosten für die Solarfassade betragen unter dem Strich also gut das Doppelte von konventionellen Lösungen.Zwar erzeugt die Ökotechnik Strom.Das sind jährlich aber nur rund 7000 Kilowattstunden.Den Mehraufwand fangen diese Einnahmen nur zu Bruchteilen auf, denn von der Bewag könnte der Mieter diese Strommenge für weniger als 3000 DM beziehen.

Billig sind Fassaden aus Solarstrommodulen nicht gerade: "Der Quadratmeter kostet 1200 DM bis 1500 DM", sagt Ousfama Chehab von der Pilkington Solar.Sie ist hierzulande seit langem Marktführer unter den Anbietern von Solarfassaden.Dieses Marktsegment legt jährlich noch stärker zu als die ohnedies wachstumsträchtige Solarbranche.Während letztere einen Zuwachs von 15 bis 20 Prozent verzeichnet, "steigt die Nachfrage nach integrierten Photovoltaikfassaden in Deutschland jährlich um 20 bis 25 Prozent", sagt Chehab.Daß die Kölner auf der Berliner Messe ausstellten, kam nicht von ungefähr.Die Rheinländer liefern die Mehrzahl der in Berlin montierten Solarfassaden.

Wer ins Pilkington-Auftragsbuch schaut, weiß, daß dies vorerst auch so bleiben wird: Hier ließ sich die Bundesregierung gleich zweimal eintragen, für die Solartechnik auf den Dächern des Reichstages sowie des Wirtschaftsministeriums.Das Sahnestück der Pilkington-Produkte ist ein Auftrag der Deutschen Bahn-AG: Die Photovoltaikanlage für den Lehrter Bahnhof.Die Module sollen einen Teil der Dachhaut des neuen Berliner Hauptbahnhofs stellen.Mit einer Stromleistung von 325 Kilowatt in der Spitze wird die Anlage die größte Berlins sein.

Doch auch solche für Berlin beachtliche Anlagen sind im Vergleich mit den Standards im Bundesgebiet provinziell.Im westfälischen Herne mit seinen 170 000 Einwohnern steht eine Anlage mit einem Megawatt Leistung.Neben der Solarstromanlage der Messe München ist dies die weltweit größte an einem Gebäude installierte Photovoltaik-

anlage.Der Neubau der in Herne angesiedelten Weiterbildungsakademie des Landes Nordrhein-Westfalen erreicht auch architektonisch neue Dimensionen.Ein Glaswürfel von 15 Metern Höhe wird neun eigenständige Ausbildungs- und Verwaltungsgebäude überdachen.Das Dach des Kubus wird Solarmodulen mit einer Gesamtfläche von 12 000 Quadratmetern Platz bieten.Die Solarzellen sind dabei in unterschiedlichen Abständen in die gläsernen Scheiben eingelegt.Manche Module lassen daher mehr, andere weniger Tageslicht durch.Es entsteht ein unregelmäßiges Spiel von Licht und Schatten, ähnlich dem, das Wolken am Himmel erzeugen.

Dieser neue Himmel über Herne kostet 15 Mill.DM.Auch hier ersetzen die Solarstrom-

elemente andere Baustoffe."Die Verschattung mit konventionellen Elementen hätte 7,5 Mill.DM gekostet", sagt Manfred Hegger, Architekt der Weiterbildungsakademie.Hegger befaßt sich seit einem Jahrzehnt mit Solararchitektur und gilt damit in einer vergleichsweise jungen Branche als alter Hase."Unter den Architekten sind die, die sich mit Solarstromanlagen auskennen, immer noch eine radikale Minderheit.Aber wir werden mehr", sagt Hegger.Er hält Photovoltaikmodule für einen Baustoff mit großer Zukunft: "Es gibt den Architekten völlig neue Mittel in die Hand." Als nächstes will Hegger eine Dreimegawattanlage errichten.Auch die wird im Kohlenpott errichtet, diesmal auf dem Dach einer ehemaligen Kokerei.

Berlin hat also noch einiges aufzuholen, will die Metropole in solaren Dingen Hauptstadt werden.Die "Solar Energy" könnte dazu der erste Schritt sein.Schließlich zeigt sie, daß Spree-Athen von der Provinz zu lernen bereit ist: Die Messe ist ein Import aus Hameln.

CHRISTOF HARDEBUSCH

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