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Altes Apparatehaus. Die 1906 in Adlershof angesiedelte Sprit- und Likörfabrik steht heute ungenutzt.

© Gerd. W Seidemann

Denkmalschutz in Adlershof: Bärensiegel-Areal wird Roller-Möbelmarkt

Vom "Alten Apparatehaus" in Adlershof stehen nur noch Außenmauern. Denkmalschützer finden das völlig in Ordnung.

Moment, haben wir uns verfahren? Sind wir in Babelsberg gelandet, wo Filmkulissen durch Schrägständerkonstruktionen vorm Umfallen bewahrt werden müssen? Nein, die Adresse stimmt: Adlershof, an der Ecke Adlergestell/Glienicker Weg. Das sogenannte Bärensiegel-Areal. Wo heute noch Baustelle ist, sollen bald Möbel und Kücheneinrichtungen an die Berlin-Südostler gebracht werden. Von den denkmalgeschützten Bauten des VEB Bärensiegel, eine der größeren Schnapsbrennereien der DDR, ist allerdings außer Fassaden nicht mehr sonderlich viel zu sehen. Allem Anschein nach hat der Abrissbagger mit Billigung der Denkmalschützer ganze Arbeit geleistet.

Wie hatte das Bezirksamt Treptow-Köpenick unlängst in Bezug auf das Grundstück verlautbart: „Das Vorhaben wird das seit Langem brachliegende … Grundstück unter Erhalt historischer Bauteile der denkmalgeschützten industriellen Anlagen und deren Einbeziehung in die Neubebauung neu ordnen.“ Ah ja. Man muss allerdings genau lesen. „… unter Erhalt historischer Bauteile …“, Betonung auf „-teile“. Denn das, was auf dem Grundstück schräg gegenüber von Obi-Bau- und Poco-Einrichtungsmarkt vom Denkmal „Altes Apparatehaus“ übrig geblieben ist, wird wohl kaum dem Denkmalschutzgedanken gerecht.

Geplant ist der Neubau eines Roller-Möbelmarktes

Am 23. März dieses Jahres wurde die Baugenehmigung für das geplante Bauvorhaben Umbau „Altes Apparatehaus“ erteilt, dem einstigen Kernstück des VEB Bärensiegel auf dem Grundstück Adlergestell 327–331. Geplant ist der Neubau eines Roller-Möbelmarktes einschließlich eines Küchenmarktes. „Unter besonderer Berücksichtigung der denkmalpflegerischen Belange“, schrieb am 28. März der Bezirksstadtrat für Bauen, Stadtentwicklung und Umwelt, Rainer Hölmer (SPD) in einer Pressemitteilung.

Das Grundstück liege innerhalb des Gebietes, für das am 2. Februar 2010 der Beschluss zur Aufstellung des vorhabenbezogenen Bebauungsplans 9-43 VE „Bärensiegel“ gefasst wurde. Das beantragte Vorhaben entspreche „hinsichtlich der Art und dem Maß der baulichen Nutzung den künftigen Festsetzungen des vorhabenbezogenen Bebauungsplans“. Dem Bauherrn wird’s recht sein.

Bauherr und Eigentümer der Liegenschaft ist die WVV Objekt Berlin Adlergestell GmbH, gegründet am 15. Dezember 1998 in Stuttgart. Mieter wird das Unternehmen Roller sein, das sich selbst als „Erfinder der Möbel-Discountpreise“ bezeichnet. Die Gesamtverkaufsfläche des Vorhabens umfasst knapp 10 000 Quadratmeter, auf denen die „Erfinder“ ihre Möbel und der Meda-Küchenfachmarkt sein Sortiment anbieten wollen. Die Roller GmbH & Co. KG mit Hauptsitz in Gelsenkirchen gilt mit nahezu 150 Einrichtungshäusern als Marktführer hierzulande. In Berlin gibt es bisher zwei Filialen, in Mahlsdorf und Lichterfelde. Wie auch Meda gehört der Handelsriese neben anderen zur Tessner Holding, Goslar. Die Gruppe zählt zu den Großen in der Möbelbranche in Deutschland.

Zu DDR-Zeiten wurde hier Wodka gebrannt

Wie an so vielen Industriestandorten im Südosten Berlins haftet auch an dem Grundstück Adlergestell 327–331 eine gehörige Portion Tradition. An dieser Stelle wurde bereits 1890 ein Werk für Laborpräparate der Chemischen Fabrik Kahlbaum gegründet. Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts ließ Johannes Kahlbaum dann auch reinen Alkohol destillieren und zwischen 1904 und 1906 nach Plänen des Architekten Max Jacob aus rotem Backstein die Gebäude am Adlergestell errichten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war in der DDR der Schritt von der Chemie zum Schnaps offenbar nicht groß. Auf Beschluss des Magistrats von Groß-Berlin vom 1. März 1949 wurde unter dem Namen VEB Großberliner Getränkeindustrie am Adlergestell ein Produktionsstandort gegründet, zur Umbenennung in VEB Bärensiegel kam es dann am 4. August 1950. Noch 1989 produzierte der VEB Bärensiegel mit etwa 400 Mitarbeitern 26 Millionen Flaschen Hochprozentiges wie etwa „Adlershofer Wodka“, „Berliner Klarer“, „Goldkrone“ und „Wurzelpeter“, die sich zum Teil heute noch im Sortiment des Weinunternehmens Franz Wilhelm Langguth Erben GmbH & Co. KG, Traben-Trarbach, großer Beliebtheit erfreuen. Die Produktion in Treptow wurde Mitte der 1990er Jahre aufgegeben.

Außer einer Backsteinfassade und zwei Türmen bleibt nichts stehen

Weil zwei Außenwände abgerissen wurden, bedürfen die zwei verbliebenen Fassaden heute starker Unterstützung.
Weil zwei Außenwände abgerissen wurden, bedürfen die zwei verbliebenen Fassaden heute starker Unterstützung.

© Kitty Kleist-Heinrich

Nun also das Ende vom Ende. Und Baustadtrat Hölmer ist „sehr erfreut, dass der Bezirk mit dem Investor ein tragbares Nutzungskonzept gefunden hat. Denn Denkmale können nur dauerhaft erhalten werden, wenn sie auch genutzt werden. Leerstand führt immer zum Zerfall“, wie er am 28. März der Öffentlichkeit mitteilt. Das Vorhaben werde das Brachgelände neu ordnen, das „einstige charakteristische Stadtbild bleibt im Wesentlichen erhalten“. Was in der Mitteilung an die Bürger seines Bezirks nicht steht: Außer einer Backsteinfassade und zwei in der Tat markanten Türmen des Denkmals bleibt nichts stehen beziehungsweise ist bereits dem Erdboden gleichgemacht worden.

Gleichwohl freut sich noch jemand im Bezirk. „Durch die Ansiedlung des Möbelmarkts wird ein erhaltenswertes Baudenkmal einer vernünftigen Nutzung zugeführt“, sagt Stefan Förster, Vorsitzender des Bezirksdenkmalrats Treptow-Köpenick.

Seit der Gründung des Rats 2013 steht Förster, der für die FDP im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt, ehrenamtlich dem Gremium vor. Hat nach seiner Kenntnis der Eigentümer irgendwas unternommen, um die denkmalgeschützten Gebäude zu sichern? „Der Eigentümer hat zumindest keinen bewussten Verfall produziert, sich aber wohl auch nicht um einen aktiven Erhalt bemüht. Was er aber gesetzlich auch nicht musste.“

Der Abriss entspreche den genehmigten Planungen

Wer das Denkmalschutzgesetz des Landes Berlin aufschlägt, liest im Zweiten Abschnitt, Allgemeine Schutzvorschriften, Paragraf 8, Erhaltung von Denkmalen: „(1) Der Verfügungsberechtigte ist verpflichtet, ein Denkmal im Rahmen des Zumutbaren instand zu halten und instand zu setzen, es sachgemäß zu behandeln und vor Gefährdungen zu schützen. Mängel, die die Erhaltung des Denkmals gefährden, hat er der zuständigen Denkmalbehörde unverzüglich anzuzeigen. (2) Der Verfügungsberechtigte kann durch die zuständige Denkmalbehörde verpflichtet werden, bestimmte Maßnahmen zur Erhaltung des Denkmals durchzuführen …“

Passiert ist jedoch allem Anschein nach nichts. Weder wurde die Eigentümerin der Liegenschaft je aufgefordert, die Gebäude zu erhalten, noch hat sie es von sich aus getan. Die Folgen ergeben sich aus der Antwort von Baustadtrat Hölmer auf unsere Anfrage: „Mit der denkmalrechtlichen Genehmigung wurden die denkmalrechtlichen Bedenken gegen den Abbruch des Gebäudekerns zurückgestellt. Bedingung dafür war der Erhalt der straßenseitigen Fassaden am Glienicker Weg und am Adlergestell, der zwei Türme und der Rekonstruktion bzw. Restauration der straßen- und rückwärtigen Mauereinfriedungen. Dem Abbruch des Gebäudeinneren war stattgegeben worden, da durch jahrelangen Leerstand, unterlassene Instandhaltungsmaßnahmen und Vandalismus die Substanz stark geschädigt war.“

Der gegenwärtige Abriss entspreche den genehmigten Planungen, heißt es. Mit anderen Worten: alles in Ordnung.

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