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Jörg Haspel ist seit 1992 Landeskonservator und Leiter des Landesdenkmalamtes Berlin.

© Wolfgan Bittner

Denkmalschützer Jörg Haspel: „Eine Zukunft für die Vergangenheit schaffen“

Berlins oberster Denkmalschützer geht in Rente. Was ist erreicht, was wünscht er sich? Ein Gespräch.

Herr Professor Haspel, an diesem Wochenende feiern wir den „Tag des offenen Denkmals“. Um welche Berliner Denkmäler machen Sie sich aktuell große Sorgen?

Es gibt eine Reihe von Denkmälern, die seit Längerem unsere Sorgenkinder sind. Nehmen Sie zum Beispiel ein Objekt wie das Waldhaus in Buch, das einer unsicheren Zukunft entgegengeht. Es gibt andere Langzeitkranke wie das Eierhäuschen im Plänterwald, wo wir erst seit Kurzem sehr zuversichtlich sind, dass es eine gute Entwicklung nimmt. Und wir haben natürlich auch solche Objekte wie den Rundlokschuppen in Pankow, wo sich das Landesdenkmalamt zusammen mit dem Bezirk für die Sicherung des Baudenkmals einsetzt und daran arbeitet, dass wir in absehbarer Zeit zu Lösungen kommen, die auch finanziell verkraftbar und tragfähig sind für spannende Nutzungen.

Ihr Landesdenkmalamt ist bezirksübergreifend die Fachbehörde für Denkmalpflege in Berlin. In einigen Monaten gehen Sie in den Ruhestand. Was waren Ihre schmerzvollsten Niederlagen?

Auf der Verlustliste stehen zum Beispiel die Deutschlandhalle oder das „Ahornblatt“ in Mitte mit der Betonschalenkonstruktion, die wir nicht retten konnten. Andererseits gibt es viele unerwartete Wendungen – zum Beispiel konnte das Staatsratsgebäude erhalten oder das „Haus des Lehrers“ mit der Kongresshalle wieder hergestellt werden. Und wir haben gerade in der letzten Zeit eine ganze Reihe von Unterschutzstellungen vorgenommen, die die gute Entwicklung in Berlin zeigen: die Eintragung des Nikolaiviertels und der „Schlangenbader Straße“ in die Denkmalliste.

Das ICC ist seit Jahren auch einer Ihrer Wunschkandidaten. Es steht bisher nicht unter Denkmalschutz.

Es ist ein Denkmal. Aber aufgrund der Klärung, was die Sanierung betrifft, insbesondere die künftige Nutzung, sind wir im Gespräch, dass wir zu künftigen Lösungen kommen, dass das Haus nicht nur als Denkmal erhalten bleibt. Wichtig ist, dass es tatsächlich in eine Funktion kommt, die sich wirtschaftlich und funktional für die Gesellschaft darstellen lässt. Da sind alle Beteiligten aufgerufen, nicht nur stärker Fantasie walten zu lassen, sondern sich auch stärker zu engagieren.

Was ist am ICC so schützenswert?

Das ICC ist ein Gesamtkunstwerk seiner Zeit. Das fängt an mit der Hülle, dem geradezu futuristischen Design. Das setzt sich in den Elementen, in der Farbigkeit fort. Dann ist es die städtebaulich prominente Lage, die weithin in den Verkehrstrassen sichtbar ist. Ich glaube, dass das ICC nicht nur von kulturellem Wert ist, sondern als Markenzeichen auch von ökonomischem. So ein Markenzeichen kann man nicht auf Bestellung herstellen, das wächst im Laufe der Zeit. Das ICC ist auch im internationalen Vergleich einmalig.

Dieser gesamte Bereich soll neu geordnet werden, mit dem Autobahndreieck am Funkturm. Sprechen Sie dabei mit?

Unser Interesse ist es immer wieder, die Denkmäler zu implementieren in diese städtebauliche Entwicklung. Weil wir wissen, dass die Denkmäler davon profitieren können, wenn sie Nutzungsanreicherungen erhalten. Und andererseits selbst wichtige Impulse setzen können. Und ich glaube, dass das ICC das Potential als Impulsgeber wirklich hat.

Etwa als künftiger Wohnstandort?

Das glaube ich weniger. Sondern tatsächlich im Sinne von Messe, Ausstellungen, Kommunikation und auch Kultur. Auch wegen der hervorragenden Erschließung. Sämtliche Verkehrsträger schneiden sich an dieser Stelle.

„Die Friedrichswerdersche Kirche ist in einem benutzbaren Zustand“

Die Friedrichwerdersche Kirche wurde 2015 durch das benachbarte Neubauprojekt schwer beschädigt.
Die Friedrichwerdersche Kirche wurde 2015 durch das benachbarte Neubauprojekt schwer beschädigt.

© Kitty Kleist-Heinrich

Wenn private Bauherren ins Spiel kommen und in den Besitz von Denkmälern, heißt es ja häufig, eine Sanierung respektive Restaurierung rechne sich nicht. Das Gesetz gibt Ihnen die Möglichkeit, sich auf diese Position zurückzuziehen. Welche Gesetze kritisieren Sie im denkmalpflegerischen Sinne?

Das Berliner Denkmalschutzgesetz ist gut. Ich sehe keinen besonderen Bedarf, es zu schärfen. Worauf es ankommt ist, dass es in der Politik und in den parlamentarischen Gremien ein Grundverständnis von Denkmalschutz gibt.

Was heißt das?

Es muss Konsens sein, dass die ganze Gesellschaft einen Verlust erleidet und nicht der Denkmalkonservator, wenn ein Denkmal verloren geht. Diesen gesellschaftlichen Verlust geben wir weiter an die nächste Generation. Deshalb müssen Anstrengungen unternommen werden, Denkmäler zu erhalten.

Wenn Sie also ein neues Denkmalschutzgesetz schreiben müssten auf Grundlage Ihrer Erfahrungen, da würden Sie also alles so lassen, wie es ist?

Nun, es fiele uns sicher einiges ein, was wir an deutschen Denkmalschutzgesetzen ändern, verbessern und vereinheitlichen könnten und wie wir sie stärken könnten. Das betrifft sowohl die gesetzlichen Formulierungen, aber auch die personelle Ausstattung der Ämter und das betrifft in vielen Bundesländern, auch in Berlin, die Ausstattung mit Fördermitteln, die verbesserungsfähig ist. Dabei müssen wir auch von der Vorstellung wegkommen, dass es verlorene Zuschüsse sind. Das sind Investitionen und Multiplikatoren, die Impulse für Entwicklung setzen. Die Investition in die Vergangenheit ist eine Investition in die Zukunft. Es geht darum, eine Zukunft dieser Vergangenheit zu schaffen, weil die Zukunft ein Interesse daran hat, sich zu vergegenwärtigen und verorten zu können.

Wie beurteilen Sie die Reparatur der Friedrichswerderschen Kirche von Schinkel?

Wir haben die Reparatur begleitet – sowohl die statische Sicherung als auch die Reparaturmaßnahmen bis hin zur Schließung der Oberflächen. Unter den gegebenen Umständen halte ich das für ein sehr gutes Ergebnis, was natürlich die dahinter liegenden Schäden nicht vergessen machen kann. Aber das Gebäude ist in einem benutzbaren Zustand. Ich weiß nicht, wie dieser Vorgang hätte anders und besser bewältigt werden können. Die Schäden rückgängig machen, das können wir nicht. Aber sie sind nicht gefährdend, weder für das Baudenkmal noch für die künftige Nutzung. Das finde ich ein positives Ergebnis.

Die Evangelische Kirche und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz sind weniger gnädig mit dem Investor Jürgen Leibfried und der Bauwert AG, die die Schäden durch Bauarbeiten mit verursacht hat. Sie verweisen auf bleibende Schäden – man wisse nicht, ob man den Bau je wieder so eröffnen könne. Die nahe Bebauung war vom Bezirk und vom früheren Senatsbaudirektor Stimmann offenbar so gewollt, zumal die Kirche früher auch eingemauert war. Können Sie da einen Schiedsspruch fällen?

Ich verstehe dass viele auch mit denen hadern, die für die Planung verantwortlich sind. Ich will nichts Schlechtes unterstellen, gehe aber davon aus, dass wir heute andere Diskussionen über die städtebauliche Entwicklung und die Einbindung der Friedrichswerderschen Kirche führen würden als damals. Es geht nicht nur darum, historische Stadtgrundrisse wiederherzustellen, sondern auch um die Frage der Tiefe von Untergeschossen, um die Frage der Höhe von Bebauungen. Es ist auch wichtig, die Wirkungsräume solcher Objekte wie der Friedrichswerderschen Kirche zu sichern.

Stichwort historische Stadtgrundrisse: Wir haben vor einer Woche Planungen der „Stiftung Zukunft“ für einen Platz der Demokratie vor dem Roten Rathaus vorgestellt. Er sieht vor, die unter dem Pflaster liegenden Grundmauern sichtbar zu machen, beispielsweise durch eine Struktur verschiedenfarbige Pflastersteine. Eine gute Idee?

Ich glaube, dass das Bedürfnis, sich seiner Vergangenheit und seinen Traditionen zu vergewissern, die substantiell verloren gegangen sind, etwas Bemerkenswertes ist. Und dass das auch eine gute Chance ist, unverwechselbare Stadträume und Gestaltungen zu schaffen, die Anknüpfungspunkte als Orientierung und Identifizierung bieten. Wenn es gelingt, das mittelalterliche Rathaus, die mittelalterliche Rathauskapelle, die zwischen dem U-Bahn-Ausgang und dem Rathaus steht, zugänglich zu machen, wird das ein großer Gewinn sein für Berlin. Wir sehen auch in anderen Städten wie Sofia oder Neapel, dass das Thema Archäologie nicht museal gelöst wird, sondern man versucht es, in sito zu belassen und zu nutzen. Jetzt sind wir auch bei der Berliner Innenstadt dazu aufgerufen, uns zu fragen, wie bestimmte Orte, die eine hohe Bedeutung haben, vergegenwärtigt werden können.

„Am Checkpoint Charlie muss etwas geschehen“

Checkpoint Charlie ist heute ein Magnet für Touristen aus aller Welt.
Checkpoint Charlie ist heute ein Magnet für Touristen aus aller Welt.

© Imago/Ipon

Eine Art Freilichtmuseum ist auch der Checkpoint Charlie. Sie haben frühzeitig vor einer Kommerzialisierung dieses Ortes gewarnt. Was ist zu tun?

Nichts zu tun und es so zu belassen, wäre ein totales Versagen. Es muss etwas an dieser Stelle geschehen. Wir haben dafür plädiert, dass man unsere Vorstellungen von der Wiederherstellung eines „Zwischenkriegszustandes“ an so einer prominenten Stelle überdenkt. Der Checkpoint Charlie ist nicht deshalb weltberühmt geworden, weil dort eine barocke Stadtentwicklung stattgefunden hat, die sich im 19. Jahrhundert fortgesetzt hat. Sondern berühmt geworden ist er als ein Ort der Auseinandersetzung im Kalten Krieg. Das hat diesen Raum mitgeprägt. Die Zäsur oder die Brüche, die Offenheiten oder Fehlstellen, die transportieren auf eine eigentlich sehr offenkundige Art und Weise: Da stimmt etwas nicht, das irritiert im Stadtgrundriss. Diese Irritation versuchen wir beizubehalten.

Dann müssten Sie auch dafür sein, das Wachhaus der Alliierten, das man mit Hilfe eines Kranes abtransportiert hat, unter Denkmalschutz zu stellen und wieder dorthin zu bugsieren. Um eine historisch richtigere Situation wiederherzustellen.

Das weiß ich nicht. Die Frage der Offenheit zwischen Zimmerstraße und Friedrichstraße ist entscheidend dafür, wie der Ort wahrgenommen wird von Passanten, die in Ost-West-Richtung, aber auch von Süden und zurück sich begeben und dass es auch mal möglich sein muss nicht den Mummenschanz fortzusetzen aber durch Zeichensetzungen auch noch mal zu markieren: Wo stand eigentlich was? Um so die Imagination der Besucher auf eine positive Weise anzusprechen.

Sie kämpfen für die St.-Hedwigs-Kathedrale in Mitte. Es müsse alles daran gesetzt werden, den 1963 fertiggestellten „deutschlandweit einzigartigen Sakralraum einer Bischofskirche zu bewahren“. An anderen Stellen der Stadt sind Denkmalschützer weitaus flexibler, etwa bei der Frage, was zwischen die historischen Giebel des früheren Zentralviel- und Schlachthofes in Prenzlauer Berg eingebaut werden durfte. Messen Sie mit zweierlei Maß?

Nein. Die Ausgangsvoraussetzungen sind total unvergleichlich. Sie haben auf diesem Vieh- und Schlachthofgelände seit der Schließung und seit der Wende im Grunde genommen ein leerstehendes Areal, das sukzessive im Rahmen eines Entwicklungsgebietes wieder unter Dach und Fach gebracht wurde. Von diesem ruinenhaften Zustand ist die St. Hedwigs-Kathedrale nun meilenweit entfernt. Sie ist total intakt, total stimmig und als Denkmal des Katholizismus in Deutschland hat sie eine ganz besondere Bedeutung, die ich nicht mit Resten eines Vieh- und Schlachthofes vergleichen würde.

Wenn wir schon in der Nähe des Humboldt-Forums sind: Gibt es Neuigkeiten, ob das alte Mosaik des alten Unterbaues des künftigen Einheits- und Freiheitsdenkmals wieder in den Sockel integriert wird?

Wir haben diese Signale nicht. Aber wir senden diesen Wunsch permanent aus und hoffen, dass es für die Verantwortlichen keinen Grund gibt, dass das, was da jetzt überdauert hat, jetzt nach Fall der Mauer dem Freiheits- und Einheitsdenkmal zu opfern oder zu zerstören.

2019 wird auch in Berlin das 100-jährige Jubiläum des Bauhauses gefeiert. Ist die Substanz in der Hauptstadt gut auf das Jubiläum vorbereitet und präpariert?

Wir sind gut präpariert. Seit 2013 haben wir angefangen mit Weimar und Dessau die „Trienale der Moderne“ aufzubauen, die in der Kooperation der Bauhausstädte, Weimar, Dessau und Berlin mündet und auch der Bauhauseinrichtungen. Ich denke, dass wir sowohl von den Beständen als auch von den Institutionen einiges zu bieten haben. Und wir werden dem Bauhaus in Berlin eine Woche dem Bauhaus im Rahmen der Trienale widmen.

Zum Abschluss: Haben Sie einen guten Ratschlag für Ihren Nachfolger?

Dr. Christoph Rauhut hat mit dem Team und der Expertise im Landesdenkmalamt die besten Ratgeber um sich herum. Er hat meinen Ratschlag gar nicht nötig. Ich glaube, dass er im Moment auf ein Klima trifft und auch auf eine finanzielle Situation im Land Berlin, die es ermöglichen wird, die notwendige Stärkung der Denkmalpflege rasch mit der politischen Unterstützung voranzutreiben. Wir haben eine Koalitionsvereinbarung, die war noch nie so gut für die Anliegen der Denkmalpflege wie in dieser Legislatur.

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