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Die Produktion von Wohn- und Gewerberäumen kann durch Lieferengpässe, Erkrankungen in den Belegschaften oder behördliche Maßnahmen gebremst werden. Ob es so kommt, ist weiterhin ungewiss, die Auswirkungen könnten aber immens sein.

© dpa/Foto: Julian Stratenschulte

Coronakrise: Wer jetzt kein Haus hat, baut sich erstmal keines mehr

Deutschland rutscht infolge der Coronakrise in die Rezession. Wie reagieren die Immobilienmärkte?

Die gesamte Welt kennt eigentlich nur noch ein Thema, um das sich endlos die Gedanken drehen – bei Privatpersonen wie bei Unternehmen. Das Bundeswirtschaftsministerium rechnet wegen der Coronakrise mit einer schweren Rezession in Deutschland. Das Land könnte flächendeckende Firmenschließungen laut einer Ifo-Umfrage unter 155 Ökonomen nur rund elf Wochen durchhalten. So lange könnte die Wirtschaft einen „Shutdown“ abfedern, „bevor das Risiko einer wirtschaftlichen Destabilisierung zu groß wird“, teilen die Münchner Forscher mit – „im Durchschnitt werden acht Wochen als Obergrenze genannt“. Doch wie geht es in der Bau-, Immobilien- und Wohnungswirtschaft danach weiter? Ein Szenario in zehn Vorhersagen:

Die Bauwirtschaft kommt ins Stocken

Die deutsche Bauwirtschaft wagt angesichts der Corona-Krise derzeit keine Umsatzprognose für 2020. Bislang laufe der Betrieb auf den Baustellen noch weitgehend normal, teilt der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (HDB) mit. Es bestehe aber die Gefahr, dass die Produktion durch Lieferengpässe, Erkrankungen in den Belegschaften oder behördliche Maßnahmen gebremst werde. „Die Eintrittswahrscheinlichkeit ist weiterhin ungewiss, die Auswirkungen könnten aber immens sein.“ Angesichts der Schärfe der zu erwartenden Rezession geht die Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba) davon aus, dass der Aufschwung am deutschen Immobilienmarkt beendet ist.

Baufinanzierungen brechen zusammen Auch die Berliner Sparkasse wagt noch keine Prognose für 2020. Johannes Evers, Chef der nach Kunden größten deutschen Sparkasse, sagt aber: „Bis Anfang März hatten wir ein brummendes Baufinanzierungsgeschäft.“ Nun habe sich die Nachfrage abgeschwächt. Die Menschen fragten sich, ob sie sich in der Krise für ein Eigenheim verschulden sollten. Im vergangenen Jahr lag das Ergebnis des Instituts nach Steuern bei 103 (2018: 103) Millionen Euro und damit auch dank der Immobilienfinanzierung fünf Millionen Euro über der Planung. „Die Kreditausfälle werden steigen“, sagte Evers. Dies gelte für das Privatkunden- und das Firmenkundengeschäft.

Bautätigkeit geht zurück

2019 wurden in Deutschland mehr Genehmigungen für den Bau von Wohnungen erteilt. Die Zahl stieg um 4,0 Prozent zum Vorjahr auf 360 600, so das Statistische Bundesamt. Aber: „Baugenehmigungen sind keine Aufträge, das wissen wir alle“, sagt Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer des Zentralverband des Deutschen Baugewerbes (ZDB). „Wenn Bauämter wegen des Virus nur schwach oder überhaupt nicht besetzt sind, dann werden keine öffentlichen Aufträge vergeben“, sagte er. Viele Mitarbeiter der Bau- und Stadtplanungsämter sind technisch gar nicht in der Lage, im Homeoffice tätig zu sein. Dies gibt der Architekten- und Ingenieur-Verein zu Berlin  zu bedenken.

Bauaufträge gehen zurück

Wenn bei den Unternehmen viele Aufträge wegbrechen, dürften Investitionen zurückgestellt werden – mit entsprechenden Auswirkungen auf den Wirtschaftsbau. „Wenn Menschen mit plötzlicher Arbeitslosigkeit bedroht sind, werden sie kein Haus bauen oder Sanierungsarbeiten in Auftrag geben“, sagt ZDB-Geschäftsführer Pakleppa. Auch Bauconsultant Tibor Desczyk (Berlin) glaubt, dass zunächst Investitionen hintenan gestellt werden. Die Zuschüsse des Bundes aus dem Corona-Rettungspaket würden die laufenden Kosten nicht auffangen. Nach der Krise werde man erst einmal sehen müssen, welche (Zuliefer-) Betriebe wirtschaftlich überlebt hätten.

Neuvermietungen werden schwieriger

Viele Interessenten dürften angesichts der hohen Unsicherheit hinsichtlich Beschäftigung und Einkommensperspektiven zumindest kurzfristig den geplanten Wohneigentumserwerb oder den Umzug in eine neue Mietwohnung verschieben. Vor allem in den teuren Lagen der Großstädte könnten daher die Wohnimmobilienpreise etwas nachgeben. „Gewerbeimmobilien könnten im Zuge des Corona-Shutdowns und auch in der Folge leiden, da einige Mieter wohl Insolvenz anmelden müssen“, sagt Uwe Eilers, Vorstand FV Frankfurter Vermögen AG, Königstein. Die Neuvermietung wird nicht mehr so einfach sein, was zu erhöhtem Leerstand führen wird.

Zahl der Zwangsversteigerungen steigt

Seit einem Jahrzehnt boomt der Immobilienmarkt. Die hohe Nachfrage nach Wohnungen hat die Zahl der Zwangsversteigerungen immer weiter sinken lassen. Doch nun dreht sich die Konjunktur. „Wir erwarten, dass 2021 deutlich mehr Zwangsversteigerungen auf den Markt kommen werden“, sagt Axel Mohr, dessen Verlag für Wirtschaftsinformation („Argetra GmbH“) jährlich den Zwangsversteigerungsmarkt in Deutschland analysiert. Zunächst seien Eigentümer, die einen Kredit aufgenommen haben, noch gesetzlich geschützt. Privatvermieter, die aufgrund von Mietausfällen unter Umständen selbst in Not geraten, können auch prüfen, ob sie ihrerseits die Zahlung des Baudarlehens aussetzen können. Doch irgendwann müssen die Kredite wieder bedient werden; es kommt zur Vertragskündigung. Die Dr. Klein Privatkunden AG, einer der größten Finanzdienstleister Deutschlands, weist darauf hin, dass die Zins- und Tilgungsleistungen nur gestundet und nicht erlassen werden. Der Darlehensvertrag verlängert sich in der Regel um den Zeitraum der Stundung. „Da steht die Immobilie zwangsläufig irgendwann zur Disposition“, sagt Mohr. Der bisherige Höhepunkt waren rund 92 500 Termine im Jahr 2005.

Kleinvermieter kommen in Nöte

Das Mietenmoratorium der Bundesregierung könnte Vermieter in die Pleite treiben. „Wir haben von Beginn an vor diesem Gesetz gewarnt. Ohne einen Fonds, der die Mietzahlungen übernimmt, stehen Millionen private Vermieter vor dem finanziellen Aus“, sagt Kai Warnecke, Präsident des Immobilieneigentümerverbandes Haus & Grund. „Viele Vermieter, die dazu finanziell in der Lage sind, zeigen sich solidarisch gegenüber ihren Mietern. Aber nicht jeder Vermieter kann das leisten und nicht jeder Mieter ist per se bedürftig.“ 66 Prozent aller Mietwohnungen in Deutschland werden von insgesamt 3,9 Millionen privaten Kleinvermietern angeboten. Sie stammen aus allen sozialen Schichten. 39 Prozent sind Rentnerhaushalte, die auf Mieteinnahmen angewiesen sind, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. 14 Prozent der privaten Vermieter sind Freiberufler, die häufig durch die Corona-Krise in Schwierigkeiten geraten.

Mieter kommen in Nöte

Zwar sieht ein Teil des jüngsten Pakets von Corona-Sondergesetzen das Aussetzen von Kündigungen wegen Miet- und Pachtrückständen vor, welche durch die Pandemie zwischen dem 1. April und 30. Juni 2020 bedingt sind. Der Zeitraum für Zahlungsunfähigkeiten kann durch Rechtsverordnung der Bundesregierung verlängert werden. Die aufgelaufenen Mietschulden müssen jedoch bis spätestens zum 30. Juni 2022 getilgt werden. Nur bis dahin gilt deren Stundung und das damit verbundene Kündigungsverbot.

Ergänzend dazu hatte der Berliner Senat am 24. März 2020 ein Paket mit weiteren Maßnahmen beschlossen und finanzielle Hilfen für Mieter in Aussicht gestellt. Mieterverein-Geschäftsführer Reiner Wild und Maren Kern, Vorstand des Verbandes Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen e.V. (BBU) fordern einen „Sicher-Wohnen-Fonds“, aus dem Mietzahlungen im Bedarfsfall teilweise oder ganz in Form von Zuschüssen gedeckt werden könnten.

Möblierte Zimmer ohne Kunden

Ausbleibende Gäste durch Covid 19 lässt die Geschäftsmodelle von Hotels und möblierten Wohnungen implodieren. Kann die Branche durch eine Umnutzung der Zimmer umsteuern? „Da sich viele Unterkünfte an gut gelegenen Standorten innerhalb der Städte befinden und somit leicht zu erreichen sind, könnten sie zu Orten transformiert werden, die der isolierten Beherbergung von Covid-19-Patienten dienen“, schlägt Ann-Katrin Kaiser vor. „Als Isolationszentren könnten sie somit die Kapazitäten der Krankenhäuser entlasten“, sagt die Associate Director EMEA Hotels Investment bei Savills, ein weltweit tätiger Immobiliendienstleister. Die US-Zimmervermittler Airbnb stellte unterdessen 250 Millionen Dollar zur Verfügung, um Verluste von Gastgebern auf der ganzen Welt auszugleichen, deren Gäste Buchungen angesichts der Coronavirus-Pandemie storniert haben. Die Hilfe, die Gastgeber 25 Prozent ihrer normalen Stornogebühren erstattet, würde weltweit mit Ausnahme von China angeboten, schreibt Geschäftsführer Brian Chesky in einem Brief an die Vermieter. Die Zahlungen würden für die Stornierung von Reservierungen mit Check-in-Terminen zwischen dem 14. März und dem 31. Mai gelten.

Weniger Nachfrage nach Büroflächen

Auf kurze und mittlere Sicht ist im Zuge des Konjunkturrückgangs mit einer deutlich rückläufigen Nachfragen nach Büroflächen zu rechnen, analysiert die Immobilienberatungsfirma Wüest Partner Deutschland. Sie hat bereits jetzt eine deutliche Abnahme der Vermietungsleistung z.B. in Frankfurt konstatiert. In der Folge dürften die Büromieten stagnieren, in vielen Lagen auch sinken und die Leerstände und Ertragsausfälle ansteigen.

Die rückläufige Nachfrage wird sich bei den Coworking-Flächen als erstes auswirken. Der Berliner Coworking Anbieter rent24 reduzierte die Mieten: „Wir wollen jetzt ein Zeichen setzen in unseren über 70 Standorten in ganz Europa, den USA und Israel – und das heißt schnelle Unterstützung durch finanzielle Entlastung und professionelle Beratung", sagt Robert Bukvic, Gründer und Geschäftsführer von rent24. „Die Coronakrise hat auch uns schwer getroffen, aber ich habe mich entschlossen, diesen Schritt zu unternehmen. Wir halten es in der gegenwärtigen Ausnahmesituation nicht für fair, Unternehmern in Not die üblichen Vertragsbedingungen aufzuerlegen.“

Mitarbeit: Ulrich Springer

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