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Radikal. Die Kolonnaden in der Königsstraße (heute Rathausstraße), bevor sie zugunsten eines Kaufhausgebäudes abgetragen wurden.

© Archivbestand Daniel R. Schmitz, Berlin

Berliner Architektur: Weitsicht und Wagemut

Ohne visionäre Bauherren wäre Berlin nicht zur Weltstadt herangewachsen. Ein neues Buch zeichnet anhand von sechs Biografien ein Jahrhundert Berliner Baugeschichte nach.

Berlins Baumeister kennt man, aber Berlins Bauherren? Wer waren die Männer, die die Architekten beauftragten, deren Bauten wir bewundern oder auch verachten? Literatur zu dieser Frage ist allenfalls dünn gesät. Jetzt aber gibt es Abhilfe, und das gleich auf höchstem Niveau: Wolfgang Schäche, langjähriger Professor an der Beuth-Hochschule und einer der besten Kenner der Berliner Baugeschichte, hat sich gemeinsam mit Daniel Ralf Schmitz und David Pessier darangemacht, die signifikanten Auftraggeber für die Zeit zwischen der Mitte des 19. Jahrhunderts und dem Ende der Weimarer Republik darzustellen – jener Zeit, in der Berlin zur Weltstadt aufstieg.

Sechs biografische Kapitel umfasst das Buch „Berlin und seine Bauherren“, doch nur drei der Protagonisten sind heute zumindest in Gestalt von Berliner Straßennamen geläufig: J.A.W. von Carstenn in Lichterfelde, C.H.W. Conrad in Wannsee und Georg Haberland in Schöneberg. Alle drei waren Spekulanten, sie waren aber zugleich Pionier, Gründer einer Villenkolonie und Städtebauer.

Den Auftakt bildete allerdings Carl August Heinrich Sommer, dem wir die ursprüngliche Bebauung des Pariser Platzes verdanken; immerhin erinnert das südlich neben dem Brandenburger Tor wiedererrichtete Gebäude als „Haus Sommer“ an den Mann, der ringsum derart viele repräsentative Bauten hochzog, dass seinerzeit die heutige Ebertstraße nach ihm benannt wurde. Johann Anton Wilhelm von Carstenn hingegen sah das Wachstum Berlins nach Süden hin voraus und gründete nicht nur die Villenkolonie Lichterfelde, sondern einen ganzen Gürtel solcher Landhaussiedlungen von Friedenau bis Halensee: „In seinem weit über das Kaufmännische hinausreichenden Wirken prägte er damit schließlich die werdende Millionenstadt Berlin in größerem Maße als die allermeisten Baukünstler“, wie es im Buch heißt. Er selbst geriet allerdings infolge des „Gründerkrachs“ von 1873 in wirtschaftliche Turbulenzen und konnte seine Gartenstadtpläne nicht mehr selbst umsetzen.

Wilhelm Walther – heute gänzlich vergessen

Das gelang jedoch dem ebenfalls 1822 geborenen Carl Heinrich Wilhelm Conrad mit der „Villenkolonie Alsen“ am Großen Wannsee. Dort verwirklichte er „sein Ideal eines großbürgerlichen Wohnens im Einklang mit der Natur“. Bezeichnenderweise finden wir den Namen des malenden Großbürgers Max Liebermann gleich doppelt in der Bauherren-Historie: einmal als Anwohner des Pariser Platzes in einem von Sommer errichteten Gebäude, zum anderen in Conrads vornehmer Villenkolonie.

So konkurrierte Berlin mit Amerika. Das Europahaus schräg gegenüber vom Anhalter Bahnhof, von vorneherein für Lichtreklamen konzipiert. Die Aufnahme ist von 1931.
So konkurrierte Berlin mit Amerika. Das Europahaus schräg gegenüber vom Anhalter Bahnhof, von vorneherein für Lichtreklamen konzipiert. Die Aufnahme ist von 1931.

© Albert Heilmann - Das Europahaus in Berlin

Gänzlich vergessen ist heute der eine Generation jüngere Wilhelm Walther, der als Architekt von Privathäusern reüssierte und dann ins Immobiliengeschäft einstieg. Mit seinen auf eigene Rechnung errichteten und teuer verkauften Villen im Grunewald wurde er steinreich. Sein architektonisches Hauptwerk jedoch ist die gewaltige „Victoria-Versicherung“ von 1904 in Kreuzberg, von der ein immer noch eindrucksvoller Torso an der Lindenstraße übrig ist. Mit Georg Haberland – auch er noch vor der Reichsgründung 1871 geboren – kommt ein neuer Typus auf: der Unternehmer und Direktor, in seinem Falle der „Berlinischen Boden-Gesellschaft“. Die BBG entwickelte das Bayerische Viertel, dann weitere Bereiche in Wilmersdorf und Charlottenburg mit den typischen Berliner Geschosswohnungsbauten für den gehobenen Mittelstand. In den so viel ärmeren, republikanischen Zeiten kamen Kleinwohnungsanlagen hinzu, insbesondere an der Rubensstraße/Ceciliengärten, aber auch Großbauten wie das Ullstein- Haus in Tempelhof oder das großartige Stadtbad Mitte von Heinrich Tessenow (1930).

Heinrich Mendelssohn – der bedeutendste Bauherr

Der bedeutendste Bauherr des republikanischen Berlin allerdings war der 1881 in Posen geborene Heinrich Mendelssohn. Er war, was man schon damals einen Selfmademan nannte, hatte mit 20 das Maklergeschäft begonnen und avancierte zum Auftraggeber, der aufs Bauschild schreiben ließ: „Wir bauen voller Optimismus das Europa-Hochhaus“, nahe dem Anhalter Bahnhof.

Eine ganze Reihe von Vergnügungspalästen hat Mendelssohn bauen lassen, so das Haus am Zoo mit dem Kino „Capitol“ oder das erst nach dem Krieg abgerissene „Haus am Tiergarten“ am Kemperplatz. Der Jude Mendelssohn – „vom Nazi-Regime um große Teile seines Grundbesitzes sowie Immobilienvermögens gebracht“ – musste nach 1949 in endlosen Gerichtsprozessen um die Rückgabe streiten. Dennoch gelang ihm die Rückkehr ins Baugeschäft: Die Siemensstadt mit 4000 Wohnungen plus Einkaufszentrum ist sein, allerdings erst nach dem plötzlichen Tod 1959 vollendetes Werk.

Was für ein Parforceritt durch ein Jahrhundert Berliner Baugeschichte! Die vorgestellten Bauherren waren allesamt auf Gewinn aus und wurden für ihre jeweilige Zeit unerhört reich. Aber sie hatten zugleich eine Vision von Berlin und ein Auge für guten Städtebau und hochwertige Architektur. Mit diesem, vorzüglich bebilderten Buch jedenfalls lernt man Berlin mit anderen Augen sehen.

Wolfgang Schäche, Daniel Ralf Schmitz, David Pessler: Berlin und seine Bauherren.
Wolfgang Schäche, Daniel Ralf Schmitz, David Pessler: Berlin und seine Bauherren.

© Cover: Jovis Verlag

Wolfgang Schäche, Daniel Ralf Schmitz, David Pessler: Berlin und seine Bauherren. Als die Hauptstadt Weltstadt wurde. Jovis Verlag, Berlin 2018. 224 Seiten mit 234 Abb., 48 €.

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