zum Hauptinhalt
Radikale Abwesenheit. An der Friedrichstraße/Ecke Kochstraße plante Eisenman seinen Mauerpark.

© Kai-Uwe Heinrich

Auf den Spuren von Peter Eisenman: Architektur als Träger kultureller Identität

Die TU Berlin ehrt den US-Architekten Peter Eisenman. Ein Streifzug durch sein Werk - voller Historie und Psychologie.

Es ist weitgehend vergessen, aber die Idee eines Mauerparks geht weit vor den Fall der Mauer zurück. Schon 1982 hatte der US-amerikanische Architekt Peter Eisenman den Mauerstreifen mitsamt den Wachtürmen zum Thema eines vielbeachteten Entwurfs gemacht. Dieser war als Gewinner aus einem Wettbewerb der Berliner Internationalen Bauausstellung (IBA) hervorgegangen. Das visionäre Mauerparkprojekt am Checkpoint Charlie appellierte ans kollektive Unbewusste und löste, wie kaum anders zu erwarten, heftige Kontroversen aus, ähnlich wie Jahre später Eisenmans Entwurf für das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas.

Die Zeit war aber noch nicht reif, mit dem Wohnhaus an der Ecke Rudi-Dutschke- und Friedrichstraße wurde nur ein Teil des Gesamtkonzepts realisiert, der Park selbst versank in Vergessenheit. Zu unrecht, hatte Eisenmans Projekt doch entschieden zur Wende im Denken der Architektur als Träger von historischem Bewusstsein und kultureller Identität beigetragen.

Spuren von Krieg

Anfang der 1980er-Jahre war die IBA angetreten, die von Krieg, Flächenabriss, Strukturwandel und Mauerbau geschundenen Gebiete der Stadt wieder bewohnbar zu machen. Dafür gab man das Nachkriegsleitbild des fließenden Raums auf. In Straße, Block und Platz sah man wieder die Bausteine der Stadt und in Parzelle und Traufhöhe die Garanten ihrer Maßstäblichkeit. Wo immer möglich, sollten Spuren und Bautypen der Vorkriegsgeschichte aufgegriffen werden. Nirgends wurde diese stadtbauideologische Kehrtwende so früh, so konsequent und mit so viel Publizität vollzogen wie in West-Berlin.

Architekt Peter Eisenman.
Architekt Peter Eisenman.

© dpa

In diesem Sinne begriff Eisenman das Wettbewerbsgebiet als einen künstlichen archäologischen Garten, der die Spuren der Geschichte in ihren vielfältigen Überlagerungen sichtbar machen sollte. Als Zeuge der zum Teil verlorenen Stadtstruktur fand sich zuunterst ein Gitter aus Backsteinfundamenten. Darüber legte Eisenman ein System aus erhöhten Mauerwegen, das sich an dem zum Raster der Friedrichstadt leicht verdrehten Mercator-Raster ausrichtete.

Ein Spaziergang auf den Mauern sollte den Blick über die Fundamente, die Straßen und über die Berliner Mauer hinweg eröffnen. In den Freiräumen dazwischen – still und umschlossen wie Klostergärten – wuchsen vereinzelt Treppentürme empor, die mehrdeutig lesbar waren: Als Spiegelungen der Wachtürme oder Monumentalisierungen der West-Berliner Aussichtsplattformen, als Fragmente zerbombter Häuser oder Erschließungskerne zukünftiger Häuser.

Konfrontation mit der Geschichte

Eisenmans Entwurf unterscheidet sich von allen IBA-Projekten durch eine gewisse Unerschrockenheit der Geschichte gegenüber. Er erfüllte, unterwanderte und übertraf die IBA-Ideale zugleich: Er markierte die Blockränder, schloss sie aber nur fragmentarisch. Die Neubauten nahmen die Traufhöhe auf, markierten aber einen Bruch zum Bestand, da sie aufgrund ihrer Ausrichtung am Mercator-Raster leicht verdreht zur Bauflucht des Blocks standen.

Indem die Altbauten nicht nahtlos in den Entwurf eingebunden wurden, nahmen sie eine neue Rolle an: Eisenmans Gewebe aus Mauerwegen und Gärten durchschnitt den Block auf eine Art und Weise, dass die Altbauten, die ursprünglich Teil einer geschlossenen Blockrandbebauung waren, sich nun als Solitäre zeigten, die sich selbst und uns fremd geworden waren.

Das Mauerparkprojekt nimmt in Eisenmans Werk eine Schlüsselstellung ein. Es stand am Anfang einer Serie der „artificial excavations“, wobei der Begriff „künstliche Grabungen“ keine Archäologie im klassischen Sinn meinte als vielmehr eine des kollektiven Unbewussten. Dafür bot sich gerade das Berlin der 1980er-Jahre an, wo eine Generation von Architekten und Stadtplanern dabei war, die durch Krieg, Wiederaufbau und Mauerbau beschädigte Morphologie der Stadt wiederherzustellen. Durch das Bebauen von Kriegslücken und -brachen wurde jedoch gleichzeitig, als dessen Kehrseite, ein Teil der jüngeren Geschichte aus dem Gedächtnis verdrängt.

Von Architektur und Psychologie

Radikale Abwesenheit. An der Friedrichstraße/Ecke Kochstraße plante Eisenman seinen Mauerpark.
Radikale Abwesenheit. An der Friedrichstraße/Ecke Kochstraße plante Eisenman seinen Mauerpark.

© Kai-Uwe Heinrich

Eisenmans Projekt gründete weniger in der Geschichte als in der Psychologie. Darin liegt das Aufregende, aber auch das Verstörende. Er verstand die Stadt als Text, in den sich die persönlichen und kollektiven Geschichten als sich vielfältig überlagernde Spuren einschreiben. Die Aufgabe des Architekten verstand er darin, punktuell in die Tiefe zu gehen und mittels Zeichen und Spuren die verdrängten Erinnerungen offen zu legen und lesbar zu machen.

Wobei gerade das jüngst Vergangene, weil psychologisch noch unverarbeitet, nur unter Schmerzen aus der Verdrängung wieder ans Licht geholt werden kann. Raster, Mauern und Türme verstand Eisenman als solche Spuren der Geschichte, die einerseits durch die Nähe zum angrenzenden Mauerstreifen ihre narrative Konnotation erhielt, während Eisenmans Projekt umgekehrt die untergründige, psychologische Struktur des realen Mauerstreifens thematisierte.

Eisenmans Haus am Checkpoint Charlie nach der Fertigstellung.
Eisenmans Haus am Checkpoint Charlie nach der Fertigstellung.

© promo

In unmittelbarem Zusammenhang dazu entstand 1985 für die Architekturbiennale in Venedig das Projekt „Romeo und Julia“. Mittels der künstlichen Archäologie der zwei Burgen der Montecchi und Capuleti, der Schauplätze in Verona, der römischen, mittelalterlichen und neuzeitlichen Stadtstruktur wurde das Projekt zum architektonisch-psychoanalytischen Drama der zwei verfeindeten Familien. Andere Projekte aus der Serie der künstlichen Grabungen sind das Wexner Center in Columbus, Ohio und ein Einwurf für Cannaregio in Venedig. Von den elf Projekten wurden aber nur das Wexner Center realisiert und ein Fragment des Berliner Mauerparks, das Wohngebäude an der Friedrichstraße.

Funktionalität und Fassade

Mit dem Wohngebäude wurde aber der nur scheinbar unverfängliche Teil des Mauerparkprojekts realisiert. Da ist zum einen die wuchtige Gebäudemasse, die am Mercator Raster ausgerichtet ist und dem Gebäude als Raumgitter eingeschrieben ist. Wobei das Gitter nur ein Bild ist, das die Geschossigkeit des Wohnbaus überspielt und somit die Abbildung der Funktionalität in der Fassade unterwandert.

In Eisenmans Terminologie handelt es sich aber nicht um eine antifunktionalistische, sondern um eine postfunktionalistische Architektur. Damit wirft er die Frage nach dem Verhältnis von architektonischer Autonomie und Funktionalität auf, die auf das 18. Jahrhundert zurückgeht und seitdem eine der produktivsten Fragen geblieben ist.

Zum anderen zwang der Umstand, nur eine Ecke bebauen zu können, zur Verdichtung. Anders als im Wettbewerbsentwurf orientieren sich die beiden winkelförmigen Baukörper, die das Volumen spalten und umfassen, an der Straßenflucht. Mit der doppelten Orientierung markiert der Bau nicht mehr nur einen Bruch zu den Altbauten, sondern nimmt diesen in sich selbst auf. Zudem steht der Bau mit seinen aufeinander gestapelten und ineinander verschränkten Volumina in der modernistischen Tradition der Architekturkomposition aus geometrischen Grundkörpern. Im Gegensatz zu dieser strebt er aber weder ein statisches noch ein dynamisches Gleichgewicht an, sondern den Status des Fragments.

Planung aus der Feder Eisenmans.
Planung aus der Feder Eisenmans.

© promo

Anders als der dem Entwurf zugrundeliegende Mauerpark irritiert das Wohngebäude also nicht aufgrund seiner narrativen Qualitäten als vielmehr aufgrund von deren radikaler Abwesenheit. Eine neue Qualität erhält das Gebäude, so wie es heute die Ecke bestimmt, gerade durch das Fehlen des Mauerparks. Dadurch sind die Herkunft der verschiedenen Raster und die Motivation für die Überlagerungen und Verschiebungen für den Betrachter nicht mehr ablesbar. Zusammen mit der Abwesenheit des Mauerparks hat man es mit einer doppelten Leerstelle oder einem doppelten Rätselcharakter von Spuren, Gesten und Fragen zu tun.

Eisenmans Gebäude besitzt eine ungebrochene Frische, was vielen der IBA-Projekte nach dreißig Jahren verlorengegangen ist. Sie scheinen ihren Dienst für die Debatten um die Stadterneuerung getan zu haben. Nicht so Eisenmans Mauerparkprojekt. In seiner Fragmentarität ist es von ungebrochener Wirkungskraft, durch seinen Rätselcharakter intellektuell herausfordernd und gleichsam vielfältig mit der Geschichte Berlins verankert.

Dass das Gebäude als Ikone der spätmodernen Architektur denkmalwürdig sein würde, zeigte sich schon sehr früh, als Eisenmans Projekt 1987 zusammen mit dem vitruvianischen Menschen als Motiv für die IBA Gedenkbriefmarke der Deutschen Bundespost ausgewählt wurde.

Holger Kleine ist Architekt und Autor von „Raumdramaturgie“ (2017). Er unterrichtet als Professor für Interior Public Space an der Hochschule Rhein Main.

Jörg H. Gleiter ist Architekt und Autor von „Architekturtheorie. Grundlagen I“ (2018). Er ist Professor für Architekturtheorie und geschäftsführender Direktor des Instituts für Architektur der TU Berlin.

Zur Startseite