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Mietshaus Linke Wienzeile 40, 1898. Wegen seiner bunten und schützenden Fassade wird es "Majolikahaus" gennant.

© Wolfgang Thaler/Wien Museum

Architektur in Wien: Ein Zinshaus hat vier Ecken

Otto Wagner hat mit Wohnbauten Österreichs Hauptstadt geprägt. Das Wien Museum ehrt ihn zum 100. Todestag.

Berlin wird seit dem berühmten Buch von Werner Hegemann (1930) gern als „größte Mietskasernenstadt der Welt“ bezeichnet. Doch Wien, die einstige Hauptstadt von Österreich-Ungarn, geht Berlin darin voraus. Mit der Auflassung der Stadtbefestigungen und dem Bau der Ringstraße nach der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde gebaut, was man bis heute „Zinshaus“ nennt: Häuser, deren Wohnungen vermietet werden und so das eingesetzte Kapital verzinsen. An und in der Nähe der prachtvollen Ringstraße waren die Zinshäuser entsprechend aufwendig, aber außerhalb dieses Bereichs nicht besser als das, was etwas später in Berlin massenhaft gebaut wurde.

Otto Wagner, der heute als einer der Gründerväter der architektonischen Moderne um 1900 gilt, hat als Erbauer solcher Zinshäuser begonnen. 1841 geboren, studierte er Architektur anfangs in Berlin – wo er zum lebenslangen Verehrer Schinkels wurde – und dann in seiner Heimatstadt. In jüngeren Jahren erwarb er sich Wohlstand durch den Kauf und die Bebauung freier Grundstücke und den lukrativen Weiterverkauf der fertigen Häuser. Diese Zinshäuser sind kaum verschieden von den überladenen, reich dekorierten Bauten des Historismus.

Nur begann sich Wagner mehr und mehr des Widerspruchs zwischen der äußerlichen Dekoration und der mangelnden Funktionalität – Wagner sprach von „Nützlichkeit“ – bewusst zu werden. Indem er 1894 zum Professor an der renommierten Akademie berufen wurde, stieg er in die Elite der Wiener Architektenschaft auf. Doch schon mit seiner Antrittsvorlesung zeigte er, dass er nicht gewillt war, den Stilmischmasch des Historismus fortzuschreiben. Er forderte eine Architektur, die auf Funktion, Konstruktion und Material gründete.

Seine Entwürfe veränderten das Bild der Stadt

Im selben Jahr erhielt Wagner die Gelegenheit, seine Vorstellung von dem, was er wenig später in seinem Buch „Moderne Architektur“ theoretisch unterfütterte, in Bauten umzusetzen, die das Bild der Stadt Wien veränderten und in Teilen bis heute prägen. Mit dem Auftrag zum Entwurf von schließlich vier Linien der zu schaffenden Stadtbahn, ihrer Brücken, Viadukte und Haltestellen konnte er binnen weniger Jahre zeigen, dass allein seine Prinzipien der Moderne, in die das rasch wachsende Wien eintrat, geeignet waren, den neuen Anforderungen an Verkehr und städtisches Leben zu genügen.

Vater der Moderne. Porträt Otto Wagner (1896) von Gottlieb Theodor Kempf von Hartenkampf.
Vater der Moderne. Porträt Otto Wagner (1896) von Gottlieb Theodor Kempf von Hartenkampf.

© Wien Museum

All das ist in einer umfangreichen Ausstellung zu sehen, die das Wien Museum aus Anlass des 100. Todestages des Architekten in seinem Haus am Karlsplatz ausrichtet. Von einem Teilstück der Stadtbahn mit Viadukt und Brücke sowie von den damaligen – dampfbetriebenen! – Zügen haben sich die wunderbar originalgetreuen Modelle erhalten, die 1896 dem Wiener Publikum den Stand der Technik an der gerade im Bau befindlichen Stadtbahn zeigten. Zur gleichen Zeit war Wagner auch mit den architektonischen Entwürfen für diverse Schleusen und zugehörige Brücken beschäftigt, die die Hochwassergefährdung durch den stadtinnen verlaufenden Donaukanal beseitigten, wie auch am Projekt der Einfassung und Einwölbung des Wien-Flusses.

An dessen nun nicht mehr sichtbarem Ufer stehen zwei der bedeutendsten Wohnbauten, die Wagner in seiner modernen Phase entwarf, mit den Adressen Linke Wienzeile 38 und 40. Wagner verkleidete die Fassaden mit Majoliken, daher der Name „Majolikahaus“ für das farbenprächtigere Haus Nr. 40. Dabei ging es Wagner mitnichten um bloße Dekoration, sondern um eine Fassadenbekleidung von langer Lebensdauer und leichter Pflegbarkeit.

Er kümmerte sich auch um die Innenausstattung

Wagner war nicht der einzige Architekt in Wien, der sich um 1900 vom Historismus – den wir heute kaum mehr anhand erhaltener Bauten in seinen damals üblichen Auswüchsen kennen – löste; zumeist waren es seine eigenen Schüler wie der kompromisslose Adolf Loos. Wagner selbst war unablässig um die Reduktion von Dekor bemüht; aber nicht als Verarmung, sondern als Konzentration auf die Möglichkeiten neuer Materialien wie des Aluminiums, das er in großem Umfang zu verwenden begann.

Badezimmer der Wohnung Wagner im Haus Köstlergasse 3, 1899.
Badezimmer der Wohnung Wagner im Haus Köstlergasse 3, 1899.

© Peter Kainz (Wien Museum)/Privatbesitz

Seine spätesten Mietshäuser, die 1909 und 1911 auf unscheinbaren Grundstücken inmitten enger Bebauung an der Neustiftgasse und der von ihr abzweigenden Döblergasse entstanden, springen durch die Eleganz ihrer Ökonomie sofort ins Auge. Wagner kümmerte sich auch um die Innenausstattung, etwa Bäder in der Wohnung – damals ein noch kaum verbreiteter, „englischer“ Luxus – oder elektrische Aufzüge. Dass er selbst mit seiner Frau nach dem Verkauf der am Stadtrand gelegenen, gleichfalls kubisch-klaren Villa 1912 eine Wohnung im Haus Döblergasse bezog – wo er denn auch, von der Mangelwirtschaft der Kriegszeit ausgezehrt, 1918 verstarb –, spricht für die Qualität, die Wagner in Grundriss und Ausstattung bei all seinen, mehrfach wechselnden Wohnungen selbstverständlich war. In der jetzigen Ausstellung sind dazu Fotografien sowie die von Wagners Mitarbeitern geschaffenen, opulenten „Präsentationszeichnungen“ zu sehen.

Wagners Großbauten sind beliebte Touristenziele

Wagner baute unentwegt, und seine späten Großprojekte der – derzeit in ihrem Bestand gefährdeten! – Postsparkasse, etwas zurückgesetzt von der Ringstraße (1906), sowie der Kirche (und Heilanstalt) Am Steinhof (1907) zählen heute zu den gängigen Touristenzielen. In seinen letzten Lebensjahren arbeitete Wagner ohne Auftrag an der „unbegrenzten Großstadt“, wie er sie beschrieb – an der prinzipiell endlosen Erweiterung Wiens um konzentrisch ausgreifende Bezirke. Dafür sah er den klaren, rechteckigen Stil vor, der in seinen späten Mietshäusern anklingt; vor allem aber bezog er Kultur- und Verwaltungsbauten ein, auch ein Hotel nach neuestem Standard zählt zu seinen späten Entwürfen, ebenso wie zahlreiche Denkmäler, mit denen er seine Vaterstadt schmücken wollte. Der kaiserliche Auftrag jedoch, auf den er zeitlebens gehofft und auf den er mit gehöriger Eigenreklame hingearbeitet hatte, blieb aus.

Wagners Architektur fand nach seinem Tod keine Nachfolge; dafür waren nach dem verlorenen Krieg die Umstände nicht mehr gegeben. Die Wohnbauten allerdings, die die Gemeinde Wien in den zwanziger Jahren errichtete, finanziert aus der neu eingeführten „Hauszinssteuer“ auf Immobilien, wurden vielfach von seinen Schülern entworfen. Was diese Wohnhöfe zumeist auszeichnet, ihre funktionale Anlage bei gleichzeitig anspruchsvoller Erscheinung, entspricht den theoretischen Forderungen und der ausgeführten Architektur Otto Wagners.

Wien Museum, Karlsplatz, bis 7. Oktober. Umfangreicher Katalog im Residenz Verlag (Salzburg) 50 €. www.wienmuseum.at

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