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Florian Schmidt (B’90/Die Grünen) ist Bezirksstadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, Abteilung für Bauen, Planen und Facility Management.

©  Kitty Kleist-Heinrich

Antwort auf offenen Brief zum Postscheck: "Haben Architekten einen moralischen Kompass?"

Der Architekt Matthias Sauerbruch hat sich im Tagesspiegel mit einem offenen Brief zum Postbank-Turm an Kreuzbergs Baustadtrat Florian Schmidt gewandt. Dieser entgegnete zunächst via Twitter - und dann ebenfalls im Tagesspiegel.

Sehr geehrter Herr Sauerbruch,

vielen Dank für Ihren offenen Brief, den ich mit großem Interesse gelesen habe. Sie benennen darin einige Themen, zu denen ich gerne Stellung nehme.

Zunächst kurz zu meinem Tweet, in dem ich sage, dass ich mir Architekt*innen merke, die für Bauherr*innen arbeiten, die mit Baugenehmigungen spekulieren. Dieser Tweet war bewusst provokativ. Die Reaktionen waren sehr unterschiedlich, von begeistertem Zuspruch bis hin zu ausartenden Hassmails. Wie Sie selbst richtig annehmen, wird niemand bestraft. Es werden keine Listen angelegt und in Friedrichshain-Kreuzberg wird auch keine Diktatur eingeführt, wie es manche behaupteten oder andeuteten.

Es geht um eine andere Frage, die der Tweet auch beinhaltet: Haben oder brauchen Architekt*innen einen „moralischen Kompass“? Dies ist ein Thema, das meines Erachtens zu wenig diskutiert wird. Sowohl Ihre Aussage, wonach Architekt*innen die einzigen seien, welche das Allgemeininteresse noch im Blick hätten, wie auch die Aussage des Berliner Landesvorsitzenden des Bundes Deutscher Architekten, Andreas R. Becher, dass Architekt*innen qua Berufsstatus einen moralischen Kompass hätten, unterstreichen den Eindruck, dass Gesprächsbedarf besteht.

Die Grafik zeigt die Nutzung der Baufelder, Stand September 2018
Die Grafik zeigt die Nutzung der Baufelder, Stand September 2018

© Tsp/Klöpfel

Als Soziologe stelle ich fest, dass eine Selbstbeschreibung vorliegt, die Architekt*innen einen besonderen gesellschaftlichen Status zuschreibt. Sie seien per se auf der Seite des Gemeinwohls. Die Realität in meinem Bezirk ist jedoch die, dass Architekt*innen an vielen Projekten mitarbeiten, die gesellschaftlich von beschränktem Nutzen sind, um es vorsichtig auszudrücken. Zunächst sind da unzählige Modernisierungs- und Umwandlungsmaßnahmen, die direkt oder indirekt zu Verdrängung von einkommensschwachen Menschen führen. In Katalogen werden die neuen Wohnwelten angepriesen und astronomische Preise gerechtfertigt. Weiterhin gibt es viele Bauprojekte, die nicht ausgeführt werden, weil das Weiterverkaufen deutlich lukrativer ist als das Bauen. Schließlich gibt es Großprojekte, die neue Wohn- und Arbeitswelten entstehen lassen. Doch diese sind in der Regel von einem Duktus zwischen Luxus und aufgesetzter innovativer Mischung getragen. Natürlich sind die gesetzlichen Rahmenbedingungen der tiefere Grund für diese Art von Projekten. Doch alle, die daran mitwirken, tragen auch Verantwortung. Natürlich sind die gesellschaftspolitischen Bewertungen solcher Projekte Ansichtssache. Meine Ansicht ist, dass wir in zweierlei Hinsicht die Stadtentwicklung neu denken müssen.

"Der Ausgangspunkt des Projektes war denkbar ungünstig"

Das möchte ich Ihnen am Beispiel des Postscheckamts darlegen: Zum einen war der Ausgangspunkt des Projektes denkbar ungünstig. Ein mittelbar öffentliches, baurechtlich dem Gemeinbedarf zugeordnetes Areal wird ohne Auflagen privatisiert. Danach setzen sich Politik und Eigentümer zusammen und führen ein Wettbewerbsverfahren durch. Das Ergebnis ist eine städtebauliche Figur mit einer Nutzungsmischung, die zwei zentrale Merkmale aufweist:

a) Extreme Verdichtung und Orientierung der Mischung entlang einer hochwertigen und hochpreisigen Version von Stadt. Der Wohnturm hätte möblierte Kleinstwohnungen beinhaltet, die zeitlich befristet zu hohen Preisen vermietet worden wären. Die Kurzzeitbewohner*innen aus dem mittleren Management von Großkonzernen würden die Infrastruktur des Bezirks nutzen, aber sicher nicht Teil des Kiezes werden.

b) Die Konzeption gibt eine detaillierte Entwicklung vor, bevor Öffentlichkeit und Nachbarschaft einbezogen wurden. Ich selbst habe diese Planung bei Amtsantritt vorgefunden, sie für mich als eine metropolitane Stadtentwicklung eingeordnet und nicht grundsätzlich infrage gestellt, sondern das B-Plan-Verfahren zunächst weiter vorangebracht. Insbesondere habe ich den Anteil von bezahlbarem und kommunalem Wohnraum begrüßt.

"Ein Zugewinn an demokratischer Souveränität über die Gestaltung der Stadt"

Was bedeutet nun der zur Debatte stehende Neustart des Projektes? Es bieten sich zwei Möglichkeiten: Einerseits werden die lokalen Bedarfe mehr berücksichtigt, die Dominanz der extrem teuren Wohnwelten entfällt. Statt 22 000m² könnten jetzt 28 000m² bezahlbare Wohnfläche in kommunalem Eigentum entstehen. Statt einem Luxuswohnturm für die globale Managementklasse bleibt der Turm als Bürogebäude bestehen, in dem voraussichtlich Menschen aller Einkommensklassen arbeiten werden. Andererseits eröffnet das neue Szenario eine Debatte mit der Öffentlichkeit. Es ermöglicht der Nachbarschaft und der Politik, eine Entscheidung zu treffen, im Angesicht von realen Alternativen.

Ob dieses Modell dem alten gegenüber bevorzugt werden sollte und wie gegebenenfalls die kommunalen Gebäude gestaltet und genutzt werden sollten. Dies ist ein Zugewinn an demokratischer Souveränität über die Gestaltung der Stadt und keine Sabotage, wie Sie schreiben.

Die zwei neuen Paradigmen der Stadtentwicklung sind für mich reale Entscheidungsalternativen und bedarfsgerechte Nutzungskonzepte. Um beide Ansprüche zu erfüllen, benötigen wir zeitgemäße Verfahren und Maßstäbe des Gemeinwohls. Unter dem Label LokalBau werden wir im Bezirk eine Plattform aufbauen, die bei Neubauprojekten Nutzer*innen, gemeinwohlorientierte Akteur*innen und Flächen zusammenbringt. Im Idealfall werden neue Quartiere in dialogischen Verfahren entwickelt, gemeinsam mit den Bürger*innen. Statt Wettbewerbsverfahren mit „Stakeholder-Segen“ werden Werkstattverfahren stattfinden. Neubau wird vor allem dazu da sein, diejenigen, die durch Modernisierung und Umwandlung verdrängt werden, mit bezahlbarem Wohnraum zu versorgen. Am Postscheckamt wären wir nach dem neuen Modell nun in der Lage, diese Ansprüche im Wohnbereich umfassend umzusetzen.

"Die Planungshoheit liegt beim Staat und nicht bei den Privateigentümern"

Was die von Ihnen angesprochene Legitimation von Entscheidungen angeht, möchte ich noch einmal zum Grundsätzlichen zurückkehren: Die Interessen der Bevölkerung werden in unserem demokratisch organisierten Gemeinwesen von den gewählten Repräsentant*innen vertreten. Das ist zuvorderst das Bezirksparlament und sein von Ihnen kritisierter Stadtplanungsausschuss – sowie meine Bezirksamtskolleg*innen und ich. Wir haben den Auftrag, die Interessen der Bürger*innen zu vertreten. Dabei müssen wir mit Eigentümer*innen von Grundstücken in den Konflikt geraten, da diese selbstverständlich und nachvollziehbar ihre eigenen Interessen verfolgen. Diese gilt es mit den Interessen der Bevölkerung in Einklang zu bringen.

Sie betonen, dass das Wettbewerbsverfahren, in dem alle „Stakeholder“ beteiligt gewesen seien, verbindlich sei und den Ausgleich der Interessen bereits final geschaffen habe. Dem ist nicht so. Ein Wettbewerbsverfahren ist ein traditionelles Hilfsmittel, um den fachlich besten Vorschlag zu finden. Meistens werden Wettbewerbe von Eigentümer*innen initiiert und finanziert. Das Ergebnis des Wettbewerbs ist ein Angebot. Die demokratisch legitimierten Volksvertreter*innen können, sofern es sich um ein B-Plan-Verfahren handelt, das Angebot annehmen, aber sie können es auch ablehnen. Wenn das Angebot keinen guten Ausgleich der widerstreitenden Interessen darstellt, dann sollten sie es ablehnen. Die Planungshoheit liegt beim Staat und nicht bei den Privateigentümer*innen. Diese Macht des Parlaments kann ein*e Eigentümer*in unsinnig finden, aber dann findet diese Person auch einen der Grundpfeiler der Demokratie unsinnig.

Wir in Friedrichshain-Kreuzberg streben an, die traditionellen Verfahren durch das oben vorgestellte, kooperative Vorgehen zu ergänzen oder zu ersetzen und damit einen deutlich zustimmungsfähigeren Interessenausgleich zu erreichen. Architekt*innen werden dabei genauso gebraucht wie Kulturwissenschaftler*innen, Aktivist*innen und Nachbar*innen. Ich lade Sie herzlich dazu ein.

Florian Schmidt

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