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Premiere und Abschied. Beatrice Kramm wurde am Montag auf einem Festakt im Ludwig Erhard Haus von IHK-Hauptgeschäftsführer Jan Eder (v.l.), dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller und ihrem Vorgänger im Amt, Eric Schweitzer, als neue Präsidentin der IHK begrüßt. Foto: promo

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IHK Berlin: Eric Schweitzer macht Platz für Beatrice Kramm

Erstmals in ihrer 114-jährigen Geschichte wird Berlins Industrie- und Handelskammer (IHK) von einer Frau geführt: Beatrice Kramm. Wer ist diese Frau?

Kramm wurde am Montagnachmittag von der Vollversammlung der Kammer mit 65 Ja-Stimmen (fast 88 Prozent), 3 Enthaltungen und 6 Nein-.Stimmen zur Nachfolgerin von Eric Schweitzer gewählt. Der Eigentümer des Recyclingkonzerns Alba und amtierende Präsident des Kammerdachverbandes DIHK stand fast zwölf Jahre an der Spitze der Berliner IHK und hatte im Januar seinen Rückzug angekündigt. Kramm ist bereits seit 2006 Vize-Präsidentin der Kammer, aber in der breiteren Öffentlichkeit weitgehend unbekannt.

Gen Ende eines längeren Kennenlerngesprächs will man von Kramm wissen, was denn ihre größte Stärke, und ihre größte Schwäche sei. Da verweist sie erstmals direkt auf ihren Vorgänger Schweitzer. Der habe in einem Interview einmal geantwortet: „Meine Ungeduld und meine Ungeduld“. Kramm, wie Schweitzer 50 Jahre jung, bezeichnet ebenfalls Ungeduld als ihre größte Schwäche. Ihre größte Stärke sei: Offenheit.

Tatsächlich wirkt sie so. Floskelsätze wie „Ich möchte etwas bewegen“ oder „Wir stehen vor ganz großen Herausforderungen“ sind die große Ausnahme. Auf persönliche Fragen antwortet Kramm spontan und authentisch, aber nicht ausschweifend. Sie versuche sich die Marotte abzugewöhnen, öfter nur knapp mit „Ja“ oder „Nein“ zu antworten, lacht sie. Ihre neuen Ansprechpartner aus Politik können sich auf eine selbstbewusste, charmante und augenscheinlich unkomplizierte Gesprächspartnerin gefasst machen.

Entscheidung leicht(er) gemacht. Auf dem Wahlzettel fehlte das Kästchen für "Nein". Entsprechende Kreuze wurden aber natürlich dennoch gezählt: Sechs Wahlberechtigte votierten gegen Kramm.
Entscheidung leicht(er) gemacht. Auf dem Wahlzettel fehlte das Kästchen für "Nein". Entsprechende Kreuze wurden aber natürlich dennoch gezählt: Sechs Wahlberechtigte votierten gegen Kramm.

© Tsp

Beatrice Kramm, geboren in Duisburg, verbrachte ihre Kindheit und Jugend in Hamburgs bürgerlichen (und auch etwas langweiligen) nördöstlichen Stadtteil Rahlstedt, später im nahen Vorort Barsbüttel. Ihr Vater kaufte in ihrem Geburtsjahr 1965 50 Prozent der Anteile des Unternehmens Polyphon von der legendären Plattenfirma Deutsche Grammophon AG. Polyphon, 1885 in Leipzig gegründet, war in grauer Vorzeit einer der weltweit führenden Hersteller von Musikabspielgeräten und produzierte sogar Autoteile.

Bis heute stehen Grammophone in ihrem Büro – neben einem Paar Boxhandschuhen und einem roten Punchingball. Kramms Vater und die anderen Eigentümer machten das Unternehmen zu einer Filmproduktionsgesellschaft.

Ab 1984 Jura an der FU Berlin

Beatrice Kramm verschlug es nach dem Abitur auf der Suche nach einem Jura-Studienplatz über die Zentrale Vergabestelle für Studienplätze (ZVS) 1984 nach West-Berlin zur Freien Universität. Nach Stationen in Genf und Boston ließ Sie sich nach der Wende an der Humboldt-Uni promovieren. Ihr Thema: Handelsregisterrecht. In jenen Jahren heuerte sie auch erstmals bei der IHK an, stieg nach dem Staatsexamen intensiv in die Tiefen des Haushaltes der Kammer ein. Damals lernte sie auch den heutigen Hauptgeschäftsführer Jan Eder kennen. Kramm war zwischenzeitlich Schatzmeisterin der IHK.

Vor gut 20 Jahren holte der Vater die damals allein erziehende Mutter zweier Söhne aber zurück in die Kreativwirtschaft. Kramm wurde Geschäftsführerin der seit zehn Jahren in Berlin-Adlershof residierenden Polyphon AG. Persönlich hält sie noch zehn Prozent der Anteile. 90 Prozent gehören der Studio Hamburg GmbH, einer Produktionsgesellschaft des öffentlich-rechtlichen Norddeutschen Rundfunks (NDR). Kramm, die privat in Charlottenburg wohnt, pendelt zwischen Hamburg und Berlin.

Vom ZDF-"Traumschiff" bis "Doctor's Diary" für RTL

Kramm bezeichnet sich als „Film-Producerin“, eine international gebräuchliche Berufsbezeichnung, die weiter gefasst ist als „Film-Produzentin“ im Deutschen. Mit ihrem Team aus insgesamt 25 Mitarbeitern entwickelt sie Stoffe fürs Fernsehen und organisiert die Umsetzung von der Auswahl des Drehbuchautoren bis zum Dreh selbst. Bekannt ist die Polyphon unter anderem für Produktionen wie der seit 1981 laufenden ZDF-Serie „Das Traumschiff“ oder die Arztserie „Doctor's Diary“, die RTL von 2008 bis 2011 gute Quoten brachte. Für das Erste produziert Team Kramm jährlich eine Folge der Serie „Der Bulle und das Landei“ mit Uwe Ochsenknecht.

Warum Kramm auf die dänische Serie "Borgen" steht

Traumschiff? Doctor's Diary? Alles kommerzielle Formate, natürlich! Aber es geht ja auch ums Geld verdienen. „Mit neuen Serien wollen wir Geschichten erzählen und Zuschauer unterhalten Natürlich müssen wir wissen, was sich verkauft. Wo ist die Lücke, wo ist der Bedarf, wo ist der Sendeplatz für einen Inhalt? Das ist eine sehr wirtschaftliche Herangehensweise, hinter der die Kreativität steckt“, erklärt sie.

Kalt wirkt Kramm dabei nicht. Eher realistisch. So wolle sie irgendwann zum Beispiel die Geschichte eines Obdachlosen ins Fernsehen bringen, der vor fünf Jahren in ihrer Nachbarschaft erfroren sei. Alle hätten ihn gekannt, viele wollten ihm helfen. Doch der Mann habe nicht gewollt. Ein eher harter Stoff. „Ich versuche noch, die Geschichte zu verkaufen“.

Warum Kramm "Borgen" aus Dänemark so stark findet

Auf die Frage, welche nicht von ihr produzierte Serie sie denn für die beste hält, antwortet sie nach einer Kunstpause: „Borgen“, eine dänische Serie, die in Deutschland mit dem Zusatztitel „Gefährliche Seilschaften“ bis 2013 lief. „Die Verbindung von Politik und Journalismus ist dort nicht so plakativ dargestellt wie bei House of Cards", erklärt sie. Ihr gefalle, wie die Protagonistin keine Klischees erfülle und sich die Figur sehr langsam mit jeder Folge entwickele. Die Figur Birgitte Nyborg wird überraschend zur Premierministerin Dänemarks gewählt und schlägt sich dann durch. Ein Fingerzeig?

Beatrice Kramm arbeitet bereits seit 2007 im Präsidium der Berliner IHK und war spätestens seitdem Hauptgeschäftsführer Jan Eder im vergangenen Herbst erklärt hatte, dass er sich eine Frau als Präsidentin „sehr gut vorstellen“ könnte, wohl eine heiße Kandidatin. Schließlich kann ein Präsident nur aus dem Kreis der etwa 100 Mitglieder der Vollversammlung samt Präsidium gewählt werden.

Schweitzer verschafft Kramm taktischen Vorteil

Mit Eric Schweitzers Rückzug vor der Wahl zur Vollversammlung im kommenden Jahr hat er Kramm den großen Vorsprung für die nächste Präsidiumswahl verschafft. Die in der breiten Öffentlichkeit bisher unbekannte Kramm hat nun ein Jahr Zeit, sich im Amt zu profilieren, bekannt zu werden. Jeder andere Chef oder Chefin eines der 280000 Berliner Unternehmen, die gern die Berliner Wirtschaft repräsentieren wollen, dürften es nicht leicht haben die Hürden zur Wahl der Vollversammlung und an die Spitze des Präsidiums zu nehmen – allein schon wegen der Regularien.

Wie auch ihr Vorgänger wird IHK-Präsidentin nicht an zwei bis drei festen Tagen im Ludwig-Ehrhard-Haus anzutreffen sein. Ihre IHK-Zeit ist fragmentiert und synchronisiert mit ihrer Arbeit bei der Polyphon. Zum Glück seien Hauptgeschäftsführer Jan Eder und sie Frühaufsteher. „Morgens telefonieren wir viel“. Zudem wird ihr Typ vor allem bei Abendveranstaltungen gefragt sein.

Aber es geht nicht nur ums Repräsentieren. Auch programmatische Ideen, die man mit ein wenig Phantasie auch als Kritik an der bisherigen IHK-Arbeit verstehen kann, hat sie dennoch: „Die IHK ist dann stark, wenn sie zuhört“, sagt sie. Und dieses Zuhören müsse die IHK ausbauen: Juristischen Rat geben für Taxifahrer und Kiosk-Besitzer zum Beispiel. Mitglieder, und das seien auch die vielen beitragsbefreiten Kleinstunternehmer der Stadt, betont sie, sollten wissen, was ihre Kammer für sie leisten kann.

Mehr Rat für Taxi-Fahrer und Kiosk-Besitzer

Wie sie sich zu den anderen Institutionen der Stadt positioniert, die für sich in Anspruch nehmen, für die „Berliner Wirtschaft“ zu sprechen, ist eine der wenigen Fragen, die Kramm offen lässt. „Da muss ich noch abwarten, ich möchte sie erst besser kennenlernen“, sagt sie mit Blick auf den Verein Berliner Kaufleute und Industrieller (VBKI) oder die Unternehmensverbände Berlin und Brandenburg (UVB). Lediglich die konstruktive Zusammenarbeit mit der Handwerkskammer unter dem gleichaltrigen Präsidenten Stephan Schwarz hebt sie hervor, da sie bereits aus eigener positiver Erfahrung sprechen kann.

Und dann doch noch ein Wort zu ihrem Vorgänger Eric Schweitzer: „Ich finde, er hat einen ausgezeichneten Job gemacht.“ Bestimmt nicht ohne Grund sei er auch Präsident des Dachverbandes DIHK. Den Posten will Schweitzer freilich noch nicht räumen. Und dafür gäbe es dann womöglich auch mehr als einen Kandidaten oder eine Kandidatin.

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