zum Hauptinhalt
Im vergangenen Jahr fand die IAA noch in Frankfurt statt.

© dpa

Ideologie statt Pragmatismus: Die IAA-Niederlage legt die Schwächen von Rot-Rot-Grün in Berlin offen

Die Automobilmesse findet in München statt und nicht in Berlin. Es fehlte das Vertrauen in die Stadt und ihre Politiker. Eine Analyse.

Für den konfliktscheuen Christian Amsinck ist die Formulierung beachtlich: „Es hätte einen Senat gebraucht, der geschlossen eine solche Idee unterstützt“, schimpfte der Chef der Unternehmensverbände in Berlin und Brandenburg über die Niederlage der Hauptstadt im Wettbewerb um die Internationale Autoausstellung (IAA). „Es ist nicht nur schade um die vielen Arbeitsplätze und die Steuereinnahmen, die uns nun entgehen. Berlin hätte sich auch weltweit als Metropole der modernen Mobilität profilieren können.“

Am Dienstag hatte der Vorstand des Verbandes der Autoindustrie (VDA) München als Austragungsort gewählt und nicht Berlin – obgleich der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) und Messechef Christian Göke das beste Konzept für eine neue IAA präsentiert hatten. Doch es fehlte am Ende das Vertrauen in die Stadt und ihre Politiker. Würde wohl eine Regierende Bürgermeisterin von den Grünen demnächst zur Eröffnung der Automesse vor das Brandenburger Tor kommen? Mit München hat sich die Autoindustrie für die sichere Variante entschieden.

Amsinck ärgert sich ebenso wie die Kollegen der Kammern über die Wirtschaftspolitik des rot-rot-grünen Senats und der zuständigen Senatorin Ramona Pop (Grüne), die sich bei der IAA-Bewerbung einen schlanken Fuß gemacht hatte. Wodurch sich in der Autobranche der Eindruck verstärkte, Berlin wolle die wichtigste deutsche Messe nicht wirklich. „Angesichts der jüngsten wirtschaftspolitischen Entscheidungen des Senats ist es dringend geboten, dass Berlin an seiner Ausstrahlung als Wirtschaftsstandort arbeitet“, fordert IHK-Präsidentin Beatrice Kramm Konsequenzen aus der IAA–Niederlage. Ist das mit dem Senat möglich?

Siemensstadt 2.0 als Ausnahme

Nach der spektakulären Entscheidung von Siemens, mit 600 Millionen Euro in Siemensstadt einen Innovationscampus für die digitale Welt zu bauen und dabei die Berliner Mischung aus Wohnen und Arbeiten, Forschen und Leben zu revitalisieren, träumten manche von goldenen 20er Jahren.

Siemensstadt hat geklappt, weil Siemens-Vorstandsmitglied Cedrik Neike und Senatschef Michael Müller gemeinsam den Konzernvorstand von der Großinvestition am alten Standort überzeugten. Sehr hilfreich war auch Jochen Lang, der in der Senatskanzlei für die Ressortkoordination zuständig ist. In Berlin, wo gerne niemand für nichts zuständig ist, ein ambitionierter Job. Lang hat im Fall der Siemensstadt gut gearbeitet und auch bei der Bewerbung der Messe Berlin für die IAA so gut es ging geholfen. Über die Senatsverwaltungen für Wirtschaft und Verkehr lässt sich das nicht sagen.

Siemens-Vorstand Cedrik Neike, Michael Müller, Wirtschaftssenatorin und Ramona Pop und der Architekt Markus Penell Anfang Januar mit dem Entwurf der neuen Siemensstadt.
Siemens-Vorstand Cedrik Neike, Michael Müller, Wirtschaftssenatorin und Ramona Pop und der Architekt Markus Penell Anfang Januar mit dem Entwurf der neuen Siemensstadt.

© picture alliance/dpa

Ideologie statt Pragmatismus

Von einer „Blockade“ ist die Rede im Berliner Bewerbungsteam hinsichtlich der Zuarbeit aus dem Haus der Verkehrssenatorin. Regine Günther (Grüne) verkörpert ähnlich wie Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke) das Image des ideologisch agierenden Senats. Das meinen nicht nur die Verbände. „Kunde droht mit Auftrag“ – nach dieser Devise arbeiten in Berlin nach Einschätzung der IG Metall Verwaltungen und Behörden.

Ganz anders in anderen Städten, wo sich die öffentliche Hand als Dienstleister für Betriebe und Bürger verstehe. „Was können wir für Euch tun?“, diese Frage wird andernorts von Politikern gestellt. In Berlin beschäftigt man sich gerne mit sich selbst und verirrt sich im Gestrüpp zwischen Bezirken und Senat. Oder pflegt die eigenen Wählerschaft im Milieuschutzgebiet. Noch hält sich der Schaden in Grenzen für die Stadt. Die Politiker können sich die Klientelpolitik erlauben, weil Stadt und Wirtschaft seit einigen Jahren dynamisch wachsen.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Berlin ist unverändert attraktiv für junge Leute aus aller Welt. Vielleicht zieht gerade das Chaotische die Jungen an, mutmaßt Martin Gornig vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Verstärkt durch den Fachkräftemangel gehen Unternehmen zunehmend dort hin, wo die Menschen sind. Also in die wachsende Stadt Berlin. Gornig hat Ende vergangenen Jahres eine Studie über die Stärken und Schwächen Berlins vorgelegt und dabei auch die Entwicklung seit 2008 untersucht: In sieben von acht Kategorien hat sich Berlin verbessert, „nur in der Verwaltung ist Berlin zurückgefallen“. Gut, dass es Rom gibt. Die Effizienz der Verwaltung wird im Vergleich von 15 europäischen Hauptstädten nur in Rom schlechter eingeschätzt als in Berlin.

Attraktiv für Talente aus aller Welt

Am besten schneidet die deutsche Hauptstadt in den Bereichen Talent und Technologie ab. „Nicht zuletzt dürfte dies auch ein Grund für die gegenwärtig gute ökonomische Performance sein“, meint der DIW-Wissenschaftler. Anders gesagt: Die Anziehungskraft auf ideenreiche Menschen überkompensiert die Defizite der ansässigen Institutionen. „In der Kategorie Administration landet Berlin weit hinten auf Rangplatz 13. Nur Budapest, Athen und Rom schneiden noch schlechter ab.“ Gornigs Empfehlung an die Politik: „Eine Effizienzoffensive für die Verwaltung wäre ein Riesending.“

In dieser Legislaturperiode ist damit nicht zu rechnen. Die Senatsmitglieder bereiten sich auf das Wahljahr 2021 vor, wie am Verhalten der Wirtschaftssenatorin zu beobachten ist. Den Spagat zwischen parteipolitischer Ambition – Kandidatin der Grünen für das Amt des Regierenden Bürgermeisters – und Verantwortung für das Wohlergehen der Wirtschaft, hat sie im Falle der IAA nicht geschafft. Andere können das besser: Der grüne hessische Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir und Katharina Fegebank, Grünen-Chefin in Hamburg, haben für die IAA vor ihrer Tür geworben. Pragmatismus statt Ideologie.

CDU-Senatorinnen ohne Erfolg

Die Vorgängerinnen von Pop waren glücklos und enttäuschten die Erwartungen der Wirtschaft, obwohl sie auf einem CDU-Ticket in den Senat gekommen waren. In Kammern, Verbänden und Gewerkschaften erinnert man sich gerne an den Wirtschaftssenator Harald Wolf, der von 2002 bis 2011 amtierte. Ein Linker! Berlin ging es schlecht, und Wolf hatte gar keine andere Wahl, als eine Politik für die Wirtschaft zu machen. Heute „regnet das Geld durch die Decke“, sagt ein Wirtschaftsvertreter.

Die Politiker bedienen ihre Klientel und haben weniger das große Ganze im Auge. Andernfalls wären Mietendeckel und Vergabegesetz wohl nicht gekommen. Der Mietendeckel ist populär und hat Charme, doch warum profitieren auch einkommensstarke Mieter davon? Und in Immobilien wird nicht mehr investiert, auch von landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften und Genossenschaften nicht. Wer baut noch Wohnungen?

Mit dem Vergabemindestlohn hat Senatorin Pop dem DGB eine Freude gemacht. Der Mindestlohn bei öffentlichen Vergaben steigt von neun Euro auf 12,50 Euro. Dazu müssen die Auftragnehmer soziale und ökologische Kriterien erfüllen. Im Ergebnis wird es für die öffentliche Hand noch schwieriger werden, Unternehmen zu finden, die zum Beispiel Kitas bauen. Gut gemeint ist das Gegenteil von gut gemacht. In Berlin sowieso.

Zur Startseite