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Naschkatzen und Liebhaber von Knabberwaren werden tiefer in die Tasche greifen müssen.

© Christophe Archambault/AFP

Update

Hersteller warnen: Supermärkten drohen leere Süßigkeitenregale

Wegen des Kriegs in der Ukraine fehlt für die Süßigkeitenherstellung eine wichtige Zutat: Sonnenblumenlecithin. Die Politik will helfen.

Als hätten Deutschlands Verbraucher nicht schon genug an steigenden Preisen und Lücken in den Supermarktregalen zu knabbern, könnten jetzt auch noch Eis, Schokolade und Pralinen ausgehen. „Mitte des Jahres drohen leere Regale bei den Süßwaren“, warnte Bastian Fassin, Vorsitzender des Bundesverbands der deutschen Süßwarenindustrie (BDSI), am Montag in Berlin. Das Ostergeschäft ist nicht betroffen: Schokohasen und abgepackte Nougateier gibt es in Hülle und Fülle.

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Dass dagegen der Sommer eine bittere Zeit für Freunde des Süßen werden könnte, liegt an einer Zutat, die in den allermeisten Süßigkeiten steckt: Sonnenblumenlecithin. Der Stoff sorgt als Emulgator dafür, dass sich Fett und Wasser verbinden. Doch da 80 Prozent aller Sonnenblumenkerne und des Sonnenblumenöls aus der Ukraine und Russland kommen, fällt der Nachschub aus.

Kleine Zutat, große Wirkung

Wenn ihre Lager leer sind, könnten die Süßwarenfirmen zwar auf Soja- oder Rapslecithin ausweichen, das es in ausreichender Menge gibt. Doch nach geltendem Lebensmittelrecht müssten sie dazu ihre Verpackungen ändern. Mit der alten, dann falschen Aufschrift wären die Süßigkeiten nicht verkehrsfähig und dürften nicht verkauft werden.

Das Problem: Verpackungsmaterial ist knapp. Sechs bis zwölf Monate Vorlauf seien nötig, wenn ein Unternehmen Veränderungen vornimmt. Müsste aber die gesamte Branche umstellen, sei das wegen des Materialmangels ein Ding der Unmöglichkeit, mahnt der Verbandschef, der im Hauptberuf die Firma Katjes leitet. Nun hofft der Verband auf ein Einlenken der Politik.

Unter dem Vorbehalt, dass keine Gefährdung der Verbraucher damit verbunden ist, ermuntert das Bundesagrarministerium die Unternehmen, Spielräume zu nutzen, die der bestehende Rechtsrahmen für Änderungen der Etikettierung bietet. "So können auch nach dem Druck und vor Abgabe der Lebensmittel an die Endverbraucher Änderungen am Etikett vorgenommen werden, beispielsweise durch ein Überkleben der falschen Informationen", sagte eine Ministeriumssprecherin dem Tagesspiegel.

Staatssekretärin bittet um Nachsicht

Um denjenigen Unternehmen zu helfen, die nachweisbar vor dem Problem stehen, Lebensmittel nicht korrekt gekennzeichnet in Verkehr bringen zu können und diese gegebenenfalls entsorgen zu müssen, hat Staatssekretärin Silvia Bender (Grüne) zudem ein Schreiben an die Amtschefinnen und -chefs der zuständigen Obersten Landesbehörden gerichtet. Bender bittet darum, dass die für die Lebensmittelüberwachung zuständigen Landesbehörden die bestehenden rechtlichen Spielräume verantwortungsvoll nutzen und mit Augenmaß Lösungen bei der Beurteilung von kriegsbedingten Kennzeichnungsmängeln finden. Auch die EU-Kommission hat in einem Schreiben an die Mitgliedstaaten verdeutlicht, dass sie dieses unbürokratische Vorgehen auf der Basis von Einzelfall-Entscheidungen und ohne Gesundheitsgefährdungen unterstützt. EU-Kommission und Mitgliedstaaten stehen im laufenden Kontakt zueinander, um die Entwicklungen gemeinsam aufmerksam zu verfolgen.

 Die Preise für Container haben sich verdreifacht

Auch ohne das neue Problem hatte die Branche schon vor dem Kriegsausbruch zu kämpfen: Rohstoffe waren schwierig zu bekommen, auch der Transport war ein Problem. „Die Preise für Container haben sich verdreifacht“, sagt Fassin. Inzwischen koste der Container oft mehr als dessen Inhalt. Weil sich zudem die Coronafälle in der Belegschaft häufen, müssen viele Firmen die Produktion drosseln.

Ein Trost: Osterhasen gibt es in Hülle und Fülle.
Ein Trost: Osterhasen gibt es in Hülle und Fülle.

© Angelika Warmuth/dpa

Der Krieg hat die Situation aber noch deutlich verschärft. Die Preise für Weizen, Zucker, Öl und Milch sind in die Höhe geschossen, wenn die Rohstoffe überhaupt verfügbar sind. „Die Lage ist schlimmer als unsere schlimmsten Albträume“, sagt Fassin.

Naschkatzen und Liebhaber von Knabberwaren werden tiefer in die Tasche greifen müssen: Die Preise könnten im zweistelligen Bereich steigen, glaubt der Verbandschef. Statt wie früher einmal im Jahr würden einige Süßwarenproduzenten inzwischen täglich mit dem Handel über Preise sprechen. „Das gab es seit dem zweiten Weltkrieg nicht mehr“, betont Fassin.

[Kostet Brot bald zehn Euro? Lesen Sie dazu das Interview mit dem Bäckerverband (T+)]

Noch bedrohlicher wird es, wenn Gas knapp werden sollte. Denn in den meisten Unternehmen ist Gas der wichtigste Energieträger. Sollte es zu einer Rationierung kommen, möchte die Süßwarenindustrie als systemrelevante Branche eingestuft und weiter beliefert werden. Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) hat bereits betont, dass er sich bei Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck dafür einsetzt, dass die Landwirtschaft und die Lebensmittelindustrie als systemrelevant angesehen werden.

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Ritter Sport liefert weiter nach Russland. Das gibt Ärger.
Ritter Sport liefert weiter nach Russland. Das gibt Ärger.

© picture alliance /Marijan Murat/dpa

Russland ist ein wichtiger Markt

Der Krieg in der Ukraine lässt nicht nur die Preise steigen, er gefährdet auch den Export. Denn die Süßwarenindustrie hat den größten Anteil am Export von Lebensmitteln nach Russland. Im vergangenen Jahr haben die deutschen Süßwarenhersteller 53.700 Tonnen von Waren mit einem Wert von 230 Millionen Euro nach Russland geliefert, verglichen mit dem Vorjahr ein Plus von acht Prozent. In der Ukraine hatte die Branche sogar ein Umsatzplus von 22 Prozent erzielt.

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Da der Lebensmittelbereich nicht von den Sanktionen erfasst ist, dürfen die Unternehmen Russland weiter beliefern. „Es gibt rechtliche Verpflichtungen“, betont Fassin. Doch Unternehmen, die das tun, müssen mit Ärger rechnen. Jüngstes Beispiel ist der Schokoladenproduzent Ritter, der weiter nach Russland liefert und sich nun mit Boykottaufrufen konfrontiert sieht. Trotz heftiger Kritik kündigte Ritter-Sport-Chef Andreas Ronken an, die Lieferungen nicht einzustellen – aus Rücksicht auf die Mitarbeiter und die Lieferanten. Die Gewinne aus den Verkäufen will Ronken jedoch spenden.

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