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Baumaschinen stehen gegenüber der Baustelle des Humboldt-Forum im neuen Berliner Stadtschloss.

© dpa/Gregor Fischer

Exklusiv

Hehlerware im Museum: Wie viel Raubkunst zieht ins Humboldt-Forum ein?

Fast 180 Benin-Bronzen sollen bald in Berlin ausgestellt werden – obwohl es sich dabei um Diebesgut handelt, wie Experten kritisieren.

Sie sollen das Herzstück des Humboldt-Forums in Berlin werden: die weltberühmten Benin-Bronzen – schwere Skulpturen aus Westafrika, handgefertigt aus rot-braunem Metall, Jahrhunderte alt und unschätzbar wertvoll. Dass sie mitten in der deutschen Hauptstadt ausgestellt werden sollen, sorgt für Ärger. Denn die Geschichte der Benin-Bronzen erzählt nicht nur von dem reichen Erbe der historischen Königreiche Westafrikas – sondern auch von Raub und Hehlerei. Gestohlen wurden die Benin-Bronzen während der Kolonialzeit, von einer britischen Strafexpedition, die am Ende des 19. Jahrhunderts Benin-Stadt verwüstete, den Regierungssitz des damaligen Königreichs der Edo, im Süden des heutigen Nigerias.

„Zirka 440 solcher Objekte“ lagern heute in den Beständen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK). So steht es in einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion, die dem Tagesspiegel vorliegt. „Nach derzeitiger Planung sollen rund 179 ‚Benin-Bronzen‘ im Humboldt Forum ausgestellt werden“, heißt es weiter.

Benin-Bronzen in Paris. Viele westliche Museen haben solche Objekte aus Westafrika in ihren Sammlungen.
Benin-Bronzen in Paris. Viele westliche Museen haben solche Objekte aus Westafrika in ihren Sammlungen.

© REUTERS

„Das kollektive Gedächtnis der Edo-Kultur“

Nicht festlegen will sich die Bundesregierung bei der Frage, bei wie vielen der Benin-Bronzen es sich eindeutig um Raubkunst handelt. „In der Sammlung des Ethnologischen Museums der SPK befinden sich 342 Objekte, die aus dem Edo-Königreich stammen könnten und im Zusammenhang mit der britischen Kolonialpraxis stehen könnten“, schreibt die Bundesregierung.

Mit „Kolonialpraxis“ ist die britische Strafexpedition von 1897 gemeint. Damals fielen rund 1200 Soldaten in den Süden des heutigen Nigerias ein. Sie zerstörten die Stadtmauer von Benin-Stadt, damals das größte Bauwerk der Welt, setzten die Häuser in Brand und verwüsteten das Gebiet. Zuvor hatten die Kolonialtruppen noch eilig die Kunstschätze und Wertsachen der einheimischen Bevölkerung geplündert. Elfenbeinzähne und aufwändige Schnitzereien waren darunter sowie die rund 4000 Benin-Bronzen. Viele davon landeten in der Folge in den Depots westlicher Museen von Wien bis New York. Experten gehen davon aus, dass 95 Prozent davon Diebesgut sind.

Die mehr als 400 Benin-Bronzen in Berlin sind laut Bundesregierung über den „internationalen Kunstmarkt“ oder den „Handel in Nigeria“ nach Deutschland gelangt. Der Kolonialismus-Experte Jürgen Zimmerer bezweifelt das. „Die Bundesregierung versucht offenbar, die wahren Hintergründe zu vernebeln", sagt der Geschichtsprofessor von der Universität Hamburg. In der Kolonialzeit habe es auf dem Gebiet des heutigen Nigeria so gut wie keinen Handel mit Benin-Bronzen gegeben. Die Edo hätten die Skulpturen damals kaum freiwillig verkauft, erklärt Zimmerer. „Das sind keine normalen Kunstgegenstände, sondern sie verkörpern das kollektive Gedächtnis der Edo-Kultur. Auch daraus ergibt sich der unschätzbare Wert dieser Objekte.“

Jürgen Zimmerer, Professor für Afrikanische Geschichte an der Universität Hamburg.
Jürgen Zimmerer, Professor für Afrikanische Geschichte an der Universität Hamburg.

© dpa

Leihgabe statt Rückführung

Aktuell sind in Berlin nur wenige Benin-Bronzen öffentlich zugänglich. Im Ethnologischen Museum in Berlin-Dahlem gibt es derzeit „umzugsbedingt“ keine der wertvollen Skulpturen zu sehen, erklärt die Bundesregierung. Dafür zeige das Bodemuseum im Moment neun solcher Objekte, zwei seien im Museum Berggruen ausgestellt. „In allen Fällen wird die Provenienz der Objekte dargestellt“, heißt es. Mit „Provenienz“ ist die genaue Herkunft von Kunstgegenständen gemeint. Die werde in den Berliner Museen allerdings gar nicht richtig transparent gemacht, kritisiert Zimmerer. „Im Bodemuseum wird etwa bei einigen Objekten lediglich erklärt, wo das Ethnologische Museum das Objekt gekauft hat, aber nicht, woher es geraubt wurde.“

Was die Rückgabe von Raubkunst angeht, stehen die Dinge nach wie vor still, zeigt die Antwort der Bundesregierung auf die Grünen-Anfrage. Im Fall der Benin-Bronzen liege „aktuell eine Anfrage aus Nigeria zu Rückgaben von Sammlungsgut vor“, heißt es in dem Schreiben. „Die Prüfung der Anfrage dauert an.“

Seit 2010 verhandeln Deutschland und Nigeria in der sogenannten Benin-Dialoggruppe über ein „Rotationsverfahren“, mit dem Raubkunst aus deutschen Sammlungen künftig den Weg zurück nach Afrika finden soll – allerdings lediglich als „Leihgabe“. Zivilgesellschaftliche Organisationen wie „Berlin Postkolonial“ kritisieren das scharf – auch im Fall von geraubter Kunst aus der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia. Mit seinem Angebot von „Leihgaben“ bekräftige Deutschland nur seinen Besitzanspruch, kritisieren die Aktivisten. Die „Ausleihe“ geraubter Kunst an die Herkunftsgesellschaften sei eine Anmaßung. „Mit dieser Pseudo-Großzügigkeit wird die Würde der Nachfahren enteigneter und teilweise fast ausgelöschter Gesellschaften erneut verletzt“, heißt es dazu bei „Berlin Postkolonial“.

Grüne gegen die Ausstellung der Benin-Bronzen

Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Kirsten Kappert-Gonther wünscht sich von der Bundesregierung ein Umdenken. „Die 440 ‚Benin-Bronzen‘ aus der britischen Strafexpedition in den Beständen des Bundes wurden zweifelsohne gestohlen und müssen den Nachfahren der Besitzer zur rechtlichen, materiellen und dauerhaften Rückgabe angeboten werden“, fordert sie. Das gleiche gelte für „alle weiteren Objekte aus der britischen Strafexpedition 1897.“ Im Humboldt-Forum ausgestellt werden sollten die betroffenen Objekte deshalb nur, „wenn die Herkunftsgesellschaften dies ausdrücklich wünschen“.

Die Bremer Grünen-Politikerin Kirsten Kappert-Gonther.
Die Bremer Grünen-Politikerin Kirsten Kappert-Gonther.

© dpa/Kay Nietfeld

Statt eine groß angelegten Rückgabe des Diebesguts, setzt die Bundesregierung jedoch weiter auf die „Provenienzforschung“. In langwieriger Kleinarbeit soll so der Ursprung umstrittener Objekte geklärt werden. „Im Ergebnis können dabei begründet und einzelfallbezogen Leihgaben, Kooperationen oder auch Rückgaben in Betracht gezogen werden“, heißt es in der Antwort auf die Grünen-Anfrage. „Einzelfallbezogene Rückgaben finden de facto so gut wie nie statt“, sagt Zimmerer. „Sich darauf zurückzuziehen widerspricht aber der ethisch-moralischen Verantwortung, die Deutschland hat, wenn es um die Rückgabe von Raubkunst geht.“

Zimmerer fordert von der Bundesregierung, die Verantwortung für die Provenienzforschung nicht alleine den Museen zu überlassen. „Es braucht eine unabhängige Aufarbeitung. Ansonsten bleibt es bei der Selbstauskunft der Profiteure der Hehlerei.“

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