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Kämpft um ihre Glaubwürdigkeit: Ministerin Anja Karliczek.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Hat die Forschungsministerin die Wahrheit gesagt?: Karliczek gerät in Bedrängnis

Ein Schreiben stellt die Darstellung der Ministerin in Frage: Im Streit um den Standort einer Batterie-Forschungsfabrik soll Ulm und nicht Münster vorne gelegen haben.

Forschungsministerin Anja Karliczek (CDU) gerät im Zusammenhang mit dem Standort der Forschungsfabrik Batteriezellenfertigung zunehmend in Erklärungsnot. Das Bundesforschungsministerium (BMBF) hatte nach Abstimmung mit dem Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) am 28. Juni mitgeteilt, dass Münster den Zuschlag bekommen habe für das 500-Millionen-Euro-Projekt. Die Entscheidung kam überraschend, weil Westfalen bislang nicht als Automobilstandort aufgefallen war und weil unter den Bewerbungen aus sechs Bundesländern Ulm und Salzgitter/Braunschweig als Favoriten galten.

Kommission mit acht Industrievertretern

Um dem BMBF bei der Standortauswahl zu helfen, hatte das Ministerium Anfang 2019 eine Gründungskommission mit acht Industrievertretern eingesetzt. Die Kommission hatte sich angeblich mehrheitlich für Ulm ausgesprochen, was das Karliczek-Ministerium jedoch stets dementierte. „Anderslautende Berichte (...) treffen nicht zu und waren von Anfang an falsch. Die Gründungskommission hat entgegen der ursprünglichen Planung (...) keine Empfehlung für einen konkreten Standort (...) abgegeben.“

Gebäude gibt es bereits in Ulm

Dem Tagesspiegel liegt nun ein Schreiben vor, in dem für Ulm votiert wird. „Die Bewerbungen der Standorte Baden-Württemberg und Bayern heben sich besonders positiv ab, da insbesondere die Verfügbarkeit von Gebäuden bei gleichzeitig kompetentem Personal, ausgewiesener institutioneller sowie industrieller Zellkompetenz und überzeugenden Konzepten zur industriellen Nutzung der Forschungsfertigung für unterschiedlichste Anwendungen. Aus diesem Grund schlagen wir vor, dass das BMWi den Standort Ulm auswählt.“ Dass BMWi wird von der Gründungskommission adressiert, weil es bei der Sitzung den Vorsitz hatte. In dem Schreiben, auf das sich die Industrievertreter für ebenjene Sitzung am 25. Juni verständigten, wird ferner für „ein bilaterales Förder- und Standortkonzept zwischen Baden-Württemberg und Bayern“ plädiert.

Ministerium: Das Schreiben spielte keine Rolle

Das BMBF wiederum erklärt den Ablauf so: Am Sonntag, dem 23. Juni, sei von einem Kommissionsmitglied „ein Entwurf einer Empfehlung als ,Diskussionsbeitrag zur Sitzung am Dienstag’“ im Ministerium eingegangen. Der Entwurf sei als vorläufig bezeichnet worden, da nicht alle Mitglieder der Gründungskommission beteiligt gewesen seien. Schließlich: „In der Sitzung der Gründungskommission wurde dieser Entwurf nicht erörtert und spielte in der Diskussion überhaupt keine Rolle“, schreibt das BMBF in einer Stellungnahme.

Im Wahlkreis von Karliczek

Das ganze Verfahren war auch deshalb unter Verdacht geraten, weil der im Münsteraner Konzept vorgesehene Batterie-Recyclingstandort Ibbenbüren mitten im Wahlkreis von Ministerin Karliczek liegt. Aufgrund dieses Umstands hatte der im BMBF zuständige Ministerialbeamte am 13. Juni die acht Industrievertreter in der Gründungskommission informiert, dass er den Vorsitz der Kommission an einen BMWi-Abteilungsleiter abgibt, weil „bei dem Vorschlag aus Nordrhein-Westfalen auch der Wahlkreis von Frau Ministerin Karliczek involviert ist“. Deshalb sei der Wechsel an der Spitze der Gründungskommission „geeignet, jeglichen Anschein der Befangenheit zu vermeiden“, heißt es in dem Schreiben an die Manager aus Unternehmen und Branchen, die für den Aufbau einer Zellfertigung hierzulande relevant sind: Vertreter von Thyssen-Krupp und Manz repräsentierten den Anlagenbau, für Chemie und Grundstoffe waren Herren von BASF, Umicore und SGL Carbon in der Kommission dabei, ein BMW-Mann stand für die Autoindustrie und schließlich Vertreter von Varta und Customcells für Zellhersteller, die bislang aber noch keine Zellen für Autobatterien produzieren.

Vorsprung der Asiaten

Solche Zellen stammen ausschließlich von einem halben Dutzend asiatischer Konzerne, mit denen die deutschen Autohersteller umfangreiche Verträge abgeschlossen haben. So hat Daimler für 20 Milliarden Euro Zellen bestellt und Weltmarktführer Volkswagen sogar für 50 Milliarden Euro. Die vereinbarten Lieferungen reichen bis Mitte der 20er Jahre – dann aber soll es auch Zellfabriken in deutscher Hand und in der Nähe der deutschen Hersteller geben, die in Niedersachsen, Bayern und Baden-Württemberg sowie in Sachsen Autos bauen. Alle diese Länder hatten sich für die Forschungsfabrik Batteriezellenfertigung beworben, weil sie eine Brücke bauen soll zur großindustriellen Zellfertigung.

Noch keine Gebäude in Münster

Den Zuschlag für Münster hatte Karliczek mit dem Recyclingkonzept der NRW-Bewerbung und der internationalen Reputation des Batterieforschungszentrums MEET an der Westfälischen Wilhelms-Universität begründet. Allerdings stehen in Münster keine Gebäude bereit, wie in der Ausschreibung gefordert worden war, und die industriellen Partner Achim Kampker (Streetscooter-Gründer) und Günther Schuh (e.Go) waren oder sind mit ihren Elektrofahrzeugen in Nischen unterwegs. Die unterlegenen Bewerber fordern deshalb von der Forschungsministerin eine detaillierte und nachvollziehbare Erklärung darüber, wie es zu der Entscheidung für Münster gekommen ist.

Kompensationsgelder für die Verlierer

Karliczek hat das mehrmals versucht – Anfang dieser Woche auch bei einem Besuch in Ulm. Das BMBF bemüht sich nun, mit Kompensationszahlungen die unterlegenen Bewerber abzufinden. Allein für Ulm sind 53 Millionen Euro im Gespräch. Grundsätzlich sollen, und in diesem Punkt stimmen Karliczek und die Industrievertreter der Gründungskommission überein, „die Kompetenzen aller sechs Standorte koordiniert ausgebaut und gefördert werden“.

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