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Handelsabkommen mit Vietnam: Mit diesem Vertrag will die EU ihre Werte exportieren

Das Europäische Parlament hat mit Vietnam das Freihandelsabkommen EVFTA beschlossen. Der Vertrag geht weit über wirtschaftliche Zusammenarbeit hinaus.

Wer mit der Vespa durch Saigon fährt, kann den Boom in Vietnam kaum übersehen. An allen Ecken schießen Wolkenkratzer in die Höhe, neue Wohnviertel werden aus dem Boden gestampft. Die Bio-Geschäfte in den neuen Siedlungen verraten, dass es hier eine neue, kaufkräftige Bevölkerungsschicht gibt. Und breit angelegte Magistralen gesäumt von Werbeplakaten für Bauprojekte zeugen davon, dass das Ende des Wachstums noch lange nicht erreicht ist.

Tatsächlich untermauern die Zahlen diese Entwicklung. Laut der Weltbank konnten sich zwischen 2002 und 2018 45 Millionen Vietnamesen aus der Armut befreien. 2017 war das südostasiatische Land laut den Wirtschaftsprüfern von PwC die am schnellsten wachsende Volkswirtschaft der Welt. Prognosen gehen auch in den nächsten Jahren von höheren Wachstumsraten als beim großen Nachbar China aus. Angesichts der Tatsache, dass 70 Prozent der gut 96 Millionen Einwohner jünger als 35 Jahre sind, wird dem sozialistischen Land großes Potential zugeschrieben. 

 EU will vom vietnamesischen Wachstum profitieren

Und davon will auch die EU profitieren. Am heutigen Mittwoch hat das Europäische Parlament ein Handelsabkommen mit Vietnam unterzeichnet. Mit dem EVFTA (EU-Vietnam Free Trade Agreement) werden 65 Prozent der Zölle aller EU-Ausfuhren nach Vietnam umgehend entfallen. Die Restlichen sollen mit wenigen Ausnahmen in den kommenden zehn Jahren abgeschafft werden - etwa für Rindfleisch, Wein und Autoteile.

Umgekehrt fallen künftig die EU-Importzölle auf 71 Prozent aller vietnamesischen Waren weg, nach sieben Jahren sollen es 99 Prozent sein. Zudem sollen geschützte Lebensmittelbezeichnungen wie etwa Parmesan auch in Vietnam bindend werden. „Das Abkommen wird unsere Position in Asien stärken“, sagte der EU-Handelskommissar Phil Hogan am Dienstag im EU-Plenum.

EU-Handelskommissar Phil Hogan verteidigt EVFTA gegen Kritik.
EU-Handelskommissar Phil Hogan verteidigt EVFTA gegen Kritik.

© REUTERS

Bisher profitiert Vietnam vor allem von Direktinvestitionen aus dem Ausland. Auch deutsche Firmen sind bereits vor Ort. So ist Siemens am Bau der U-Bahn unter einer der Hauptstraßen in Saigon beteiligt. Bosch, Fresenius oder auch Textilunternehmen wie Van Laack und Seidensticker produzieren in dem Land. Mit rund 4,18 Millionen vietnamesischer Dong (rund 165 Euro pro Monat) liegt der Mindestlohn in den Metropolregionen dabei weit unter dem chinesischen Standard, in ländlichen Gebieten ist es noch weniger. 

Nach Angaben des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) exportierten deutsche Firmen im Jahr 2018 Waren im Wert von 4,1 Milliarden Euro nach Vietnam, etwa 18 Prozent mehr als im Vorjahr. Umgekehrt habe Vietnam Waren für 9,8 Milliarden Euro nach Deutschland geliefert. DIHK-Präsident Eric Schweitzer sagte: „Für die deutsche Wirtschaft ist die Ratifizierung des EU-Vietnam-Abkommens wichtig.“

Nicht jedem gefällt das Abkommen

An dem neuen Abkommen gibt es dennoch deutliche Kritik. Denn Vietnam ist eben keine Demokratie, sondern ein kommunistischer Einparteienstaat. Das Land hat sich zwar - ähnlich wie China - den kapitalistischen Spielregeln mehr und mehr geöffnet, gegen Regimegegner aber geht die Regierung nach wie vor hart vor.

Nach einem Bericht von Amnesty International (AI) von Mai 2019 gibt es in Vietnam mindestens 128 politische Häftlinge. Sie würden gefoltert, misshandelt und von ihren Mitgefangenen isoliert, so AI. Außerdem hätten sie keinen Zugang zu ärztlicher Versorgung, sauberem Wasser und frischer Luft. Zusammen mit 27 anderen Nicht-Regierungsorganisationen fordert deshalb Human Rights Watch, das Abkommen erst zu unterzeichnen, wenn bestimmte Mindeststandards gesichert sind.

Autos sind in Vietnam zwar vergleichsweise teuer, deutsche Hersteller sind dennoch gefragt.
Autos sind in Vietnam zwar vergleichsweise teuer, deutsche Hersteller sind dennoch gefragt.

© AFP

„Die Menschenrechtslage in Vietnam ist besorgniserregend“, erklärt auch die Europaabgeordnete Anna Cavazzini von den Grünen. Der deutschen Öffentlichkeit wurde das vor Augen geführt, als der vietnamesische Geschäftsmann Trinh Xuan Thanh 2017 im Tiergarten verschleppt wurde, der sich mit der Parteiführung in Hanoi überworfen hatte. Die Gerichte gehen davon aus, dass der vietnamesischen Geheimdienst hinter der Entführung steckt. Nur durch diplomatischen Druck aus Deutschland wurde er in seiner Heimat nicht zum Tode verurteilt.

Auch deshalb beschränkt sich EVFTA nicht auf wirtschaftliche Kennzahlen. Das Abkommen soll auch Umwelt- und Menschrechtstandards in Vietnam durchsetzen. So soll etwa Zwangsarbeit verboten werden. Zudem soll es erlaubt sein, vom kommunistischen Gewerkschaftsbund unabhängige Arbeitervertretungen zu bilden.

Um zu gewährleisten, dass diese Anforderungen auch erfüllt werden, will Hogan einen neuen Posten in der EU schaffen: Ein Durchsetzungsbeauftragter soll künftig die Umsetzung von Klima- und Arbeitsschutzstandards in den Handelsverträge überwachen. „Ohne Handelsabkommen hätten wir überhaupt keine Möglichkeit, die Reformagenda in Vietnam voranzutreiben“, verteidigte Hogan den Vertragsschluss. Es sei „das ambitionierteste Abkommen, das die EU jemals mit einem Schwellenland abgeschlossen hat“.

EU setzt auf "Handel durch Wandel"

Damit ist das EVFTA-Abkommen mehr als nur ein Handelsvertrag; es soll ein Argument im „Kampf der Systeme“ sein, der sich in den internationalen Handelsstreitigkeiten offenbart. Statt protektionistischer Machtkämpfe, wie sie US-Präsident Donald Trump derzeit vorführt, und statt staatsfinanzierter Großunternehmen wie in China, setzt die EU weiter auf das Rezept „Wandel durch Handel“ - angereichert mit sozialen und ökologischen Anforderungen. „Es muss uns Europäern gelingen, über Handelsabkommen etwas von unseren Werten und Standards in der Welt zu implementieren“, sagt etwa Sven Simon (CDU) aus dem Handelsausschuss des Europäischen Parlaments. 

Vietnam kommt diese Entwicklung durchaus gelegen. Denn um die neuen Zölle zu umgehen, könnten ausländische Unternehmen ihre Produktionen in Vietnam ausbauen und von dort aus in asiatische Länder liefern, so die Hoffnung. Auch mit Japan, Kanada und Australien ist Hanoi über das transpazifische Handelsabkommen CPTPP vernetzt. Zuletzt hat sich diese offene Haltung schon auszahlt: Je mehr Handelsbarrieren China und die USA aufbauten, desto kräftiger stiegen die Investitionen zwischen Saigon und Hanoi.

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