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Auswirkungen der Krise: Ein leerer Parkplatz vor dem Wolfsburger VW Werk.

© imago images/Jan Huebner

Halbe Million Betriebe plant schon Kurzarbeit: Wie viele Menschen werden ihre Jobs verlieren?

In der Coronakrise sind Geschäfte und Werke geschlossen – niemand weiß, wie lange. Was bedeutet das für die Arbeitsplätze der Menschen? Eine Analyse.

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Lange mussten die Menschen in Deutschland nicht so sehr um ihren Job fürchten wie jetzt. Immer mehr Unternehmen melden Kurzarbeit an. Manche entlassen erste Mitarbeiter, stoppen jegliche Neueinstellungen. Ein Überblick.

Wie viele haben ihren Job schon verloren?
Der Einbruch der Wirtschaft schlägt sich in den Arbeitsmarktzahlen noch nicht nieder. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) registrierte im März 2,34 Millionen Arbeitslose. Das seien 60 000 weniger als im Februar, aber 34 000 mehr als vor einem Jahr, teilte die Behörde mit. Die Arbeitslosenquote sank um 0,2 Punkte auf 5,1 Prozent. Sie ist damit genauso hoch wie im Vorjahr. Allerdings: Die Daten wurden bis zum 12. März erhoben. Sie können die drastischen Einschränkungen des öffentlichen Lebens demnach noch nicht widerspiegeln.

Wie viele Arbeitslose könnten es werden?
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ist klar, dass nicht jeder seinen Job behalten wird. Trotzdem hat er erneut um Zuversicht geworben. „Wir haben einen der stärksten Sozialstaaten der Welt und wir haben in guten Zeiten Rücklagen gebildet für schwere Zeiten“, sagte er auf einer Konferenz mit Detlef Scheele, dem Vorstandsvorsitzenden der Bundesagentur für Arbeit. Scheele geht beim nächsten Zähltag (12. April) von 150 000 bis 200 000 mehr Menschen ohne Arbeit aus. Es sei derzeit schon zu erkennen, dass vor allem Kündigungen in der Gastronomie und im Tourismus unvermeidbar seien. Dort verfügten viele Betriebe nicht über ausreichende Rücklagen, um ihre Mitarbeiter zu halten.

Der Sachverständigenrat rechnet damit, dass ein Shutdown von fünf Wochen 125 000 Jobs kosten dürfte. Damit würde die Arbeitslosenquote auf 5,3 Prozent steigen. Andere Ökonomen glauben, dass die Coronakrise noch viel verheerendere Folgen für den Arbeitsmarkt haben wird. Das ifo-Institut prognostiziert, dass allein nach einem Monat Stillstand zwischen 160 000 und 340 000 sozialversicherungspflichtige Jobs verloren gehen. Dazu kämen den Berechnungen zufolge noch einmal zwischen 180 000 und 390 000 Minijobs. Bei einem dreimonatigen Shutdown könnten 1,8 Millionen Arbeitsplätze und bis zu 780 000 Minijobs gestrichen werden.

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Wie viele Unternehmen melden Kurzarbeit an?
Erste Hinweise auf die Belastung der Betriebe liefert die Kurzarbeit, mit der leere Auftragsbücher und Zwangsschließungen überbrückt werden können. Die Arbeitszeit wird vorübergehend verkürzt. Das bedeutet dementsprechend weniger Lohn, der jedoch von der Bundesagentur für Arbeit teilweise ersetzt wird. Betroffene erhalten bis zu 60 Prozent des entgangenen Nettolohns, wenn sie Kinder haben bis zu 67 Prozent. Der Gesetzgeber will damit Entlassungen verhindern.

Seit Ausbruch der Coronakrise seien 470 000 Anzeigen von Betrieben eingegangen. Der Anstieg sei „rasant“, sagte Scheele. In einem gewöhnlichen Monat des vergangenen Jahres waren es 1300 Anzeigen. Wie viele Menschen hinter den Meldungen der Unternehmen stehen, wisse er nicht. Das sei erst in wenigen Wochen klar, wenn die Betriebe mit der Behörde abrechnen. BMW hat für März knapp 20 000 Mitarbeiter angemeldet. Ebenso viele Beschäftigte zählt der Händler Ceconomy mit seinen Ketten Media Markt und Saturn.

Die Bundesregierung erwartet künftig bis zu 2,3 Millionen Beschäftigte, die betroffen sein könnten. Der bisherige Rekord im Zuge der Finanzkrise betrug im Mai 2009 1,4 Millionen. Laut dem Ifo-Institut könnten bei einem einmonatigen Shutdown bis zu 3,9 Millionen Menschen vom Kurzarbeitergeld leben. Steht die Wirtschaft drei Monate still, könnten die Firmen bis zu 6,6 Millionen Menschen Pausen auferlegen.

Worüber derzeit noch gestritten wird? Betriebe wollen auch Azubis in Kurzarbeit schicken. Gewerkschaften warnen davor, weil die jungen Menschen dann weitaus weniger Geld als sowieso schon hätten. Heil versteht dies, aber warnt noch mehr vor Entlassungen. Es sei „keine gute Idee“, Ausbildungsverträge zu kündigen. „Diese Fachkräfte werden wir nach der Krise händeringend brauchen.“

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Was kostet die Kurzarbeit?
Die Bundesagentur für Arbeit kann die Kosten für die Kurzarbeit noch nicht kalkulieren. Was Scheele sagen konnte: 100 000 Kurzarbeiter kosten bei einem Ausfall von 50 Prozent rund 79 Millionen Euro im Monat. Für Kurzarbeitergeld und die Erstattung der Sozialbeiträge an die Arbeitgeber plant seine Behörde zunächst mit Ausgaben von zehn Milliarden Euro. Sie kann dafür auf ihre Rücklagen von 26 Milliarden Euro zurückgreifen. Daraus wäre auch ein höherer Aufwand zu finanzieren, wenn die Krise länger verläuft. Ein finanzielles Limit gebe es nicht, betonte der Vorstandsvorsitzende Detlef Scheele. Für eine Anhebung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung sieht Hubertus Heil derweil keinen Anlass: „Es gibt im Moment keinen Grund, über höhere Beiträge zu spekulieren.“

Was, wenn der Lohn zum leben nicht reicht?
Um das Kurzarbeitergeld aufzustocken, verwies Heil auf die gelockerten Zuverdienstmöglichkeiten. Ein Beispiel: Eine Wäscherei muss schließen, aber in der eines Krankenhaus werden Helfer gebraucht. Wer will, könnte soviel Geld dazu verdienen, bis er 100 Prozent seines ursprünglichen Gehaltes erreiche. Auch Ärzte, die für eine Weile aus dem Ruhestand zurückkehren, sollen Geld erhalten ohne weniger Rente zu beziehen.

Heil sagte außerdem: Wer jetzt Grundsicherung beantragen muss, sollte sich dafür nicht schämen. Das treffe auch für jene Menschen zu, die trotz Arbeit Geld vom Jobcenter bräuchten. Ab Mittwoch könne jeder die „soziale Bürgerversicherung“ mit einem simpleren Formular beantragen. Der Staat übernehme Wohn- und Heizkosten ohne vorherige Vermögensprüfung. So müsse ein Schausteller zum Beispiel nicht um sein Karussell fürchten, erläuterte Heil.

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