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Grünen-Abgeordneter Gerhard Zickenheiner sieht in der Personallage in den Planungs- und Genehmigungsbehörden und kommunalen Verwaltungen Hindernisse bei der flächendeckenden Umsetzung der Klimaziele.

© imago images/Noah Wedel

Grünen-Abgeordneter Zickenheiner: „Kommunaler Klimaschutz ist aktueller denn je“

Gerhard Zickenheiner, Bundestagsabgeordneter der Grünen, hat in seiner Fraktion eine „Kommunale Klima- und Nachhaltigkeitsstrategie“ entwickelt. Ein Gespräch über ausgedünnte Behörden, Fachkräftemangel und fehlende Mittel auf kommunaler Ebene.

Von Jakob Schlandt

Herr Zickenheiner, landauf und landab wird jetzt darüber diskutiert, die Coronakrisenhilfe mit dem Klimaschutz zu verbinden. Es geht immer gleich um viele Milliarden und ganz große Programme – der richtige Ansatz?
Wir sollten in jedem Fall aus der Coronakrise lernen – und noch stärker darauf achten, in Resilienz und Nachhaltigkeit zu investieren. Aber den Ansatzpunkt muss man in jedem Fall um die lokale Ebene ergänzen. Aus unserer Sicht, der Sicht der Grünen im Bundestag, ist es ebenso wichtig, die Klimawende auch von unten, in den Kommunen voranzutreiben. Und dafür braucht es auch Impulse aus dem Bund, im Sinne der Verantwortung aller Ebenen.

Das klingt immer hübsch: Energiewende vor Ort. Letztlich entscheidend sind doch aber die nationalen und europäischen Rahmenbedingungen, die im Nachgang die lokale Aktivität ermöglichen.
Eine echt berlinerische Sichtweise, mit Verlaub. In einem Positionspapier der Bundestagsfraktion mit dem Titel ‚Kommunale Klima- und Nachhaltigkeitsstrategie‘ haben wir Grünen gerade zusammengetragen, woran es hakt bei der Umsetzung von Investitionen in klimaschonende Techniken, Wirtschafts- und Lebensweisen. Und da zeigt sich gerade in den Kommunen, bei der Umsetzung vor Ort, dass es sehr schwerwiegende Hindernisse gibt. Wir sind auch dort noch meilenweit entfernt davon, unsere Klimaziele bis 2050 flächendeckend umzusetzen.

Welche Hindernisse denn?
Zum Beispiel die Personallage in den Planungs- und Genehmigungsbehörden und kommunalen Verwaltungen. Dort wurde das Personal in den vergangenen Jahren halbiert. Kein Wunder, dass es zu massiven Verzögerungen kommt, zum Beispiel bei Planungen für neue Radwege. Zweitens: Bestehende Förderprogramme sind mit zu wenig Mitteln ausgestattet und viele Kommunen sind finanziell schwer angeschlagen.

Es fehlt schlicht das Geld, um eine nachhaltige Transformation umzusetzen. Drittens: Es herrscht eklatanter Fachkräftemangel. Nehmen sie die Gebäudesanierung, die immer eine Aufgabe ist, die vor Ort gelöst werden muss. Wir brauchen etwa fünf Mal so viele geschulte Handwerker, um auf die nötige Geschwindigkeit bei der energetischen Modernisierung zu kommen.

Bildung ist Ländersache.
Auch, aber nicht nur. Kommunen müssen unterstützt werden, den in ihren Regionen notwendigen Ausbildungsbedarf zu decken. Das wird ein Mammutprogramm: Es wird etwa zehn Jahre dauern, die Umsetzungskapazitäten so hochzufahren, dass wir in der notwendigen Geschwindigkeit arbeiten können.

Zehn Jahre als Horizont? Häufig hat man den Eindruck: Die Grünen wollen, dass alles von heute auf morgen passiert.
Unsinn. Wir wollen natürlich, dass heute damit begonnen wird, die richtigen Schritte in den Kommunen und bei der Schaffung von Aus-, Weiterbildungs- und Studienplätzen in den entsprechenden Disziplinen einzuleiten. Das übergeordnete Ziel ist doch, bis spätestens 2050 klimaneutral zu leben und zu wirtschaften. Das klingt weit weg, ist es aber nicht, weil wir hier über eine ganz grundsätzliche Transformation sprechen.

Die braucht Zeit und – das wollen wir lieber heute als morgen – das entschlossene Umlegen der Hebel auf allen Ebenen, insbesondere in den Kommunen. Wir sind der Auffassung, dass die Gestaltung der nachhaltigen Transformation stark vom lokalen Wissen der kommunalen Akteurinnen und Akteure profitieren kann.

Nochmal: Wie kann der Bund dabei helfen?
Sie tun so, als ob kommunale Impulse aus der Bundesregierung etwas Neues seien. Das stimmt aber nicht. Denken Sie zum Beispiel an die Städtebauförderprogramme, die bringen seit 70 Jahren Entwicklung in die Städte und haben enorm geholfen. Ein weiterer Punkt, den wir als Grüne vorschlagen, ist die finanzielle Hilfestellung zum Beispiel für erneuerbare Energien und deren Infrastruktur, etwa über einen Bundesinvestitionsfonds.

Besonders wichtig ist, fortschrittliche Kommunen zu stützen, indem Förderprogramme stärker an regional ausgerichtete, klimafreundliche Strukturen und Leitbilder gekoppelt werden. Und zum Beispiel sollten ökologische und soziale Kriterien für die öffentliche Beschaffung und Vergabe rechtlich verbindlich gesetzt werden. Und schließlich kann auch die EU – wo ja gerade an einem Green Deal gearbeitet wird – den europäischen Regionen gezielt bei der Umsetzung von Klimaschutzinvestitionen helfen.

Die noch unveröffentlichte grüne Strategie für kommunalen Klimaschutz wurde vor der Verschärfung der Coronakrise erarbeitet. Ist sie noch aktuell?
Aktueller denn je! Ich bin überzeugt davon, dass wir ohnehin einen kommunalen Schutzschild brauchen werden. Viele Gemeinden und Städte geraten gerade in finanziell schwieriges Fahrwasser. Es ist eminent wichtig, dabei die ökologische und soziale Dimension im Auge zu behalten und hier für klare Leitplanken zu sorgen. Alle baulichen und infrastrukturellen Investitionen beispielsweise sollten diesen Ansprüchen folgen. Dazu kann unser Papier die Anleitung stellen.

Wenn man es liest, fällt vor allem eines auf: Weder Millionen noch Milliarden noch Euro kommen auch nur ein einziges Mal vor. Also: Wie teuer wird das?
Eine Abschätzung haben wir bewusst ausgespart. Sie ergibt wenig Sinn. Erstens, weil es um Investitionen geht, die sich letztlich rentieren. Nichthandeln würde uns viel mehr kosten, als die Klimakrise anzupacken. Zweitens: Eine Abschätzung ist aufgrund der vielen Ebenen, die ineinandergreifen müssen, zum jetzigen Zeitpunkt äußerst schwierig, aber wir arbeiten dran. Was ein Windpark auf hoher See kostet, kann man relativ gut sagen. Aber die energetische Sanierung über Jahrzehnte in ganz vielen Sektoren des kommunalen Handelns lässt sich schwerer klar beziffern. Wenn wir uns die Transformation etwas kosten lassen, werden wir daraus mindestens ebenso viele Nutzen schöpfen.

Ist dieser Vorstoß eigentlich eher ein vorgezogener Ausschnitt aus ihrem Möchtegern-Regierungsprogramm oder eine Handlungsaufforderung an die bestehende Bundesregierung?
Vor der Coronakrise hätte ich gesagt: Eher ein Programm für uns, also Vorschläge, mit denen wir uns in eine zukünftige Bundesregierung einbringen wollen. Heute sehe ich aber gute Chancen, dass wir damit einen Beitrag leisten, wie die kommunale Ebene aus der Krise wieder herausfinden kann. Schließlich schaffen die vorgeschlagenen Maßnahmen Beschäftigung zu Hauf für lokale Unternehmen und unterstützen die Kommunen.

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