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Firmen fangen an, ihre Bemühungen zur Gleichberechtigung der Geschlechter mit Software zu überwachen.

© dpa

Gleichberechtigung am Arbeitsplatz: Wie Firmen sich mit Software überlisten

Echte Vielfalt und Gleichberechtigung am Arbeitsplatz haben die meisten Firmen in Deutschland noch lange nicht erreicht. Nun soll Software helfen.

Deutschland ist noch weit entfernt von echter Gleichberechtigung am Arbeitsplatz, das führt der „Equal Pay Day“ jedes Jahr vor Augen: Durchschnittlich 22 Prozent weniger verdienen Frauen nach wie vor. Die Gründe dafür sind vielfältig und nicht von heute auf morgen zu beseitigen – und je nachdem, welche Studie man heranzieht, wird das auch noch bis zu hundert Jahre und länger dauern. Eva Voß ist Diversity-Managerin bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young (EY) und unterscheidet verschiedene Reifegrade, durch die sich Unternehmen hindurch entwickeln, bis sie echte Gleichberechtigung und Vielfalt am Arbeitsplatz haben.

Den Auftakt bildet ein Minimalkonsens, in Deutschland wurde er durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz gesetzt, das 2006 erlassen wurde. Auch der Arbeitgeber, der sich noch nicht konkret mit Diskriminierung beschäftigte, wurde damals gezwungen, zumindest grundlegende Dinge zu beachten. „Das ist die Basis“, meint Voß. „An diesem Punkt ist ein erstes Bewusstsein geschaffen worden.“ Auf der zweiten Stufe hat sich in den Unternehmen eine tolerante Haltung entwickelt: Anderssein wird akzeptiert – zwar noch nicht wirklich wertgeschätzt, aber zumindest anerkannt. Auf dieser Entwicklungsstufe gibt es zwar Respekt, aber immer noch die Vorstellung von „normal“ und „davon abweichend“. Ganz am Ende der Entwicklung steht für Voß das Verständnis, dass es kein „normal“ gibt. Es braucht keine Förderprogramme mehr, keine Betriebsvereinbarungen, jeder hat ganz selbstverständlich seinen Platz in der Organisation.

Viele Konzerne fördern Frauen gezielt

Schaut man sich an, was deutsche Unternehmen tun, so zeigt sich zwar eine klare Wertschätzung für Vielfalt und auch ein aufrichtiges Streben danach. Doch die Maßnahmen zielen noch immer darauf ab, „andere“ zu integrieren und zu fördern – zum Beispiel die Frau.

Viele Dax-Konzerne haben schon relativ früh erkannt, dass sie die Frauen brauchen und sie sie dafür aber gezielt fördern müssen. So wie ein großer deutscher Telekommunikationskonzern, der eine Bottom-up-Strategie realisiert: Hier hat man sich schon vor fast sechs Jahren das Ziel gegeben, 30 Prozent Frauen in den oberen Führungsriegen zu haben. Und damit die Frauen da sind, wenn es um die Besetzung von Führungsposition geht, entwickelt man sie schon von Anfang an. Das Unternehmen achtet bereits bei der Auswahl der Azubis darauf, dass es hier einen Frauenanteil von 30 Prozent hat. Außerdem hat es ein Aufsichtsrätinnenprogramm aus der Taufe gehoben. Darin werden die Frauen zu verschiedenen Themen geschult, wie zum Beispiel Compliance, um sie zu ermutigen. Damit ist der Konzern auf dem richtigen Weg. Doch um die nächste Stufe im Diversity-Prozess erklimmen zu können, reichen solche Programme irgendwann nicht mehr: Um an den richtigen Stellschrauben zu drehen, muss man sie kennen. „Dafür braucht man eine gute Zahlenbasis“, sagt EY-Expertin Eva Voß. Bisher setzt sich die Erkenntnis, dass man dafür valide Tools braucht, aber erst allmählich durch. Eine Tatsache, die Voß überrascht: In allen anderen Bereichen würden Zahlen erhoben, nur im HR-Bereich tun sich die Unternehmen schwer. „Mal ein Training, mal ein Mentoring – das ist ja alles schön, aber nur was gemessen wird, kann auch wirklich gemanagt werden“, meint sie. Deshalb werden bei EY die jährlichen Beurteilungen mit einem Tool ausgewertet.

"Das hat zu einer großen Sensibilisierung geführt"

Dafür wird jede Beurteilung in eine Datenbank eingepflegt, anschließend kann man sich anzeigen lassen, wie die Bewertungen über die Geschlechter verteilt sind und ob eines von beiden in einem bestimmten Bereich durchschnittlich schlechter weggekommen ist. „Das hat bei uns zu einer großen Sensibilisierung geführt“, erzählt Voß. Bei Abweichungen hat man die Möglichkeit, genauer hinzuschauen und nach den Gründen zu suchen. Damit zeigt EY, wie man sich selbst kontrollieren kann, wenn Diversity nicht eine wohlmeinende Absicht bleiben soll.

Damit helfen solche Tools beim Übergang und können unterstützen, die eigenen Prozesse transparenter zu machen. Beim Betterplace Lab, einem Thinktank in Berlin, ist man da schon heute radikaler: Alle Prozesse sind total transparent, wie die Gehälter, die hier offen im Team beschlossen werden. Das Team hat sich einen Kriterienkatalog gegeben, der eingrenzen hilft, welche Summe angemessen ist. Faktoren wie der Umfang der übernommenen Verantwortung, das eigene Level der Expertise oder auch persönliche Umstände wie Kinder oder pflegebedürftige Angehörige spielen eine Rolle. „Geschlecht ist keine Kategorie mehr, in der wir denken“, sagt Stephan Peters, der seit einem guten Jahr im Lab arbeitet. Er weiß aber: „So etwas ist ein fortwährendes Experiment.“ Stetiges Ausprobieren und Anpassen ist die Devise. „In einem herkömmlichen Unternehmen mit einem Patriarchen an der Spitze ist es sehr schwer, die Strukturen zu überlisten“, meint er. Das sieht Eva Voß ähnlich – weshalb es so wichtig ist, dass Unternehmen auch in der HR Zahlen erheben und sie auswerten. „Als Sicherheitsnetz“, wie sie sagt.

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