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Ein kurzes Leben: Millionen männliche Küken werden direkt nach dem Schlüpfen erstickt, vergast oder geschreddert.

© dpa

Update

Gesetzliches Verbot ab Ende nächsten Jahres: Agrarministerin Julia Klöckner will das Kükentöten verbieten

Jedes Jahr werden 45 Millionen männliche Eintagsküken direkt nach dem Schlüpfen getötet. Das soll sich ändern. Kunden haben aber schon heute Alternativen.

In der Rewe-Filiale in Zehlendorf-Mitte ist die Zukunft schon Realität. Wer hier Eier kaufen möchte, kann bereits jetzt zwischen verschiedenen Angeboten wählen, die eines gemeinsam haben: Für die Produktion ist kein Küken gestorben. Selbstverständlich ist das nicht. 45 Millionen männliche Küken werden jedes Jahr direkt nach dem Schlüpfen getötet. Sie werden vergast oder zu Tierfutter geschreddert, weil sie das falsche Geschlecht haben und nicht in die Verwertungskette der Brutbetriebe passen. Auf Laufbändern in den Betrieben werden die männlichen Eintagsküken aussortiert, das passiert 123 288 Mal am Tag.

So läuft die Verwertungskette

Betroffen sind die Küken von Legehennen, die so gezüchtet sind, dass sie möglichst viele Eier legen. Rund 50 Millionen dieser Hochleistungshennen gibt es in Deutschland, jede schafft bis zu 300 Eier im Jahr. Die männlichen Tiere können naturgemäß zur Eierproduktion nichts beitragen. Sie sind aber auch für die Fleischproduktion nur zweite Wahl. Denn dafür gibt es spezielle Masthähnchen, die schnell wachsen und viel Fleisch ansetzen. Anders als die männlichen Nachkommen der Legehennen, deren Fleisch eher zäh ist.

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Selektion am laufen Band. Die Hähnchen werden aussortiert.
Selektion am laufen Band. Die Hähnchen werden aussortiert.

© imago/Forum

Eigentlich sollte die Praxis längst verboten sein

Dass Millionen der kleinen, flauschigen Küken im Schredder landen, empört Tierschützer und Politiker schon seit langem. Im Koalitionsvertrag haben Union und SPD beschlossen, dass damit bis spätestens 2019 Schluss sein sollte. Das hat nicht geklappt. Mit zeitlicher Verzögerung will Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU) das jetzt nachholen.

Am Mittwoch legte die Ministerin einen Gesetzentwurf vor, der das Kükentöten ab Ende 2021 verbieten soll. "Ganz klar: Ende 21 ist Schluss in Deutschland", sagte die Ministerin am Mittwoch in Berlin. "Wir werden weltweit die ersten sein, die das Kükentöten verbieten", betonte Klöckner. Für die Ministerin ist der Schritt ein "Meilenstein für den Tierschutz".

Warum das Gesetz so spät kommt

Tierschützer und die SPD werfen Klöckner vor, Zeit verschenkt zu haben. Die Ministerin habe zunächst "verzweifelt versucht, mit der Geflügel-Branche freiwillige Vereinbarungen für den Ausstieg aus dem Kükentöten zu erzielen", beklagte Tierschutzpräsident Thomas Schröder. Dies sei krachend gescheitert. "Dadurch, dass Frau Klöckner erst den Weg der Freiwilligkeit gehen wollte, hat sie viel Zeit verschenkt", erklärte auch die Tierschutzexpertin der SPD-Fraktion, Susanne Mittag.

Ein gesetzliches Verbot wäre früher nicht möglich gewesen, betonte Klöckner. Denn ein solches Verbot setze voraus, dass die Brütereien markt- und serienreife Alternativen haben. Sonst könnten sie erfolgreich klagen.

Bereits 2013 hatte Nordrhein-Westfalen das Kükentöten per Gesetz verbieten wollen, war damit jedoch vor Gericht gescheitert. Im vergangenen Jahr entschied das Bundesverwaltungsgericht (Az: BVerwG 3 C 28.16 und 3 C 29.16), dass diese Praxis „übergangsweise“ weiterhin erlaubt sei, obwohl der Tierschutz seit 2002 als Staatsziel im Grundgesetz steht. Zwar machten die Richter deutlich, dass wirtschaftliche Interessen allein „kein vernünftiger Grund“ für das Töten männlicher Küken sind. Allerdings räumte das Gericht damals zu Gunsten der Brutbetriebe ein, dass es kein serienreifes Verfahren gebe, um das Geschlecht der Tiere schon im Ei zu bestimmen. Zudem habe die Politik die geringe Gewichtung des Tierschutzes jahrzehntelang hingenommen, so dass man nun kein sofortiges Verbot verhängen könne.

Bundesagrarministerin Julia Klöckner will das Kükentöten verbieten.
Bundesagrarministerin Julia Klöckner will das Kükentöten verbieten.

© DAVIDS/Sven Darmer

Welche Alternativen es gibt

Doch inzwischen gibt es Alternativen. Mit millionenschwerer Förderung aus dem Agrarministerium ist es jetzt möglich, bereits im Ei das Geschlecht des Tiers zu bestimmen. Männliche Küken werden dann nicht mehr weiter bebrütet. Am weitesten entwickelt ist dabei ein endokrinologisches Verfahren, das jedoch erst ab dem neunten Tag anwendbar ist. Tierschützer kritisieren, dass die Küken aber bereits ab dem siebten Tag Schmerzen empfinden können. Deshalb will das Ministerium das Gesetz auch noch einmal nachschärfen. Ab 2024 soll die Geschlechterbestimmung bis zum sechsten Tag erfolgen müssen, eine spätere Tötung der Embryonen soll dann untersagt werden.

Vor allem Ökobetriebe gehen einen anderen Weg. Sie setzen auf das Zweinutzungshuhn: Die Hennen legen Eier, die Hähnchen landen in der Fleischproduktion. Der Nachteil: Verglichen mit den Spezialzüchtungen produzieren die Hennen weniger Eier, die Hähnchen wachsen langsamer und haben weniger Brustfleisch.

Der dritte Weg ist im Handel häufiger zu sehen: Eier von Betrieben mit Legehennen, die männliche Bruderhähne mit aufziehen. Die zusätzlichen Kosten werden auf die Eierpreise umgelegt.

Verband will EU-Lösung

Der Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft fordert eine EU-weite Regelung. Im Rahmen des freien Warenverkehrs in der EU würden polnische oder niederländische Brütereien weiterhin männliche Küken am ersten Lebenstag töten und dort im Rahmen dieser Lieferkette erzeugte Eier oder Eiprodukte im deutschen Lebensmitteleinzelhandel und im Großverbrauchersegment anbieten, sagte ZDG-Präsident Froedrich-Otto Ripke. "Nur EU-Recht kann dieses Dilemma auflösen."

Auch Klöckner wünscht sich zwar eine EU-weite Regelung, sieht aber wenig Chancen, das zeitnah durchzusetzen. Sie forderte stattdessen den Handel auf, künftig keine Importeier aus Ländern mehr zu verkaufen, bei denen das Kükentöten weiter erlaubt ist.

Was der Handel macht

Viele Händler sind aber heute schon weiter als das Ministerium.

Lidl will bis Anfang nächsten Jahres deutschlandweit Bio-Eier nur noch aus Bruderhahn-Betrieben anbieten, bis Ende 2022 soll das gesamte Sortiment umgestellt sein. Aldi will Ende dieses Jahres erste Eier in die Filialen bringen, bei denen die Geschlechterbestimmung im Ei angewandt worden ist.

Am weitesten ist jedoch die Rewe-Gruppe. Der zweitgrößte Lebensmittelhändler verkauft bereits seit einiger Zeit „Respeggt“-Eier mit der Geschlechterbestimmung im Ei. Daneben gibt es auch Eier von Bruderküken-Marken wie „Haehnlein“ und „Spitz&Bube“. Konventionelle Ware fristet im Eierregal eher ein Schattendasein.

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Kunden müssen mehr zahlen

Mit einem Aufschlag von einem bis zwei Cent pro Ei rechnet man im Ministerium, wenn das Verbot greift. Heute müssen Kunden, die sich gegen das Kükentöten entscheiden, allerdings etwas tiefer in die Tasche greifen. Ein „Respeggt“-Ei kostet bei Rewe 26 Cent, ein „Spitz&Bube“-Bioei 37 Cent. Freiland-Eier gibt es dagegen schon für 19,5 Cent.

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