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Ein Paketzentrum von DHL. Neue oder neuwertige Waren, die als Abfall entsorgt werden - so etwas soll es nach dem Willen von Umweltministerin Schulze künftig nicht mehr geben.

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Gesetzesänderung zu Recycling: Warum die Vernichtung von Retouren weiter nicht verboten ist

Das Kabinett beschließt eine Gesetzesänderung, um Recycling und Müllvermeidung zu fördern. Die Grünen kritisieren die Maßnahmen allerdings als zu lasch.

Svenja Schulze klang erleichtert, als sie am Mittwoch vor die Presse trat. „Die Novelle des Kreislaufwirtschaftsgesetzes legt die Grundlagen für wichtige Fortschritte auf dem Weg hin zu weniger Abfall und mehr Recycling“, sagte die Bundesumweltministerin. Mit ihrer Gesetzesänderung will die SPD-Politikerin vor allem ein Ärgernis angehen, das zuletzt in der Öffentlichkeit immer wieder für Empörung gesorgt hat: Die Vernichtung neuwertiger Rücksendungen im Onlinehandel. Denn häufig war die Zerstörung für die Unternehmen bislang wirtschaftlich sinnvoller als die Weiterverarbeitung oder Schenkung. Die wichtigsten Fragen und Antworten zu der Gesetzesänderung.

Ist die Retourenvernichtung nun verboten?

Die neue Gesetzeslage werde „der Vernichtung von Retouren und Warenüberhängen einen Riegel vorschieben“, beschrieb Schulze ihr Projekt und nicht nur Semantiker wissen, dass so kein Verbot definiert wird. Stattdessen setzt die Umweltministerin auf Maßnahmen, die die Weiterverwertung von Rücksendungen regeln sollen. So sollen Hersteller und Händler künftig per Verordnung dazu gezwungen werden, transparent darüber zu berichten, was mit überschüssigen Produkten geschieht.

Zusätzlich soll eine Obhutspflicht einführt werden, die laut Gesetzestext besagen soll, „dass die Gebrauchstauglichkeit der Erzeugnisse erhalten bleibt und diese nicht zu Abfall werden“. Allerdings muss auch das über eine Verordnung geregelt werden, die noch nicht ausformuliert ist. Die Schärfe der Regelungen ist daher nicht klar. Viele bislang verschrottete Rücksendungen könnten in Zukunft jedenfalls bei öffentlichen Einrichtungen landen. Denn künftig soll für alle Bundesbehörden bei der öffentlichen Beschaffung gelten, dass ressourcenschonende Produkte bevorzugt werden.

Was sagen Grüne und Aktivisten?

Bei den Grünen stieß die Gesetzesänderung auf scharfe Kritik. „Der heutige Kabinettsbeschluss ist eine große Enttäuschung und geht über Absichtserklärungen nicht hinaus“, sagte die Fraktionsvorsitzende der Grünen Katrin Göring-Eckardt dem Tagesspiegel. „Es ist schade, dass sich SPD und Union einer schnellen und nachhaltigen Lösung bislang verweigern und heute wieder nur Symbolpolitik betreiben.“ Ohne die notwendigen Verordnungen fehle weiterhin die konkrete Rechtsgrundlage, um die Produktvernichtungen zu stoppen. Sie forderte, dass Warenspenden an gemeinnützige Organisationen von der Umsatzsteuer befreit werden.

Die Umweltschutzorganisation Greenpeace lobte den Beschluss hingegen als „erste und richtige Maßnahme“. „Insgesamt beinhaltet die Gesetzesänderung alle Grundlagen, die es braucht. Nun muss die Bundesregierung es allerdings noch umsetzen“, sagte Viola Wohlgemuth, Handelsexpertin bei Greenpeace, dieser Zeitung. Enttäuscht ist sie dagegen von der Obhutspflicht. „Wir fordern an dieser Stelle ein klares Vernichtungsverbot für neuwertige Ware“, so Wohlgemuth.

Zudem brauche es eine „Andienpflicht“ – im Sinne von „andienen“. Das heiße, dass es zertifizierte Stellen geben müsse, „die dem Handel überflüssige Retouren abnehmen und für die Gesellschaft sinnvoll verwerten“. Die Kosten für diese Anlaufstellen müsse der Handel tragen. „Nur so wird die Überproduktion als Faktor in einem Unternehmen eingepreist.“

Was sagt der Handel?

Bei den Händlern wird die Gesetzesänderung für überflüssig gehalten. „Der Handel setzt schon heute aus Kostengründen alles daran, die Zahl der Rücksendungen von Waren durch die Kunden so gering wie möglich zu halten“, meint Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland (HDE). Die neuen Berichtspflichten würden „zusätzliche und nutzlose bürokratische Hürden“ bedeuten.

Er nahm außerdem die Verbraucher in die Pflicht: „Es muss deutlich sein, welche Kosten den Unternehmen und der Umwelt durch eine Rücksendung entstehen.“ Die Modekette H&M, die immer wieder wegen Warenvernichtung in der Kritik stand, teilte mit, man begrüße die neuen Vorschriften. Zalando sagte, man erfülle die Obhutspflicht bereits.

Wie viele Retouren werden vernichtet?

Die Debatte über die Vernichtung von Retouren hatte im vergangenen Sommer Fahrt aufgenommen. Empirische Grundlage dafür war eine Studie der Universität Bamberg. Demnach wurden 2018 rund 487 Millionen Artikel in Deutschland retourniert. 3,9 Prozent davon seien vernichtet worden – rund 19 Millionen Produkte. Göring-Eckardt hatte daraufhin von einer „Perversion der Wegwerfgesellschaft“ gesprochen und ein Vernichtungsverbot gefordert. Greenpeace hatte sich der Forderung angeschlossen und eine 145.000 Unterschriften umfassende Petition an das Bundesumweltministerium (BMU) übergeben.

Wird auch im stationären Handel vernichtet?

Rückgaben gibt es nicht nur im Onlinehandel. Laut einer Studie des HDE haben 57 Prozent der Verbraucher 2019 auch im stationären Handel Waren zurückgegeben. Wie viel Prozent dieser Artikel vernichtet und nicht anderweitig verwendet werden, ist allerdings nicht so gut erforscht. Laut Greenpeace ist das Problem hier allerdings kaum kleiner. „Das betrifft auch Filial-Händler, die ihre Lager leeren müssen, wenn sich ein Produkt nicht schnell genug verkauft“, hatte Wohlgemuth dem Tagesspiegel schon im vergangenen Sommer gesagt. „Wahrscheinlich wird hier sogar mehr vernichtet als beim Online-Handel.“

Umweltbundesministerin Svenja Schulze (SPD) will die Kreislaufwirtschaft stärken.
Umweltbundesministerin Svenja Schulze (SPD) will die Kreislaufwirtschaft stärken.

© dpa

Gerade Fast-Fashion- Händler wie H&M oder Primark würden solche Massen produzieren, dass sogar der Second-Hand-Markt überschwemmt sei. Beide Unternehmen hatten die Vorwürfe damals allerdings abgestritten. Laut Wohlgemuth würden auch Elektronikprodukte und Möbel oft direkt bei Retour zu Schrott erklärt.

Was ändert sich sonst noch durch das Gesetz?

Die Novelle soll das Müllaufkommen in weiteren Bereichen reduzieren. „Wer Einwegprodukte, wie To-Go-Becher oder Zigarettenkippen in Verkehr bringt, muss sich an den Reinigungskosten von Parks und Straßen beteiligen“, fasste Schulze zusammen. Auch diese Regelung trifft Hersteller und Vertreiber von Einweg- Produkten aus Kunststoff gleichermaßen. „Das Ziel ist klar: Wir wollen eine saubere Umwelt, in der weder Müll und noch giftige Kippen rumliegen“, so die Bundesumweltministerin weiter.

Doch auch bei diesem Thema sind die Details noch nicht klar. Weder in welcher Höhe noch wie die Händler und Hersteller ganz praktisch an den Kosten beteiligt werden. Langfristig soll so allerdings nicht die Straßenreinigung finanziert werden. Stattdessen, so der Gedanke im BMU, sollen die Händler künftig auf Mehrwegprodukte umsteigen.

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