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Menschen bekommen bei der Idee ein Grundeinkommen - ohne Gegenleistung.

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Geschenkte Freiheit: Wie in Deutschland das Grundeinkommen erprobt wird

Wie wichtig ist Geld, was bedeutet den Deutschen ihr Job? Das wollen Wissenschaftler herausfinden und starten eine Studie zum bedingungslosen Grundeinkommen.

Sie konnte nicht glauben, was sie las. Tausend Euro sollte Yvonne jeden Monat bekommen. Ohne irgendetwas dafür zu leisten. Freunde fragten nach dem Haken. Sie fanden keinen.

Seit drei Jahren arbeitet Yvonne als Politesse in einer Stadt in Brandenburg. Sie vergibt Strafzettel, wenn jemand im Halteverbot parkt, kontrolliert Absperrungen für Dreharbeiten. „Ich bin jeden Tag an der Luft. Der Job macht mir viel Spaß, aber inzwischen habe ich Probleme mit den Füßen und Beinen.“ Deswegen nutzt die 53-Jährige ihr Glück vom geschenkten Geld. Allerdings nicht für eine Pause oder Kündigung. Sie wird eine berufsbegleitende Ausbildung für 3000 Euro machen. Danach kann sie in den mittleren Dienst. Schreibtischarbeit.

Über die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens wird schon lange diskutiert. Ideologisch und emotional. Kann dadurch ein Sozialstaat entstehen, in der Existenzängste keine Rolle mehr spielen? Oder handelt es sich um eine naive Träumerei? In Deutschland beginnt jetzt ein Pilotprojekt, das herausfinden soll, wie das Konzept tatsächlich auf den Menschen wirkt. Inwiefern sich das Verhalten ändert, wenn jeder eine Grundsumme bekommt – ob bedürftig oder nicht.

Ein Verein probt die Idee seit Jahren

Initiiert wurde die Studie vom Verein Mein Grundeinkommen. „Wir wollen einen kritischen Blick von außen“, sagt der Gründer Michael Bohmeyer. Er sammelt mit seinem Team seit 2014 per Crowdfunding Geld ein, das dann verlost wird. Tausend Euro im Monat für ein Jahr. Eine der 650 Gewinnerinnen und Gewinnern ist Yvonne. Bisher fand der Verein heraus: Die Menschen lebten gesünder, entspannter und mutiger. Da die einzelnen Erfahrungsgeschichten aber nur begrenzt aussagekräftig sind, suchte sich der Verein mit dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin einen Partner für eine Langzeitstudie. Es beteiligen sich außerdem Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern sowie Psychologinnen und Verhaltensforscher der Universität zu Köln. Sie alle bekommen vom Verein kein Geld. Bezahlt werden soll die Studie aus Spenden von rund 140000 Privatpersonen.

Die Köpfe hinter der Studie: Jürgen Schupp vom DIW Berlin; Susann Fiedler, Leiterin Erforschung von Gemeinschaftsgütern am Max-Planck-Institut, Janine Busch, Projektleiterin Pilotprojekt «Mein Grundeinkommen», und Michael Bohmeyer, Initiator des Vereins «Mein Grundeinkommen».
Die Köpfe hinter der Studie: Jürgen Schupp vom DIW Berlin; Susann Fiedler, Leiterin Erforschung von Gemeinschaftsgütern am Max-Planck-Institut, Janine Busch, Projektleiterin Pilotprojekt «Mein Grundeinkommen», und Michael Bohmeyer, Initiator des Vereins «Mein Grundeinkommen».

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Werden die Teilnehmenden faul oder kreativ? Wenn es weniger Stress, aber mehr Zeit gibt: Was macht das mit Beziehungen, Familien? Kann ein Grundeinkommen etwas gegen die zunehmende Spaltung der Gesellschaft beitragen? Wahlen beeinflussen? So viele Fragen.

„Mich interessiert vor allem der Arbeitsmarkt“, sagt Jürgen Schupp vom DIW Berlin. Wer hört auf zu arbeiten? Wer wechselt zu einem passenderen Job oder macht sich selbstständig? Wie wirkt die Freiheit, öfters Nein sagen zu können. Jürgen Schupp ist gespannt, ob die positiven oder negativen Effekte am Ende überwiegen werden. Schließlich beobachte er mit Sorge, wie das bisherige System der Beitragsfinanzierung an seine Grenzen komme. Wenn die Babyboomer bald in den Ruhestand gehen könnten, kippe das Verhältnis zwischen Einzahlern und Leistungsempfängern bei Rente, Gesundheit und Pflege ins Untragbare. Hinzu komme die voranschreitende Digitalisierung, die unsere Arbeitswelt in noch nicht absehbaren Maßen verändern wird. „Und nicht zuletzt wird während Corona stark über den Sozialstaat diskutiert“, sagt Schupp.

Corona setzt Grundeinkommen auf die Agenda

Die Vereinten Nationen schlugen kürzlich vor, zur Linderung der Krise in Entwicklungsländern ein befristetes Grundeinkommen zu zahlen. In Deutschland ist das Konzept bei der Frage, wie Künstler und Selbstständige während der Pandemie finanziell unterstützt werden können, wieder aufgeflammt. Aktivistinnen und Aktivisten sammelten in einer Online-Petition rund eine halbe Million Unterschriften, um sich für ein bedingungsloses Grundeinkommen stark zu machen. Ohne Erfolg.

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Margrit Sartorius lebt in Oldenburg und ist Film- und Theaterschauspielerin. Sie bekommt das Grundeinkommen von Bohmeyers Verein seit April. Genau um diese Zeit fielen bei ihr alle Aufträge aus. „Anfang des Jahres dachte ich noch, dass ich gerne mal regelmäßig Geld auf dem Konto haben möchte. Und dann kam Corona“, erzählt sie. Wie viel sorgloser sie jetzt sei. „Ich spüre körperlich richtig, wie meine Anspannungen weg sind“, sagt sie. Margrit Sartorius möchte sich ebenfalls weiterbilden und denkt darüber nach, eine eigene Filmproduktionsfirma zu gründen. „Das Grundeinkommen würde nicht nur Künstlern enorm helfen“, glaubt sie. „Es gebe so viel mehr Frieden in der Welt.“

Das Bedingungslose Grundeinkommen gibt vielen das Gefühl von Freiheit.
Das Bedingungslose Grundeinkommen gibt vielen das Gefühl von Freiheit.

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Etwas mehr als die Hälfte der Deutschen ist für ein Grundeinkommen; etwas weniger sind dagegen. Noch hat keine große Partei das Konzept in ihrem Wahlprogramm stehen. Der Zwischenbericht der Studie wird erst nach der nächsten Bundestagswahl veröffentlicht. Falls die erste Studie deutliche Effekte zeigt, sollen im Rahmen des Pilotprojekts zwei weitere Studien durchgeführt werden. Dabei soll unter anderem herausgefunden werden, wie man ein Grundeinkommen für alle Menschen in Deutschland finanzieren könnte.

Ein Gegenargument: Es gibt doch Hartz IV

Die Kosten für den Staat und fehlende Bezahlmodelle sind die Hauptargumente jener, die gegen das Grundeinkommen sind. Sie fragen sich, ob noch genügend Menschen arbeiten würden. Ob sie wirklich das tun, was die Gesellschaft braucht? Außerdem gebe es doch eine Mindestabsicherung: Hartz IV.

Yvonne hatte vor ihrem heutigen Beruf 20 Jahre lang in einem Callcenter gearbeitet und musste trotzdem aufstocken. „Ich weiß, wie es im Jobcenter ist. Jeden Kontoauszug musste ich vorzeigen.“ Eine Mindestsumme ohne Zwänge und Kontrolle zu bekommen, sei etwas ganz Anderes.

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Wie die Studie nun abläuft? Wer seinen ersten Wohnsitz in Deutschland hat und mindestens 18 Jahre alt ist, kann sich um eine Teilnahme bewerben. Sobald eine Million Bewerber zusammengekommen sind, startet ein strikter Auswahl- und Auslosungsprozess. 120 Frauen und Männer sollen danach drei Jahre lang jeden Monat 1200 Euro bekommen – und werden dabei ebenso intensiv befragt wie eine Vergleichsgruppe von 1380 Menschen, die keine Geldzahlungen erhalten. Ziel ist es, dass Menschen mit möglichst gleichen Eigenschaften und Lebenssituationen bei den Beziehern und Nicht-Beziehern gefunden werden – sogenannte statistische Zwillinge. Im besten Fall sind sie sich sehr ähnlich und unterscheiden sich ausschließlich durch das Grundeinkommen. Neben Umfragen werden objektive Messungen wie Haarproben angewandt, wodurch Stresshormone nachgewiesen werden können.

Erste Erkenntnisse zur Wirkung eines bedingungslosen Grundeinkommens gibt es unter anderem aus einem Experiment in Finnland. Die Regierung hat in den Jahren 2017 und 2018 probeweise jeden Monat 560 Euro an 2000 zufällig ausgewählte Langzeitarbeitslose ausgezahlt – steuerfrei und bedingungslos. Die Bilanz, die Finnland erst vor wenigen Monaten präsentiert hat: Wer zum Kreis dieser Menschen gehörte, ging es oft besser als zuvor. Andererseits konnten die erhofften Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt nicht explizit nachgewiesen werden. Die Menschen fanden weder besser noch schlechter einen Job.

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