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Gegen Apple gab es einst den Vorwurf, das Unternehmen begrenze die Laufzeit der Akkus in seinen iPods auf 18 Monate.

© pa/dpa

Geplante Obsoleszenz: Viele Produkte gehen vorzeitig kaputt

Kurzes Vergnügen: Ob Musikspieler oder Waschmaschinen – immer mehr Produkte werden so gebaut, dass sie früh versagen. Da hilft vor allem: wachsam sein.

Von Maris Hubschmid

Der Bildschirm bleibt schwarz? Die Waschmaschine streikt? Der Henkel bricht ab? Es ist ein Phänomen: Gebrauchsgegenstände gehen vorzugsweise wenige Wochen nach Ablauf der Garantie kaputt. So viel Pech kann doch keiner haben, mag sich mancher Käufer denken – und hat anscheinend Recht: Untersuchungen legen nahe, dass Hersteller absichtlich Schwachstellen in ihre Produkte einbauen, um ihre Verkäufe langfristig zu steigern. Die Rechnung ist einfach – mehr kaputte Geräte, mehr Bedarf an Nachschub.

„Handmixer sind ein Musterbeispiel“, sagt Stefan Schridde, Initiator der Internetseite „Murks? Nein danke!“, die kurzlebige Produkte auflistet und so Verbraucher warnt. Im Auftrag der Bundestagsfraktion der Grünen inspizierten der Diplom-Betriebswirt und zwei weitere Gutachter jüngst eine Reihe von Waren. Im Handmixer waren Zahnräder aus extra weichem Plastik schon nach wenigen Jahren unbrauchbar – und nicht zu ersetzen.

„Diese Sollbruchstelle ist offensichtlich“, sagt Schridde. „Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb die Hersteller nicht härteres Material verwenden.“ Wie in diesem Fall stellte er bei zahlreichen weiteren Elektrogerätschaften fest, dass Einzelteile ohne erkennbaren Grund fest verbaut sind, so dass ihr Austausch unmöglich ist. Ob Laptops, MP3-Player oder Elektrozahnbürsten: Gibt der Akku den Geist auf, ist das Teil reif für die Tonne.

Verbraucher sind kaum geschützt

Die Verbraucherzentralen melden, dass die Zahl der Beschwerden über frühzeitigen Verschleiß deutlich gestiegen ist. Leider fehlten für Reklamationen die rechtlichen Grundlagen, urteilt Hyewon Seo, Referentin für Kreislaufwirtschaft beim Bundesverband der Verbraucherzentralen. Sie ist vorsichtig mit Schuldzuweisungen: „Es ist schwierig, zu belegen, dass Hersteller arglistig handeln. Gutachten wie das der Grünen zeigen erst mal nur, dass es Potenziale gibt, die Produkte zu verbessern.“ Eine Mindesthaltbarkeit ist im Gewährleistungsrecht nicht verankert. „Es geht nur um den Zustand zum Zeitpunkt der Übergabe“, sagt Seo. Ein früher Verschleiß ist per Gesetz nicht mit Mangel gleichgesetzt. Die Politik könnte dem Problem entgegentreten, indem sie zum Beispiel dafür sorgt, dass die Pflicht zur Reparier- und Nachrüstbarkeit von Produkten auf europäischer Ebene gesetzlich verankert wird, etwa in der EU-Ökodesign-Richtlinie. In Artikel Vier des Elektrogesetzes heißt es: Batterien und Akkus müssen entnehmbar sein. Der Satz zielt auf den Umweltschutz bei der Entsorgung. „Dass Verbraucher das selbst während der Nutzungsphase tun können sollen, steht da nicht“, sagt Seo. Daher halte sich keiner daran . So verursacht der Verschleiß von Produkten nicht nur Ärger, sondern auch Berge von Müll (siehe Kasten).

Nutzer in der Beweispflicht

Aktuell ist es so, dass für Elektrogeräte eine gesetzliche Gewährleistungspflicht von zwei Jahren gilt, wenngleich einige Hersteller von sich aus nur ein Jahr Garantie geben (Beispiel Apple). Verbraucherschützer raten, in solchen Fällen hartnäckig zu sein, auch wenn Discounter sich stur zeigen, weil sie Waren nur kurz im Angebot hatten. Die Verbraucherzentralen unterstützen Käufer dabei, Ersatz zu bekommen oder ihr Geld zurückzufordern. Der Computerkonzern Apple erregte Aufsehen, weil er die Lebensdauer der Akkus in seinen iPod-Musikspielern angeblich vorsätzlich auf 18 Monate begrenzt hatte. Eine Sammelklage legte der Konzern durch eine außergerichtliche Einigung bei. Innerhalb der Gewährleistungsfrist kann der Käufer generell aber nur ein halbes Jahr problemlos sein Recht geltend machen. Danach muss er nachweisen, dass nicht ein Behandlungsfehler Auslöser des Defekts war. „Das gelingt in vielen Fällen nicht“, sagt Seo.

Kaufentscheidung gut abwägen

Unternehmen und Industrieverbände begründen die Qualität und Verarbeitungsweise bestimmter Produktteile auf Nachfrage mit begrenzten wirtschaftlichen Möglichkeiten, die mit gewünscht günstigen Preisen einhergehen. Eine billige Ausrede, finden etwa die Grünen. Ein bisschen was ist dran, meint stattdessen Seo. „Wir sollten unser Konsumverhalten häufiger hinterfragen.“ Wegwerfproduktion ist eine Folge der Wegwerfgesellschaft: „Fernseher und Handys müssen nicht alle paar Jahre durch schickere ersetzt werden“, sagt Seo.

Die Industrie habe so immer weniger Grund, davon auszugehen, dass Lebensdauer ein Verkaufskriterium sei. Machtlos sind Kunden aber nicht. Verbraucherschützer raten dazu, sich vor dem Kauf gründlich über die Geräte zu informieren – etwa durch Erfahrungsberichte im Internet – oder sich auf Portalen wie www.murks-nein-danke.de zu vernetzen. „Beim Fachhändler lohnt sich immer die Frage nach den Schwachstellen der Produkte, deren Reparierbarkeit und der Nachrüstbarkeit von Soft- und Hardware“, rät Seo.

Sich wehren und handeln
Politische Opposition und Verbraucherorganisationen fordern eine stärkere Ahndung konsumentenunfreundlichen Wirtschaftens, etwa durch eine Verschärfung der gesetzlichen Regelungen. Bis sich aber etwas ändert, sollten Nutzer deutlich machen, dass sie Wert auf Haltbarkeit und Serviceleistungen legen, raten die Verbraucherschützer – indem sie sich in jedem Einzelfall kundig machen und beschweren. „Die Industrie muss merken, dass sie sich selber schadet, wenn Verbraucher ihr Vertrauen in die Wirtschaft verlieren“, appelliert Konsumexpertin Seo.

Zum Beispiel, wenn sie das hier lesen: Tonerkartuschen für Laserdrucker verfügen häufig über eingebaute Zähler. Wenn eine bestimmte Anzahl von Seiten gedruckt ist, blinkt die Nachricht auf: „Der Toner ist leer.“ Im Test setzten die Gutachter den Zähler einfach zurück – die Farbe reichte für weitere 50 000 Seiten.

Das System Geplante Obsoleszenz

Geplante Obsoleszenz, so der Fachbegriff für die Strategie des vorzeitigen Verfalls, klingt technisch-modern – sie ist es aber nicht. Der erste bekannte Fall geht zurück auf das Jahr 1924, als sich sämtliche Glühbirnenhersteller international darauf verständigten, die Brenndauer ihrer Birnen von rund 2500 auf 1000 Stunden zu verkürzen. Ähnlich motiviert handelten Zahnpastaproduzenten, als sie die Öffnungen der Tuben vergrößerten. So kommt schon bei leichtem Druck eine größere Menge Zahnpasta aus der Tube, als eigentlich benötigt wird. Seit Jahrzehnten bereits liegen Patente für die quasi unkaputtbare Nylonstrumpfhose vor. Es ist naheliegend, dass niemand sie vertreibt.Im Rahmen von anonymen Befragungen gaben Industrieinsider wiederholt an, dass bessere Qualität ihrer Einschätzung nach zu gleichen Kosten möglich wäre. Berechnungen zufolge könnten jährlich zehn Millionen Tonnen Abfall vermieden und mehr als hundert Milliarden Euro in Deutschland freigesetzt werden, wenn es keine geplante Obsoleszenz gäbe. Demnach wird jeder zehnte Euro durch geplanten Verschleiß verschwendet. Dieses Geld könnten Konsumenten besser anderweitig ausgeben, beklagen Kritiker. Auch Stefan Schridde von der Initiative „Murks? Nein, danke!“ meint: „Langlebigkeit führt ja nicht dazu, dass keiner mehr was kauft.“

Die Industrie möchte darauf nicht wetten. „Indem wir produzieren und die Nachfrage aufrecht erhalten, sichern wir ja auch tausende Arbeitsplätze und halten die Wirtschaft in Schwung“, sagte ein Unternehmenssprecher dem Tagesspiegel. Er will nicht namentlich zitiert werden. In anderen Ländern gibt es bereits Siegel, die für mehr Transparenz sorgen sollen.

So werden vom Österreichischen Normungsinstitut Geräte, die nachhaltiger sind als andere, mit dem Hinweis „reparaturfreundlich & langlebig“ ausgezeichnet. Die Bundestagsfraktion der Grünen will sich dafür starkmachen, dass Hersteller, deren Produkte nicht zerleg- und reparierbar sind, höhere Umweltabgaben zahlen. Und dass die Gewährleistungsfrist ausgeweitet wird. Das deutsche Recht erfüllt lediglich die Mindestanforderungen der EU.

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