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Jubel vergangener Tage: Die Kanaleinfahrt bei Port Said 1975 bei der ersten Durchfahrt eines Passagierschiffs nach der Wiedereröffnung nach dem Sechs-Tage-Krieg.

© Horst Faas/dpa

Geopolitische Folgen der Havarie im Suezkanal: Das Wunderwerk der Ingenieurskunst verliert an Bedeutung

Israel und die Emirate wollen Öl per Pipeline transportieren und denken über eine Bahnverbindung nach. Ägypten könnte viel verlieren. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Andrea Nüsse

Der Suezkanal fasziniert die Gemüter: Die knapp 200 Kilometer lange Verbindung zwischen dem Mittelmeer und dem Roten Meer wird seit der Eröffnung 1869 als historischer Meilenstein der Ingenieurskunst gefeiert.

Er verkürzt die Strecke zwischen Rotterdam und Singapur um 6000 Kilometer und brachte Ägypten im vergangenen Jahr 4,2 Milliarden Euro Transiterlöse ein.

Die fast einwöchige Blockade der Wasserstraße durch das Containerschiff „Ever Given“ hat zu einem Schiffsstau geführt und die Abhängigkeit der Weltwirtschaft von dieser Wasserstraße erneut eindrücklich gezeigt.

Gleichzeitig hat die Havarie Pläne für alternative Verkehrsverbindungen beflügelt, die die Abhängigkeit von Ägypten und seinem Kanal verringern können. Zumal es nicht zum ersten Mal zur Schließung der Wasserstraße kam: In der Suezkrise 1956 oder nach dem Sechs-Tage-Krieg zwischen Ägypten und Israel geschah dies aus politischen Gründen.

Phantasiepläne könnten Realität werden

Waren Alternativ-Pläne bisher mehr Phantasie als Realpolitik, hat sich dies durch die Friedensschlüsse Israels mit den Golfstaaten Bahrain und den Vereinigte Arabische Emiraten (VAE) grundlegend geändert: Israel und die VAE wollen eine Pipeline zwischen dem Hafen Eilat am Roten Meer und dem Mittelmeerhafen Aschkelon ausbauen und für den Transport von Erdöl nach Europa nutzen. Dazu wurde bereits 2020 eine Absichtserklärung unterzeichnet.

Außerdem soll ein Investitionsfonds den Bau einer Bahnverbindung zwischen dem israelischen Haifa und VAE finanzieren, die durch Jordanien und Saudi-Arabien führt. Diese Idee hatte der israelische Verkehrsminister bereits 2018 in Oman vorgestellt. Damit könnten Waren in zwei statt zwölf Tagen zwischen den beiden Ländern transportiert werden.

Die Bahnstrecke mag noch Zukunftsmusik sein, aber die Pipeline wird Öltransporte vom Suezkanal abziehen – die Rede ist bereits von zwölf bis 17 Prozent. Auch ein neuer Nord-Süd-Transportkorridor mit Schiff und Bahn zwischen Asien und Nordeuropa, den Iran, Russland und Indien gemeinsam andenken, ist noch Zukunftsmusik.

Aber Ägypten wird sich wohl nicht weitere 150 Jahre auf seine Einnahmen und seinen geostrategischen Vorteil durch den Suezkanal verlassen können. Erst recht nicht, wenn öfter sichtbar wird, wie schnell lokale Behörden überfordert sind.

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