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Die Gewerkschaften warnen vor Konsequenzen für Berufspendler, sollten Grenzen langfristig geschlossen bleiben.

© dpa

Gemeinsames Papier aus Deutschland und Frankreich: Gewerkschaften fordern EU-Strategie für Aufschwung

Die EU soll mehr Geld für den Aufbau nach der Coronakrise bereitstellen. Der deutsch-französische Vorstoß geht den Gewerkschaften nicht weit genug.

Von Laurin Meyer

Als „außergewöhnliche Kraftanstrengung“ hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) den Plan am Montag bezeichnet. Gemeinsam mit Frankreich warb sie für einen europäischen Aufbaufonds. Ihr Vorschlag: 500 Milliarden Euro sollen als Zuschüsse an EU-Mitgliedstaaten fließen, die besonders von der Coronakrise betroffen sind – finanziert über gemeinsame Schulden im EU-Haushalt.

Das sei zu wenig, beklagen jetzt die deutschen und französischen Gewerkschaften. In einer Stellungnahme, die dem Tagesspiegel vorliegt, fordert der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) zusammen mit fünf französischen Gewerkschaftsverbänden tiefergreifende Maßnahmen. So soll die EU zusätzlich zum geplanten Aufbaufonds auch einen „erheblich größeren mehrjährigen Finanzrahmen“ schaffen. „Wir brauchen eine effektive Strategie für den Aufschwung, die über die nun von Frankreich und Deutschland vorgeschlagenen 500 Milliarden Euro hinausgehen muss“, heißt es in dem Papier.

Die Gewerkschaften schlagen hierfür Mittel in Höhe von mindestens zwei Prozent der EU-Wirtschaftsleistung vor. Das wäre deutlich mehr als der bisherige EU-Haushalt enthält. Dieser ist derzeit nur knapp halb so groß und liegt bei etwa einem Prozent des gemeinsamen Bruttoinlandsprodukts. Fast 40 Prozent davon fließen allein in die Agrarpolitik. „Die Folgen der von den Mitgliedsstaaten getroffenen Maßnahmen sind von nie da gewesener Tragweite und erfordern eine angemessen große Antwort“, heißt es in dem Papier. Nur so könnten lange Jahre des schwachen Wachstums oder eine Rezession verhindert werden, die die Arbeitslosigkeit und Armut in Europa in die Höhe treiben würden.

Der Plan von Bundeskanzlerin Merkel und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron sieht vor, dass die Wiederaufbauhilfen in Höhe von 500 Milliarden Euro nicht als Kredite, sondern als Zuschüsse an besonders betroffene Staaten fließen. Ein erstes Paket mit Krediten von bis zu 540 Milliarden Euro hatten die EU-Staaten bereits Anfang April vereinbart.

Vorschlag aus Deutschland und Frankreich stößt in anderen Staaten auf Kritik

Zur Finanzierung des neuen Topfs soll sich die EU die Mittel an den Kapitalmärkten leihen und die Raten über einen Zeitraum von 20 Jahren aus dem EU-Haushalt abstottern. Für die Bundesregierung bedeutet das eine Kehrtwende, hatte sie sich lange gegen gemeinsame Schulden gesträubt. Anders als bei den umstrittenen Corona-Bonds ist die gemeinsame Haftung für die Schulden jedoch begrenzt – nämlich auf den Umfang der Haushaltszusagen. Deutschland ist hier mit einem Anteil von gut 27 Prozent der größte Netto-Beitragszahler.

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Die Gewerkschaften betrachten den Vorstoß dennoch als Richtungswechsel zu mehr europäischer Solidarität und begrüßen den Plan grundsätzlich. Sie fordern alle anderen Mitgliedsländer auf, den deutsch-französischen Vorschlag aufzugreifen. Doch in gleich mehreren EU-Staaten stößt die Idee auf massive Kritik. Länder wie Österreich, Dänemark, Schweden und die Niederlande lehnen Zuschüsse ab und verlangen Rückzahlungen.

EU müsse Berufspendler im Blick behalten

Außerdem fordern sie, dass Hilfen für bedürftige Länder an Reformzusagen geknüpft werden sollen. Ihre Ideen wollen die Staaten in einem Alternativplan vorstellen. Ob das 500-Milliarden-Paket kommt, scheint also fraglich zu sein. Alle 27 Mitgliedstaaten müssten den deutsch-französischen Vorstoß einstimmig beschließen.

In ihrem Papier fordern die Gewerkschaften zudem ein europäisches Wirtschaftsmodell, das sozialer und ökologischer ist als zuvor. So sollen die Mitgliedstaaten wirtschaftlich zusammenwachsen. Zudem müsse die EU-Kommission am sogenannten Green Deal festhalten. Dieser sieht eine deutlich Reduzierung der Treibhausgase und eine nachhaltigere Landwirtschaft vor.

Außerdem warnen die Gewerkschaften vor nationaler Abschottung und langfristig geschlossenen Grenzen. Zwar stehe die Gesundheit der Bürger weiterhin an erster Stelle. Aber: „Wir warnen davor, die in den Grenzräumen über Jahrzehnte gewachsenen gemeinsamen Arbeits-, Lebens- und Wirtschaftsräume jetzt zur Disposition zu stellen“, heißt es in der gemeinsamen Stellungnahme. Allein aus der französischen Region Grand Est pendeln jeden Tag mehr als 40 000 Menschen, um auf deutscher Seite zu arbeiten.

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