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Äpfel im Großmarkt am Bodensee: Lagerung und Transport entscheiden über die CO2-Bilanz der Früchte.

© dpa

Geht ein Apfel auf Reisen: Warum hat Deutschland noch kein Klimalabel für Lebensmittel?

Unternehmen arbeiten längst an Nachhaltigkeitssiegeln für Nahrungsmittel – doch die Bundesregierung tut sich damit schwer.

Wenn die nächste Bundesregierung es mit dem Klimaschutz ernst meint, sollte sie die CO2-Kennzeichnung von Lebensmitteln in ihren Koalitionsvertrag schreiben. Das fordert Tobias Goj, Deutschlandchef des Hafermilchherstellers Oatly. Er will ein solches Klimalabel nun zusammen mit Nestlé und anderen Firmen in Eigenregie entwickeln – weil es das in Deutschland von staatlicher Seite noch nicht gibt.

Die Lebensmittelindustrie verursacht laut der Klimaschutzorganisation German Zero ein Viertel aller weltweiten Treibhausgasemissionen. Gerodete Wälder, Methan aus Massentierhaltung, Abgase beim Transport – all das schlägt auf die Bilanz. Schon vor einem Jahr empfahl der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik und Ernährung (WBAE) deswegen der Bundesregierung, ein Klimasiegel für Lebensmittel einzuführen.

Ein naheliegendes, aber nicht optimales Instrument

Und warum gibt es das bisher immer noch nicht? Dafür hört man aus Behörden und Ministerien unterschiedliche Begründungen. Ein verpflichtendes staatliches Klimalabel sei ein naheliegendes, aber kein optimales Instrument für mehr Nachhaltigkeit, sagt Hyewon Seo vom Umweltbundesamt. Es könne zwar klimabewussten Verbraucher:innen die Kaufentscheidung erleichtern und Lebensmittelfirmen animieren, sich klimafreundlicher zu verhalten. Aber es verenge auch den Blick auf die Treibhausgase, warnt sie: Wenn die Menschen beispielsweise weniger Rindfleisch kaufen, dafür aber mehr Schweinefleisch und Geflügel, sei das zwar besser für die CO2-Bilanz, verschärfe jedoch gleichzeitig das Nitratproblem. „Optimal wäre daher eine Bewertung, die alle relevanten Umweltauswirkungen einbezieht“, sagt Seo.

Doch diese Bewertung sei alles andere als leicht umzusetzen, heißt es aus dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), das für eine solche Kennzeichnung zuständig wäre. Bei verarbeiteten Lebensmitteln mit vielen Zutaten aus unterschiedlichen Regionen sei die „zweifelsfreie Verknüpfung“ von Treibhausgasemissionen und fertigem Produkt am schwierigsten, sagt eine Sprecherin. Hier könnten etwa die Erzeuger der einzelnen Bestandteile je nach Jahreszeit wechseln – und mit ihnen die Umweltstandards.

Treibhausgase oder Insektensterben, was ist wichtiger?

Auch bei ein und demselben Lebensmittel unterscheide sich die Klimabilanz je nach Zeit und Ort des Verkaufs, so das BMEL: Ein Apfel vom Bodensee könne beispielsweise entweder gleich nach der Ernte vor Ort verkauft werden, oder er werde zuerst länger gekühlt gelagert und dann mit dem Lkw nach Berlin transportiert – was zu mehr CO2-Ausstoß führe.

Um die Nachhaltigkeit eines Produkts zu beurteilen, braucht es laut BMEL aber noch weitere Kriterien, darunter den Ressourcenbedarf, die Grundwasserbelastung oder „soziale Nachhaltigkeitsaspekte“. Hyewon Seo vom Umweltbundesamt gibt außerdem zu bedenken, wie etwa „die Treibhausgasemissionen gegenüber dem Insektensterben gewichtet werden sollen“. Vor diesem Hintergrund stelle sich die Frage nach der Verhältnismäßigkeit einer CO2-Kennzeichnung, sagt sie: „Zum Beispiel gibt es das Bio-Label bereits seit zehn Jahren und der Bio- Umsatzanteil am Lebensmittelmarkt erreicht gerade einmal 6,4 Prozent.“

„An der Grenze zur Verbrauchertäuschung“

Das BMEL will keinen deutschen Alleingang beim Nachhaltigkeitslabel, sondern auf Europa warten. Die EU-Kommission hat angekündigt, bis 2024 einen Rahmen für die Kennzeichnung vorzulegen. „Die Bundesregierung unterstützt eine europaweit einheitliche Lösung und wird sich beim Gesetzgebungsprozess entsprechend einbringen“, so das Ministerium.

Dabei ist ein Land längst vorgeprescht: Der in Frankreich eingeführte Eco-Score ist nicht nur das Vorbild für die angestrebte EU-Lösung. An ihm orientiert sich auch das Ökosiegel, das der Discounter Lidl gerade in seinen Berliner Filialen testet. Es sei gut, „wenn Unternehmen sich hier auf den Weg machen“, sagt Achim Spiller, Professor für Lebensmittelmarketing an der Universität Göttingen. Solche Initiativen seien schillernd, aber „häufig an der Grenze zur Verbrauchertäuschung“, warnt er. Deswegen würde er es begrüßen, wenn „der Staat sich hier einbringt, damit der Label-Dschungel nicht noch größer wird.“

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