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Überschüssige Lebensmittel sind für mehr als acht Prozent der CO2 Emissionen weltweit verantwortlich.

© Getty Images/Mukhina1

Gegen Lebensmittelverschwendung: Wenn künstliche Intelligenz unsere Essensplanung vorhersagt

Bis zu zwölf Millionen Tonnen Lebensmittel landen in Deutschland jährlich im Müll. Künstliche Intelligenz soll helfen, die Verschwendung zu verringern.

Sobald gutes Wetter ist, stürzen sich viele auf die Baguettes für das perfekte Grillerlebnis, bei schlechtem Wetter darf es eher ein großes Stück Schokoladenkuchen sein. Bäckereien kennen diese Vorlieben. Aber den Verkauf für jeden Tag vorherzusagen, fällt ihnen schwer. Etwa 1,7 Millionen Tonnen Backwaren landen pro Jahr in Deutschland im Müll, schätzt die Umweltorganisation WWF. Die menschliche Intelligenz reicht offenbar nicht, um genau zu prognostizieren, was wann gegessen werden wird. Kann es die künstliche?

Bis zu zwölf Millionen Tonnen Lebensmittel werden jährlich in Deutschland weggeworfen, wovon knapp sieben Millionen vermeidbar wären. Ungefähr 34 Prozent dieser Abfälle entstehen in der Lieferkette. Das hat eine Studie des Thünen-Instituts im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) herausgefunden.

Diese Verschwendung ist auf mehreren Ebenen problematisch. Weggeworfene Lebensmittel sind verschwendete Ressourcen und befeuern zudem den Klimawandel: Laut einem Bericht der Vereinten Nationen (UN) sind überschüssige Lebensmittel für mehr als acht Prozent der CO2-Emissionen weltweit verantwortlich. Zum Vergleich: der globale Flugverkehr vor der Corona-Pandemie für zwei Prozent.

Mehrere Start-ups haben deshalb eine Software entwickelt, die das verhindern soll. So etwa die Kölner Firma Foodforecast. Es verspricht Bäckereien rund 20 Prozent weniger Lebensmittelabfall sowie bis zu fünf Prozent Umsatzzuwachs - weil das System auch verhindert, dass Waren zu früh ausverkauft sind.

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In die Software speist das Team interne Daten aus den Bäckereien ein, wie Bestellungen, Verkauf und Retoure. Auch externe Daten wie Wetter, Feiertage oder Ferien sind dabei wichtig. Die Künstliche Intelligenz (KI) versucht, in den Daten Muster zu erkennen und spuckt dann einen Bestellvorschlag aus, den der Bäcker befolgen kann.

Das Interesse dafür ist groß, sagt Claudia Päffgen von Foodforecast. Gerade die steigenden Rohstoffpreise drängen die Bäckereien dazu, effizienter zu wirtschaften. Die 150 Filialen, die bisher die Foodforecast Software nutzen, konnten ihre Retoure nach Päffgens Angaben um 18 Prozent senken. Im Jahr 2021 will das Start-up so 490 Tonnen Lebensmittelabfälle verhindert und damit 2,3 Millionen Kilogramm CO2 eingespart haben. „Wir setzen bei der Produktion an und verhindern, dass Lebensmittelabfall überhaupt erst entsteht“, sagt Päffgen.

„Es macht keinen Spaß, etwas zu produzieren, das in der Tonne landet“

Ein anderes Beispiel ist FoodTracks aus Münster, das 1500 Filialen mit Bestelloptimierungs-Software ausgestattet hat – wie die Backstube Härdtner. Bäcker Nico Härdtner benutzt das System schon seit einigen Jahren in seinen insgesamt 60 Filialen. Seitdem habe er Einsparungen im sechsstelligen Bereich verzeichnet. „Es macht uns ja auch keinen Spaß, etwas zu produzieren, das dann in der Tonne landet“, sagt er.

Trotzdem ist nicht alles an der KI für ihn nicht neu. „Als ich ein kleines Kind war, hat sich meine Mutter schon aufgeschrieben, welches Wetter an dem Tag war“, sagt er. Das Grundproblem bleibt die Spontanität. „Wissen Sie etwa schon, was Sie morgen beim Bäcker kaufen? Sowas weiß die KI auch nicht.“

Einen anderen Ansatz verfolgt das Berliner Start-up SPRK (gesprochen Spark). Hier will man überschüssige Lebensmittel der Produzenten an Händler und bedürftige Abnehmer umverteilen – wie zum Beispiel die Arche in Berlin, ein christliches Kinder- und Jugendwerk. Dafür erhält das Start-up Daten von der Produzentenseite, was wann und wie viel übrig bleibt, ebenso wie von der Abnehmerseite, was genau benötigt wird.

Die KI versucht darin Muster zu erkennen, um möglichst schnell ein „Match“ zu finden. Gründer Alexander Piutti möchte mit seinem Startup eine Plattform für eine funktionelle Kreislaufwirtschaft erschaffen. Nicht nur die Abnehmenden profitieren davon; sie bekommen die überschüssige Ware fünf bis zehn Prozent günstiger. Auch die abgebenden Unternehmen sparen hohe Entsorgungskosten und werden am Erlös beteiligt. Im Durchschnitt vermeidet Piutti zufolge ein Kilogramm gerettete Lebensmittel 2,5 Kilogramm CO2-Emissionen.

Regierung will Lebensmittelverschwendung halbieren

Piuttis Ambitionen dürften der Bundesregierung eine Hilfe sein. 2019 hat sie die Nationale Strategie zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung auf den Weg gebracht. Deren Ziel ist es, bis 2030 die Lebensmittelabfälle im Handel und bei den Verbrauchern zu halbieren. Dadurch könnten die Treibhausgasemissionen um 9,5 Prozent reduziert werden.

Unter Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) soll die Strategie weiterentwickelt werden, damit auch nur noch halb so viel Reste in der Produktion und Verarbeitung anfallen. Gerade vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine und der Versorgungskrise müsse Lebensmittelverschwendung dringend angepackt werden, heißt es aus dem Ministerium. Die Behörde prüfe derzeit Maßnahmen, die die Weitergabe von Lebensmitteln erleichtern sollen.

Künstliche Intelligenz kann dynamische Preise erstellen

Beim Forschungsprojekt „REIF“ des Fraunhofer IGCV geht es noch um einen anderen Einsatz von KI – die dynamische Preisanpassung. Artikel mit einem früheren Mindesthaltbarkeitsdatum sollen gestaffelt günstiger werden, als jene, die noch länger haltbar sind. „Man kennt das ja. Wahrscheinlich haben die Leute drei Tage lang alle nur den Salat gekauft, der am längsten hält. Warum sollte ich also den Salat nehmen für den gleichen Preis, der in zwei Tagen abläuft, als den, der erst in fünf Tagen schlecht wird?“, sagt Patrick Zimmermann.

Der wissenschaftliche Mitarbeiter ist für die Projektleitung von REIF verantwortlich. Mithilfe der KI sollen digitale Preisschilder im Markt automatisch den optimalen Preis anzeigen. Die Idee werde derzeit im Markt Teegut getestet, sagt Zimmermann.

Das Projekt verfolgt noch andere Ideen, wie KI dazu beitragen kann, Lebensmittelverschwendung zu reduzieren. Etwa Plattformen, die die Marktteilnehmer vernetzten sollen, oder Wege, um Produktion effizienter zu gestalten. REIF ist allerdings ein Forschungsprojekt, gefördert vom Bundeswirtschaftsministerium, betont Zimmermann.

Das bedeutet, dass dabei kein Produkt rauskommen darf. Es werde nur erforscht, inwieweit KI dazu beitragen kann, weniger wegzuwerfen. Valide Ergebnisse gebe es noch nicht. Selbst bei der dynamischen Preisanpassung müssten erst mehrere Preisstufen getestet werden, um herauszufinden, was Kundinnen und Kunden anspricht.

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Eine Künstliche Intelligenz kann nur lernen, wenn sie Daten gefüttert kriegt – die die verschiedenen Unternehmen aber erst bereitstellen müssen. In der Praxis kommen dann noch die Kostenfragen hinzu. Doch aus Sicht von Zimmermann führt kein anderer Weg zu besseren Prognosen: „KI brauche ich immer dann, wenn ich durch scharfes Nachdenken nicht den Algorithmus festlegen kann“, sagt Zimmermann.

Auch Rainer Schramm, Projektleiter eines Dialogforums bei der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft (DLG), ist überzeugt, dass KI ein großer Hebel zur Reduzierung von Lebensmittelverschwendung ist. Dem Thünen-Institut zufolge sind die größten Verschwender jedoch die Verbraucherinnen und Verbraucher.

Mehr als die Hälfte (52 Prozent) verantwortet der Privathaushalt. Pro Person landen jedes Jahr 75 Kilogramm Lebensmittel im Müll. Am Ende bleibt das Problem eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Das meint auch Schramm: „Es funktioniert nur, wenn alle zusammen arbeiten.“

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