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Verluste mit Termingeschäften an der Börse könnten für Anleger bald noch schlimmere Folgen haben als bisher.

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Gefahr für Anleger: Steuern zahlen, ohne überhaupt etwas verdient zu haben

Kann man Börsenverluste bald nicht mehr mit Gewinnen verrechnen? Eine Änderung im Einkommensteuergesetz könnte für Anleger ruinöse Folgen haben.

Mehr Steuern zahlen, als man verdient hat? Eine Änderung des Einkommensteuergesetzes könnte für Anleger diese Folge haben. Der Anschaulichkeit halber zunächst ein Beispiel: Wer bisher 100.000 Euro an der Börse verdiente, im selben Jahr aber 80.000 mit anderen Geschäften verlor, musste bislang 20.000 Euro versteuern – der Gewinn, der insgesamt blieb. Bei einer Abgeltungsteuer in Höhe von 25 Prozent machte das 5000 Euro Steuern.

Nach der neuen Regelung darf der Anleger aber nicht mehr all seine Verluste mit dem Gewinn verrechnen, sondern nur noch 10.000 Euro davon. Das heißt, er muss nicht 20.000 Euro versteuern, sondern 90.000. Angesichts der erwähnten Abgeltungsteuer ergibt das eine Abgabe in Höhe von 22.500 Euro – mehr als er überhaupt eingenommen hat.

Die Änderung soll für Termingeschäfte wie Derivate und Optionsscheine gelten. Die Verrechnung darf dann ebenfalls nur noch mit ebensolchen Geschäfte geschehen. Verbleibende Verluste können im Folgejahr geltend gemacht werden, allerdings ebenfalls nur bis zu 10.000 Euro. Das könnte zur paradoxen Situation führen, dass man Steuern zahlen muss, ohne überhaupt Gewinne verbucht zu haben.

Im Gesetzestext, der ab 2021 gelten soll, klingt das so: „Verluste aus Kapitalvermögen (...) dürfen nur in Höhe von 10.000 Euro mit Gewinnen (...) und mit Einkünften (..) ausgeglichen werden.“ Das Bundesfinanzministerium begründet den Schritt damit, Termingeschäfte besonders spekulativ seien. Durch den eigenen Verrechnungskreislauf sollten die Investments und damit die Risiken begrenzt werden. Allerdings trifft das Gesetz nicht nur Spekulanten, sondern kann auch für Kleinsparer relevant werden.

Banken und Hedgefonds bleiben verschont

Zum Einen gilt die neue Verrechnungsgrenze auch bei Totalverlusten. Wenn eine Firma pleite geht, bleibt der Anleger also auf den Verlusten sitzen – ganz ohne Termingeschäft. Zudem besagt die Regelung, dass Online-Broker und Banken die Gewinne und Verluste innerhalb eines Jahres nicht mehr verrechnen, sondern sofort Steuern darauf abführen müssen. Das heißt, auch Kleinanleger bekommen ihr Geld unter Umständen erst mit der nächsten Steuererklärung zurück. Banken, Investment- und Hedgefonds – die aktivsten Spekulanten – trifft die Änderung ohnehin nicht, da sie keine Einkommensteuer zahlen.

Die FDP kritisiert die Änderung scharf. „Die Änderung ist fachlich in keiner Weise nachvollziehbar und regelrecht willkürlich“, sagte der finanzpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Florian Toncar, dem Tagesspiegel. „Nötig wäre das glatte Gegenteil“, meint er und fordert eine vollständige Anerkennung aller Verluste aus Kapitalanlagen, die steuerliche Anerkennung von Negativzinsen und Steuerfreiheit von Kursgewinnen aus langfristigen Wertpapiergeschäften. Die FDP werde deshalb einen Antrag im Bundestag einbringen, um den Vermögensaufbau durch Aktien zu stärken.

"Schlag ins Gesicht der Anleger"

Auch Anlegerverbände laufen Sturm. „Der Gesetzesvorschlag scheint allein ideologisch motiviert und in grober Unkenntnis oder in bewusster Negierung verfassungsrechtlicher Grundsätze erarbeitet worden zu sein“, sagt etwa Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz und kündigt eine Klage an: „Die DSW wird die Neuregelung gerichtlich überprüfen lassen, sobald ein Anleger dadurch beschwert sein sollte.“ Tüngler sieht „sowohl das Nettobesteuerungs- als auch das Leistungsfähigkeitsprinzip gemäß Artikel drei“ verletzt und hält den Vorstoß deshalb für verfassungswidrig.

Das Deutsche Aktieninstitut (DAI), ein Interessensverband von Aktiengesellschaften und Finanzwirtschaft, spricht von einem „Schlag ins Gesicht der Anleger“. „Aber auch für die Aktienkultur in Deutschland ist das ein falsches Signal“, meint Franz-Josef Leven aus der DAI-Geschäftsführung. „Die Regierung sollte diesen Missstand schleunigst korrigieren.“ Kritisiert wird zudem, dass der Bundesfinanzhof eigentlich erklärt habe, mit der Abgeltungssteuer seien alle Wertveränderungen der Kapitalanlagen bereits abgegolten.

Auch der Bundesrat äußerte Kritik

Dass nicht nur Lobbyisten Zweifel an der Rechtmäßigkeit haben, zeigt eine Stellungnahme des Bundesrates zu einer früheren Version der Änderung. „Anders als der Gesetzentwurf suggeriert, sind von derartigen Verlusten nicht nur hoch spekulative Anlagen betroffen, sondern insbesondere auch klassische Kapitalanlagen, wie beispielsweise Finanzierungsdarlehen“, heißt es in dem Dokument von September 2019. Verfassungsrechtlich bedenklich sei zudem der Umstand, „dass sämtliche realisierten Wertzuwächse bei Kapitalanlagen auch weiterhin der Besteuerung unterworfen werden, während Verluste nur noch bis zu einem gewissen Grad steuerlich berücksichtigt werden sollen“.

Indirekt könnten indes auch Banken betroffen sein, macht die Regelung doch die Aktienanlage grundsätzlich unattraktiver. Und gerade Anleger, die weit über der Verrechnungsgrenze von 10.000 Euro liegen, machen den Großteil der mit Aktienhandel generierten Umsätze aus.

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