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Galerist Johann König mit einem seiner Künstler - Michael Sailstorfer.

© Mike Wolff

Galerien: Die Kunst, Geld zu verdienen

Nirgendwo sonst leben so viele Künstler wie in der Hauptstadt der Bundesrepublik. Die zahlreichen neuen Galerien schießen wie Pilze aus dem Boden. Doch das Geschäft ist hart und die Konkurrenz wächst täglich.

Berlin - Wenn Johann König einkaufen geht, hat er keinen Einkaufszettel dabei, er verlässt sich auf sein Bauchgefühl. Das letzte Mal hatte er dieses Gefühl in London, auf der Frieze Art Fair. Er stand vor einem Werk der britischen Künstlerin Helen Marten – und es irritierte ihn. Irritation ist ein gutes Gefühl bei Johann König. Es bedeutet, dass ihn ein Werk überrascht, dass er es spannend findet. Und dass er es in seiner Galerie haben möchte.

Johann Königs Galerie, die so heißt wie er selbst, vertritt rund 20 Künstler, vor allem junge, die international noch nicht sehr bekannt sind. König baut sie dann auf, so wie Helen Marten aus London. Weil ihre Bilder dieses Bauchgefühl in ihm ausgelöst hatten, begleitete er die Arbeit der 27-Jährigen, lernte die Frau Helen Marten besser kennen und schaute sich andere Werke von ihr an. Anschließend lud er sie zum Galeriewochenende nach Berlin ein. Mit Erfolg: Im Anschluss bekam Marten das Angebot für zwei Einzelausstellungen, eine in der Kunsthalle Zürich, die andere in der Chisenhale Gallery in London. Königs Bauchgefühl, es war richtig. „Im Prinzip bin ich Einzelhändler“, sagt König. „Ich baue Künstler auf, verkaufe ihre Werke und finanziere damit deren Lebensunterhalt, den meiner Angestellten und meiner Familie – und zudem die nächsten Projekte.“

Eines seiner nächsten Projekte besitzt eine Dimension, die Staunen lässt. Der Galerist hat die Kreuzberger Kirche St. Agnes erworben samt Kapelle, Turm und Gemeindezentrum, ein denkmalgeschützter Bau aus den Sechzigern von Werner Düttmann, den die katholische Kirche nicht halten konnte. Der knapp 800 Quadratmeter große Kirchenraum soll in eine Ausstellungshalle für Königs Künstler umgewandelt, das Gemeindezentrum mit Wohnungen von Pfarrer, Küster und Kaplan an andere Galerien und Gastronomie vermietet werden. Allein die Sanierung kostet drei Millionen Euro. Die Eröffnung ist im Frühjahr 2013 geplant. Nach dem Umbau der einstigen Jüdischen Mädchenschule in der Auguststraße nach einem ähnlichen Konzept durch den Galeristen Michael Fuchs macht König so den nächsten großen unternehmerischen Schritt eines Berliner Galeristen, der Kunstgeschäft und Gastronomie unter einem Dach verbindet.

Die Galerie Johann König ist eine von mehr als 400 Galerien in Berlin. Als die Mauer noch stand, gab es nur rund 30, heute eröffnen regelmäßig neue. Daniel von Schacky, Geschäftsführer der Villa Grisebach Auktionen, sagt: „Natürlich ergibt solch eine große Anzahl an Galerien auch einen großen Spannungs- und Qualitätsbogen.“ Heißt: Nicht alle arbeiten professionell. Trotzdem sei es wichtig, viele Galerien zu haben, damit über sie immer neue Künstler entdeckt werden können.

Dass Berlin eine Weltstadt für junge, zeitgenössische Kunst ist, zeige etwa die Biennale in Venedig, sagt Daniel von Schacky. „Der Prozentsatz der Künstler, die dort ausgestellt sind und die in Berlin leben, ist extrem hoch.“ Wenn man in Neukölln oder Wedding durch die Ateliers ziehe, merke man, dass wahnsinnig viele ausländische Künstler inzwischen in Berlin leben, sagt von Schacky. In anderen deutschen Städten, vermutet er, würde das nicht so funktionieren. „Dort sind die Mieten oftmals zu hoch. Die niedrigen Preise haben Künstler und Sammler nach Berlin gelockt.“

Auch Johann König ist Wahlberliner: „Ich wollte nach Berlin, weil ich das Gefühl hatte, dass es hier das meiste internationale Publikum gibt“, sagt König. Als er kam, hatte er 20 000 Euro im Gepäck, geliehen von seinem Onkel, denn den beantragten Kredit hatte ihm die Bank verwehrt. Er habe sich dann so durchgeschlagen, sagt König. „Es war knapp, aber es hat geklappt.“ In New York oder London wäre das wohl nicht so gegangen. Durchschlagen, diese Art zu leben scheint nicht zu einem wie Johann König zu passen. Seine Familie ist wahrscheinlich Deutschlands wichtigster Kunst-Clan. Kaspar König, der Vater, leitet das Museum Ludwig in Köln. Einem der Brüder, Walther, gehören die gleichnamigen Kunstbuchhandlungen. Längst ist auch Johann König erfolgreich, seine Galerie ist eine der umsatzstärksten in Berlin.

2009 lag der Umsatz aller Berliner Galerien bei mehr als 100 Millionen Euro, hat das Institut für Strategieentwicklung (IFSE) errechnet. 2011 seien es etwa 150 Millionen Euro gewesen, schätzt IFSE-Geschäftsführer Hergen Wöbken. Für die Studie „Studio Berlin“ traf sich Wöbken mit Galeristen, besuchte Kunstvereine und sprach mit den Verantwortlichen dort. Er wollte der Politik zeigen, wie bedeutend die Kunst für Berlin ist.

Galerien und Künstler sind Teil der sogenannten Kreativwirtschaft, wie die Politik die Kreativen oft nennt. Kreativwirtschaft, das klingt ein bisschen so, als würden all die Galerien und Künstler aus nichts Geld machen. Weit gefehlt. „Bei vielen Galerien grenzt das an Liebhaberei“, sagt Daniel von Schacky von der Villa Grisebach. Die Hälfte der mehr als 400 Berliner Galerien erzielte 2009 einen Umsatz von weniger als 50 000 Euro, bei einem Drittel lag der Umsatz sogar unter 17 500 Euro. Verteilt auf Künstler und Galeristen bleibt da nicht mehr viel. Die mehr als 60 Galerien mit einem Umsatz von mehr als einer halben Million Euro erwirtschafteten zusammen mehr als 60 Millionen Euro, wobei eine Spitzengruppe von 20 Galerien für die Hälfte aller Umsätze verantwortlich war. Nur etwa ein Viertel der Galerien wirtschafteten profitabel, sagt Hergen Wöbken vom IFSE. Die Galerie Johann König gehört dazu, genaue Zahlen zu Umsatz und Gewinn nennt König aber nicht. Sechs bis acht Ausstellungen zeigt seine Galerie pro Jahr, im Durchschnitt verkauft er 20 Arbeiten pro Monat.

Zuletzt hat Michael Sailstorfer in der Galerie Johann König ausgestellt. 2002 verkaufte er seine erste Skulptur, ein Sofa, gefertigt aus dem Abbruchmaterial eines Einfamilienhauses.2005 begannen Sailstorfer und König zusammenzuarbeiten. Heute verkauft Sailstorfer zwischen 30 und 40 Arbeiten. 50 Prozent des Verkaufspreises bekommt er, 50 Prozent gehen an die Galerie Johann König. Viele seiner Kommilitonen von damals sind wie er nach Berlin gegangen, doch nur wenige können von ihrer Kunst leben, berichtet Sailstorfer.

Hilfe aus der Politik gibt es nicht. Die Kunst ist Berlin in den Schoß gefallen, doch viel Potenzial liegt brach. Der Zahlenmann Hergen Wöbken ist seit vier Jahren in Berlin, er sagt: „Niemand fühlt sich dazu bemüßigt, das Ganze positiv zu verändern, Künstler und Institutionen sind vor allem mit dem eigenen Überleben beschäftigt.“ Das Budget stehe im Fokus, nicht die Ziele. Der Mittelstand der Galerien breche weg. Wöbken hält sowohl hier als auch bei den Künstlern eine Strukturförderung für sinnvoll, keine Einzelförderung. Er möchte die Marke „Gegenwartskunst aus Berlin“ stärken. Für die Galerien sei es sinnvoll, eine gemeinsame Plattform mit unterschiedlichen Segmenten zu etablieren und eine neue Form der Kunstmesse zu schaffen. Wöbken hat im Senat vorgesprochen, von der Reaktion war er enttäuscht. Berlin verspiele gerade einzigartiges Potenzial. „Der Hype ist temporär“, warnt Wöbken. „Jetzt geht es darum, die im Augenblick hervorragenden Bedingungen langfristig zu erhalten.“ Sonst ziehe die Kunst weiter – Städte wie Istanbul oder Moskau sind dabei, Berlin Konkurrenz zu machen.

Mitarbeit: Nicola Kuhn

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