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Moderne Technik. Es muss ja nicht immer ein Sprachkurs sein.

© picture-alliance/ dpa

Fremdsprachen: Sprachenlernen im Netz

Das Internet bietet die Chance, sich beim Sprachen lernen auszutauschen und zu helfen – weltweit.

Spaziert man durch den Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg, fliegen einem unentwegt Sprachfetzen aus den unterschiedlichsten Kulturen um die Ohren, ob Rumänisch, Spanisch oder Japanisch. So wie in einem experimentellen Open-Air-Sprachlabor. Sprachen sprechen und lernen erscheint hier so selbstverständlich wie Atmen, Essen und Trinken. Da sitzen etwa zwei Menschen in einem Café und bringen sich ihre jeweilige Muttersprache bei. Und für mobile Nerds mit Sozialhemmung bieten virtuelle Vokabeltrainer ihre Dienste via Phone-App an.

Wir leben in einer globalisierten Welt, fremde Sprachen lernen wird immer wichtiger für den Beruf. Und einfacher. Neben den klassischen Volkshochschulen und Sprachzentren gibt es über das Internet die Möglichkeit, sich mit anderen zu vernetzen und sich gegenseitig zu unterrichten.

Eugenia Vlasova ist Journalistin, ihre Artikel zu IT- und Computerthemen verfasst die 34-jährige Russin auf Englisch. Sie nutzt das internationale Internetportal lang-8.com zum Korrigieren ihrer Texte. „In ein bis zwei Stunden bekomme ich die Texte zurück, mit qualifizierten Kommentaren,“ sagt sie. Für die Schnelligkeit hat sie eine Premiummitgliedschaft gekauft. So werden ihre Einträge bevorzugt bearbeitet. 180 Muttersprachler sind bei lang-8 registriert. Dieses Portal hilft, die Schriftkompetenz zu verbessern und Grammatik zu üben. Man gibt einen Text ein, Muttersprachler korrigieren – die Grenze zwischen Lerner und Lehrer verschwimmt. Die Seite bietet einen direkten Sprachaustausch und eine internationale Gemeinschaft.

Mit ihrer Arbeit geografisch unabhängig zu sein, ist für die Russin ein unschlagbarer Vorteil. Als sie kürzlich mit ihrem Mann, einem Programmierer, von Westsibirien nach Windsor, Ontario, in Kanada, ausgewandert ist, konnte sie ihre berufliche Identität als Journalistin, Marktforscherin für ein Unternehmen mit Sitz in New York und Sprachlehrerin ganz einfach via Notebook mitnehmen. Ihre zwölf Sprachschüler, darunter ein Franzose, ein Pharmazeuten-Ehepaar aus China und ein Student aus dem Mittleren Westen der USA, hatte die 34-jährige auf dem Sprachlernportal italki.com gefunden, einem chinesischen Startup-Unternehmen mit Sitz in Schanghai.

Bei italki.com findet man Leute und Materialien, um das Lernen fremder Sprachen zu unterstützen. Die Mitglieder kommen aus mehr als 200 Ländern und verwenden mehr als 100 Sprachen. Die Mitgliedschaft ist kostenlos. Man kann dort in einem Forum Fragen stellen, Übungen korrigieren lassen und Lernmaterialien online teilen. Oder man sucht sich einen Sprachlehrer, mit dem man Preise und Termine vereinbart.

Die russische Journalistin Vlasova nutzt Skype, um mit ihren italki-Schülern zu kommunizieren. Mit der Videofunktion lässt sich auch die Aussprache gut online trainieren. Außerdem nutzt Vlasova die Internetseite Slideshare, wo sie Präsentationen, Dokumente und Videos hochladen und mit ihren Schülern teilen kann. In ihrem Blog „Proper Russian“ diskutiert sie Phänomene der Sprache, gibt Tipps für Lektüre und Apps. Via Social Software lässt sich auch für Laien ein maßgeschneidertes Sprachlabor erstellen, um alle Sprachkompetenzen zu üben: sprechen, hören, lesen, schreiben. Eugenia Vlasova hat die Tools im Web für ihren Unterricht optimiert. Für das Üben der Aussprache empfiehlt sie Audiboo – ein Portal für Audioblogs. Man kann vorlesen oder frei Texte einsprechen, dann den Link bei lang-8.com eingeben, wo Muttersprachler es sich anhören und Tipps geben können.

Offizielle Qualitätssiegel oder vergleichbares zum „EU-Referenzrahmen“ wie bei Goethe, Cervantes oder Institut Français gibt es bei Portalen wie italki.com nicht. Der Kunde bewertet, Mundpropaganda und Schwarmintelligenz entscheiden. Nach jeder Stunde bekommt der Lehrer ein Feedback, zum Beispiel über sein Wissen, seine didaktischen Fähigkeiten sowie Hilfsbereitschaft und bestenfalls fünf Sterne. Um Beschwerden und Verstöße gegen die „Netikette“ kümmert sich ein Forum-Manager. Das Portal wirbt mit mehr als 100 Sprachen und Mitgliedern aus über 200 Ländern. Die Berliner Romanistin Claudia Wemes hat sich für die Inkasprache Quechua entschieden, um sich für ihre Forschungsreise in Peru im kommenden Dezember vorzubereiten. Außerhalb des Web wäre das schwieriger gewesen.

Eine andere Internetseite ist mylanguageexchange.com: eine Community, in der man einen Tandempartner zum Sprachenlernen finden kann. Zwei Teilnehmer tauschen sich gleichberechtigt aus: „mein Deutsch für dein Koreanisch“. Die Lernfreunde können sich E-Mails schreiben und über das Internet telefonieren. So sind sie sehr flexibel, die einzige Schwierigkeit ist vielleicht eine unterschiedliche Zeitzone. Dafür hat man in dem Tandempartner auch noch eine Art Kontrollinstanz, die einen fordert und mit der man sich verabreden muss – anders als beim Fernlernen oder Computerlernprogramm.

Das Modell gibt es natürlich auch in der analogen Welt. Zettel mit Mobilnummern Tandemsuchender finden sich in Kneipen und an schwarzen Brettern wie in Prenzlauer Berg. Das Internetportal Polyglotclub.org geht einen Schritt weiter und bietet in vielen Städten auch offline Parties, Picknicks und Sprachentage an – wie in Paris, dem Geburtsort dieser Internetseite.

Wer sich nicht sicher ist, ob Sprachkurs oder Social Software, muss sich zum Beispiel überlegen, wie viel Zeit investiert werden kann. Es ist ein bisschen wie beim Reisen. Sprachinstitute bieten mit anspruchsvolleren Pauschalreisen eher Sicherheit, Struktur und ein soziales Miteinander – mit klar definierten Lernzielen und abgesteckten Lektionen, sowie der Option auf ein offizielles Abschlusszertifikat.

Informelles Lernen ist eher wie Reisen mit Rucksack, auf eigene Faust. Route und Ehrgeiz steckt man selbst ab – beides lässt sich spontan an die Situation anpassen. Man lernt eher intuitiv und probiert aus. Kann sein, dass man zufällig mal in der Pampa absteigt.

Birgit Heitfeld

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