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Unter Wasser. Die Angst vor Chlorhähnchen und Hormonfleisch bestimmt die Debatte um das TTIP-Abkommen. Mittlerweile nimmt die Politik die Bedenken der Bürger auf. Doch nicht nur Europäer, auch Amerikaner fürchten sich – ihnen ist etwa französischer Rohmilchkäse suspekt.

© Illustration: Kostas Koufogiorgos/picture-alliance

Freihandelsabkommen im Faktencheck: TTIP: Vertrag mit Tücken

Die Vereinigten Staaten und die Europäische Union wollen einen gemeinsamen Markt schaffen. Viele Verbraucher fürchten sich vor den Folgen. Zu Recht?

Das Ganze ist ein bisschen unappetitlich. Es geht um Chlorhähnchen, um Hormonfleisch und um Genmais – alles Dinge, die niemand in Europa auf dem Teller haben möchte. Diese Schlagworte beherrschen die Debatte um das geplante Freihandelsabkommen, über das die EU und die USA derzeit verhandeln. Kritiker haben es geschafft, die „Transatlantic Trade and Investment Partnership“, kurz TTIP, auch zum Thema der Europawahl zu machen. Sie befürchten den Verlust europäischer Standards und Normenwährend die Wirtschaft auf mehr Wachstum und Arbeitsplätze hofft. Doch was ist dran an den Ängsten und Vorwürfen?

THESE 1: IN DEN SUPERMÄRKTEN LIEGEN BALD CHLORHÄHNCHEN AUS DEN USA - OHNE KENNZEICHNUNG

TTIP soll nicht nur Zölle und Einfuhrquoten aufheben. Europa und Amerika wollen vor allem „nicht-tarifäre Handelshemmnisse“ abschaffen – also Vorschriften und Normen, die den Warenaustausch behindern oder verteuern. Mit Chlor desinfiziertes Geflügel ist dabei eine rote Linie für die EU-Kommission. Nach den Protesten von Bürgern und Verbraucherorganisationen hat sie versichert, diese werde es in europäischen Supermärkten nicht geben.

Doch das Chlorhähnchen macht deutlich, worum es geht: um unterschiedliche Normen. In der EU muss die Hygiene in Schlachtbetrieben so gut sein, dass kein Fleisch desinfiziert werden muss. Die USA sehen das anders. Sollten beide Parteien ihre Standards nun gegenseitig anerkennen, könnten zumindest theoretisch auch Chlorhähnchen in die EU kommen. Im schlimmsten Fall ohne Kennzeichnung, da dies den Wettbewerb verzerren würde – das befürchten zumindest die Naturschützer vom BUND.

Allerdings: Auch die Amerikaner haben Angst – sie wollen von französischem Rohmilchkäse nichts wissen, weil sie eine Belastung mit Keimen fürchten. Das zeigt: Nicht immer sind die EU-Standards höher – bei Elektrogeräten oder Arzneimitteln gelten die USA als penibler bei der Zulassung.

THESE 2: DIE VERHANDLUNGEN SIND GEHEIM UND DESHALB UNDEMOKRATISCH

Die obersten Emissäre sind EU-Handelskommissar Karel de Gucht und der US-Handelsbeauftragte Michael Froman. Sie tagen geheim, daran stoßen sich viele. Fast immer spielen sich Verhandlungen hinter verschlossenen Türen ab. Wirtschaftsexperten kontern, beim Pokern könne man sich schließlich auch nicht in die Karten schauen lassen. Holger Görg, Außenhandelsexperte am Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW), versteht die Kritik. „Die EU-Kommission hat ein weit reichendes Verhandlungsmandat. Theoretisch kann über alles gesprochen werden.“ Daher sei die Verunsicherung groß.

Transparenz gibt es dennoch: Die Kommission muss sich an ihr Mandat halten, und sie informiert vor und nach jeder Runde die Mitgliedsstaaten und das EU-Parlament. Am Ende müssen alle beteiligten Parlamente zustimmen. Überdies hat die Kommission mittlerweile auf die Kritik reagiert. Es gibt eine umfangreiche Internetseite, die Verhandlungen zum Investitionsschutzabkommen wurden unterbrochen, Zwischenschritte können im Internet diskutiert werden. Kommission und auch die Bundesregierung haben Beiräte eingerichtet, die den Prozess mitgestalten sollen.

THESE 3: SCHIEDSGERICHTE HEBELN DEN RECHTSSTAAT AUS

Wenn Firmen ins Ausland gehen, fürchten sie, diskriminiert und enteignet zu werden. Deshalb gibt es weltweit tausende von Investitionsschutzabkommen, allein Deutschland unterhält 131. Sie garantieren, dass Unternehmen Schiedsgerichte einschalten können, wenn sie sich ungerecht behandelt fühlen. Allerdings nutzen Konzerne diese Möglichkeit auch, um gegen unliebsame Gesetze zu klagen. So verlangt Vattenfall von der Bundesrepublik wegen des Atomausstiegs Schadenersatz in Milliardenhöhe. Und in Ägypten hat der französische Wasserkonzern Veolia gegen die Erhöhung eines bestehenden Mindestlohns geklagt, weil er sich durch dessen Einführung überrumpelt fühlte.

Vor derlei Streitigkeiten fürchtet sich auch die Gewerkschaft Verdi. Ein „Parallelsystem zur Durchsetzung von Investoreninteressen“ sieht Handelsexperte Uwe Wötzel kommen. „Das entspricht nicht unserer Vorstellung von unabhängiger Justiz.“ Der Industrieverband BDI verteidigt Schiedsgerichte indes als wichtiges Instrument. Sie sollen das Vertrauen ausländischer Konzerne stärken. Allerdings ist es fraglich, warum Schiedsgerichte zwischen zwei so entwickelten Wirtschaftsräumen wie den USA und Europa überhaupt nötig sind. Auch schränken sie indirekt die Hoheit der Nationalstaaten ein. „Die Regierung überlegt sich dann, ob sie die Regeln verändern will“, sagt Gabriel Felbermayer, Außenwirtschaftsexperte am Münchner Ifo-Institut. Schließlich könnten hohe Entschädigungsforderungen drohen. Gleichwohl können die Gerichte den Gesetzgeber nicht zwingen, ein Gesetz zurückzunehmen. Ob die USA bei diesem Thema Europas Bedenken Rechnung tragen werden, ist noch völlig offen.

THESE 4: KLEINE FIRMEN UND STAATEN WERDEN DIE VERLIERER SEIN

Nutzt es nicht nur den großen Weltkonzernen, wenn sie ihre Produkte auf einem Markt mit mehr als 800 Millionen Verbrauchern absetzen können? Nicht zwingend – in erster Linie kommt es auf die Wettbewerbsfähigkeit an. Gerade Mittelständlern nutzt der erleichterte Zugang zum US-Markt, da die Kosten für Zölle und Zulassungen sinken. Konzerne wie Siemens haben dieses Geld längst ausgegeben. Gerade in Deutschland sind viele Unternehmen im weltweiten Wettbewerb gut aufgestellt. In Portugal, Spanien oder Griechenland ist das womöglich anders.

Und was ist mit kleinen, ärmeren Staaten? Ein Handelsabkommen lenkt immer Warenströme um, schließlich geht es nicht um die weltweite Abschaffung von Zöllen. Intensivieren USA und EU ihre Beziehungen, geht das auf Kosten kleiner Länder. Auch werden durch das Abkommen Standards gesetzt, an die sich andere Länder anpassen müssen. Experten erhoffen sich durch TTIP aber auch einen Schub für die seit Jahren stockenden Verhandlungen für ein Welthandelsabkommen im Rahmen der WTO.

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