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Wirtschaft: Freiberufler wehren sich gegen Eichels Pläne

„Einbeziehung in Gewerbesteuer wäre eine Steuererhöhung“ / Die Städte glauben nicht, dass die Reform hilft

Berlin (asi/ce/chh). Die Pläne der Bundesregierung zur Reform der Gemeindefinanzen sind in allen Parteien, bei den Kommunen und bei den Vertretern von Unternehmen und Freiberufler auf breite Skepsis und Ablehnung getroffen. Experten bezeichneten die Pläne als „faktische Abschaffung der Gewerbesteuer“. Von dem ursprünglichen Ziel, die Einnahmebasis der Kommunen zu verstetigen, sei nun „nur noch das Schröpfen von Selbstständigen“ und eine faktische Steuererhöhung übrig geblieben, hieß es sowohl in den Verbänden der Industrie als auch in den Fraktionen vo n Opposition und Koalition im Bundestag. Die Wirtschaft werde dadurch mit 1,3 Milliarden Euro mehr belastet.

Die von Finanzminister Hans Eichel und Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) am Dienstag bekräftigte Idee, Freiberufler in die Gewerbesteuer einzubeziehen, stößt beim Bundesverband der Freien Berufe (BFB) auf heftigen Protest. Nach Ansicht des Bundesverbands werden 70 bis 80 Prozent der Freiberufler draufzahlen müssen, auch wenn die Bundesregierung beteuert, die Gewerbesteuer könne mit der Einkommensteuer verrechnet werden. Diese Rechnung gehe vor allem in Großstädten nicht auf, argumentieren die Freiberufler: „Der Landarzt hat nicht viel zu befürchten“, meint Verbandssprecher Stephan Caspary. Aber für die rund 80 Prozent der Freiberufler, die in Großstädten und mittleren Städten tätig seien, werde es bitter. Frankfurt (Main) als „das Eldorado“ der Anwälte, Steuer und Unternehmensberater werde den Freiberuflern eine Menge zumuten. Denn dort seien die kommunalen Hebesätze der Gemeinden deutlich höher als in ländlichen Regionen. Der Hebesatz ist das Recht der Gemeinde, einen individuellen Zuschlag zur Gewerbesteuer zu verlangen.

Die steuerliche Neuregelung für Freiberufler ist nur dann neutral, wenn der Hebesatz in ihrer Stadt nicht über 380 Punkten liegt. In Großstädten ist dies jedoch in aller Regel der Fall. Zum Beispiel Freiburg. Dessen 1. Bürgermeister und Stadtkämmerer Otto Neideck rechnet damit, dass ab Januar 2004 rund 5000 bis 6000 neue Gewerbesteuerzahler hinzukommen werden. „Wer gut verdient, wird draufzahlen“, sagte Neideck dem Tagesspiegel. Freiburg selbst werde die am Montagabend von der Bundesregierung ausgehandelte Entlastungsvariante allerdings unter dem Strich nicht aus dem Schuldenstrudel helfen. Rund 30 Millionen Euro Defizit erwartet Neideck 2004 bei einem Gesamtbudget von 500 Millionen Euro. Die Pläne der Regierung, sagt er, würden diesen Schuldenberg um maximal sieben Millionen Euro entlasten. Das von den Kommunen favorisierte Modell hätte Freiburg dagegen 20 Millionen Euro an Mehreinnahmen gebracht.

Die Neuregelungen im Einzelnen

Nach den Vorstellungen der Bundesregierung sollen von 2004 an nicht nur Gewerbebetriebe, sondern auch 700000 Freiberufler und Selbstständige in Deutschland Gewerbesteuer zahlen. Dadurch sollen die Einnahmen der Kommunen um 2,5 Milliarden Euro jährlich steigen. Auf eine Besteuerung von Mieten, Pachten und Zinsen wird verzichtet - dasselbe gilt für die bereits bestehenden Hinzurechnungsfaktoren.

Außerdem soll die Neuregelung zur Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe die kommunalen Haushalte 2004 um rund 500 Millionen Euro und ab 2005 um eine Milliarde Euro jährlich entlasten. Dann übernimmt die Bundesanstalt für Arbeit die Sozialhilfeempfänger, die erwerbsfähig sind. Dazu kommen 1,5 Milliarden Euro, die die Kommunen für die bessere Versorgung mit Kinderbetreuung einsetzen sollen.

Außerdem ist eine Umverteilung bei der Umsatzsteuer zu Gunsten der Gemeinden geplant. Es wird damit gerechnet, dass Bundesfinanzminister Eichel den Umsatzsteueranteil der Gemeinden von derzeit 2,2 Prozent auf drei Prozent anhebt.

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) sieht in den Plänen die Gefahr neuer Belastungen für Wirtschaft und Wachstum. Der Leiter der BDI-Abteilung Steuer und Haushaltspolitik, Hans-Jürgen Müller-Seils, sagte, nur der Verzicht auf die ursprünglich geplante Einbeziehung von Mieten, Pachten, Zinsen und Leasingraten in die Gewerbesteuer sei positiv zu bewerten.

Vertreter der Städte kritisierten die Pläne ebenfalls: „Das ist keine Strukturreform, das ist ein Notnagel“, sagt Oliver Wittke, CDU-Bürgermeister von Gelsenkirchen dem Tagesspiegel. In spätestens eineinhalb Jahren sei man wieder da, wo man heute schon ist. „Die großen Firmen werden auch künftig keine Steuern zahlen.“

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