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Offshore-Windparks sollen ausgebaut werden. Ihnen machen Schifffahrt, Fischerei, Bundeswehr, Rohstoffförderung und der Naturschutz den Platz streitig.

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Fischerei, Naturschutz oder Offshore-Windkraft?: Wer um den Platz in Nord- und Ostsee streitet

In Nord- und Ostsee sollen neue Windparks entstehen – dabei kommt es jedoch zum Wettstreit mit anderen Nutzern der Gewässer. Welche Interessen gehen vor?

Die Windkraft in der Nord- und Ostsee könnte vor einer großen Zukunft stehen. Die EU-Kommission hat erneuerbare Offshore-Energie gerade erst zum langfristigen Rückgrat der europäischen Stromversorgung erklärt. Die Brüsseler Behörde rechnet mit einem Anstieg der installierten Leistung bis 2050 von derzeit gut 20 auf 300 Gigawatt (GW). Bundesregierung und Bundestag haben das deutsche Ausbauziel mit der Novelle des Windenergie-auf-See-Gesetzes (WindSeeG) auf 40 Gigawatt im Jahr 2040 hochgeschraubt. Der Bundesrat billigte das Gesetz am Freitag.

Doch Ziele formulieren ist das eine, ihre Umsetzung etwas ganz anderes. So steht das 40-GW-Ziel unter dem Vorbehalt, dass die nächste Bundesregierung erst noch den regulatorischen Rahmen dafür schaffen muss. Mindestens genauso schwer wiegt die Frage, ob für die vielen neuen Windparks auf hoher See genügend Platz ist. Den machen die Schifffahrt, Fischerei, Bundeswehr, Rohstoffförderung und der Naturschutz streitig. Die Meeresflächen für verschiedene Nutzungszwecke müssen im Raumordnungsplan für die Nord- und Ostsee zusammengefügt und ausgewiesen werden, den das Bundesamts für Seeschifffahrt (BSH) im Auftrag des Bundesinnenministeriums (BMI) zum ersten Mal seit 2009 überarbeitet.

Ende September veröffentlichte das BSH einen ersten Planentwurf, der seitdem hohe Wellen schlägt. Mit dem Entwurf setzt die Behörde die aktuellen Vorgaben des Bundesgesetzgebers eins zu eins um. Die 40 Gigawatt Offshore-Wind werden mit Müh und Not in die Flächenkulisse hineingequetscht, ohne Abstriche bei den meisten traditionellen Nutzungen zu machen. Einschnitte gibt es lediglich beim Naturschutz, indem Gebiete wie die Doggerbank in der Nordsee, die nach Ansicht der Umweltverbände nutzungsfrei bleiben sollten, für die Windkraft geöffnet werden. „Wir fallen hinten runter“, klagte Kim Detloff, Leiter Meeressschutz beim Naturschutzbund Nabu, im Gespräch mit Tagesspiegel Background. Dauerkonflikte zwischen Natur- und Klimaschutz sind damit vorprogrammiert, ähnlich wie bei der Windkraft an Land.

Naturschützer kritisieren das Vorgehen

Der Nabu hatte gefordert, den Spieß umzudrehen und zunächst Flächen für den Windkraftausbau zu suchen – bevor neue Ausbauziele beschlossen werden. Dass die Politik nun anders entschied, bringt die Naturschützer gegen sie auf. In einem offenen Brief an Innenminister Horst Seehofer (CSU) sowie Kabinettskollegen Peter Altmaier (CDU) und Svenja Schulze (SPD) kritisiert der Nabu, dass schon das Zwischenziel von 20 Gigawatt bis 2030 nur rechtssicher und naturverträglich realisiert werden könne, wenn zuvor der kumulative Druck auf Arten und Lebensräume durch andere Nutzungsinteressen deutlich reduziert werde. Der langfristige Windkraftausbau müsse sich an den Belastungsgrenzen der Meere orientieren, die es umgehend zu ermitteln gelte.

Demnächst soll noch sehr viel mehr Windenergie von Ost- und Nordsee kommen.
Demnächst soll noch sehr viel mehr Windenergie von Ost- und Nordsee kommen.

© dpa

Der Planentwurf des BSH werde dem schlechten Zustand der Nord- und Ostsee ebenso wenig gerecht wie den EU-Vorgaben zum Meeresschutz, heißt es in der gemeinsamen Stellungnahme der Umweltverbände Nabu, DUH, Greenpeace und WWF. Eine neue Meeresraumordnung im Sinne des „Green Deal“ der EU-Kommission setze einen echten Vorrang des Meeresschutzes voraus. Naturschutzgebiete dürften nicht von wirtschaftlichen Nutzungen überlagert werden, während gleichzeitig die Vorranggebiete für Schifffahrt, Windenergie und Co. jeweils eine Ausschlusswirkung für andere Nutzungen entfalten. Windräder sollen zehn Kilometer Mindestabstand um die Schutzgebiete einhalten.

Ganz anderer Ansicht ist das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi). Der Entwurf müsse die Bedeutung der Windenergie auf See deutlich mehr hervorheben, die an vorderster Stelle stehen und oberste Priorität genießen sollte, schreibt das Ministerium in seiner Stellungnahme. Angesichts des Green Deals seien deutlich mehr als 40 Gigawatt „zwingend erforderlich“, was sich im Entwurf wiederspiegeln müsse. BMI und BSH sollten dazu Vorschläge machen. Laut einer Studie des Fraunhofer-Instituts IWES für die halbstaatliche Stiftung Offshore-Windenergie bieten die deutsche Nord- und Ostsee ein Potenzial von 57 Gigawatt. Der Nabu hält allenfalls 25 Gigawatt für möglich, der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) gar nur 15.

Nutzungskonflikte entstehen auch durch die Öl- und Gasförderung

Das BMWi setzt wegen sich verschärfender Flächenknappheit auf das Prinzip der Ko-Nutzung. Im Rahmen vertiefter Umweltprüfungen sollten Teile des Naturschutzgebietes Doggerbank auf seine Vereinbarkeit mit der Windenergie untersucht werden, weil „Naturschutz auch mit Klimaschutz einhergeht“. Auch die Bundeswehr nimmt das für die Energieversorgung zuständige Ministerium in seiner Stellungnahme in die Pflicht: „Der explizite Ausschluss von Windenergie auf See in militärischen Übungsgebieten muss insofern dringend vermieden werden und kann nicht akzeptiert werden.“ Ohne solche Ko-Nutzungen seien die 40 Gigawatt nicht zu erreichen.

Nutzungskonflikte entstehen auch dadurch, dass der Raumordnungsplan trotz Klimaschutz und Energiewende weiterhin Gebiete für die Öl- und Gasförderung ausweist. Die wenigen Bohrunternehmen, die dort noch aktiv sind, lassen sich nicht ohne weiteres verdrängen. Die Politik könnte aber kreativ sein und die Firmen „rauskaufen“, schlägt Detloff vom Nabu vor. Die erforderlichen Entschädigungszahlungen seien eher ein „Taschengeld“ im Vergleich zu den Milliarden, die der Bund im Zuge des Kohleausstiegs an die Energiekonzerne zahlt.

Auch Ölbohrinseln beanspruchen Platz im Meer.
Auch Ölbohrinseln beanspruchen Platz im Meer.

© picture alliance / dpa

In der Diskussion ist auch, die wichtige große Schifffahrtsroute 10, die die deutsche Ausschließliche Wirtschaftszone in der Nordsee zerschneidet, zum Teil anderweitig zu nutzen. Ermöglicht werden soll das durch eine stärkere Lenkung des Schiffsverkehrs auf EU-Ebene. Ein Teilgebiet der Wasserstraße soll bis 2035 der Fischerei vorbehalten werden und danach auch für die Windenergie offenstehen. Diese Absicht hatten zumindest die Regierungen von Deutschland, Niederlande und Dänemark erklärt, was die Windbranche freilich begrüßte.

Vor allem Schifffahrt und Fischerei belasten

Wenn es nach den Umweltverbänden geht, müsste die Hälfte der Fläche von Nord- und Ostsee gänzlich frei von wirtschaftlicher Nutzung sein. Wobei sie die Hauptbelastungen für die Meeresumwelt in Fischerei und Schifffahrt sehen. Die EU-Kommission hat in ihrer Offshore-Strategie vorgeschlagen, den Flächenanteil der Naturschutzgebiete nach Maßgabe der EU-Biodiversitätsstrategie von elf auf 30 Prozent zu steigern. Davon soll ein Drittel streng geschützt werden, sprich frei sein von menschlichen Einflüssen. Bislang treffe das nur auf ein Prozent der Flächen zu. Nur drei Prozent der europäischen Meeresflächen braucht es laut EU-Kommission, um die 300 Gigawatt Offshore-Windkraft zu realisieren.

Das Innenministerium, das für die nationale Umsetzung zuständig wäre, sieht solche „Nullnutzungszonen“ allerdings skeptisch. Ein verbindlicher Ausschluss im Rahmen der Raumordnung sei vor dem Hintergrund des internationalen und nationalen Rechts nur in begrenztem Umfang möglich, schrieb das BMI in einer parlamentarischen Antwort an die Grünen im Bundestag.

Bei einer Onlinekonferenz hat das BSH seinen Planentwurf in den vergangenen Tagen der Öffentlichkeit näher erläutert. Eine erneute Konsultation zu möglichen Änderungen der Entwurfsdokumente ist laut BMI voraussichtlich für Anfang nächsten Jahres geplant. Ende März müssen die EU-Staaten dann ihre Raumordnungspläne der EU-Kommission vorlegen. Im dritten Quartal 2021 will das Innenministerium den deutschen Raumordnungsplan als Rechtsverordnung erlassen. Eine parlamentarische Befassung der Entwürfe sei nicht vorgesehen.

Steven Hanke

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