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Auflösungserscheinungen. Die Zahl der Bankfilialen soll sich bis 2020 um zehn Prozent reduzieren.

© picture alliance / dpa

Filial-Sterben: Banken verabschieden sich aus der Nachbarschaft

Weil die Kunden ins Netz abwandern, schließen die Banken immer mehr Zweigstellen. In so manchem Berliner Kiez gibt es bald keine einzige Filiale mehr.

Von Carla Neuhaus

„Die machen einfach zu“, sagt Kurt Witzel und schüttelt den Kopf. Die Arme auf seinen Fahrradlenker gestützt, steht der Rentner vor der Sparkassen-Filiale in Berlin-Haselhorst. Dort hängt zwar unter dem roten „S“ an der Fassade noch die Werbung: „Die wohnen bei mir um die Ecke. Keine Bank ist näher – seit Generationen.“ Doch die Lamellen im Fenster sind zugezogen, seit drei Wochen ist die Filiale geschlossen. Ein Plakat weist darauf hin: „Wir sind umgezogen“. Auch bei der Berliner Bank, ein paar Meter die Straße runter, hängt ein Poster im Fenster: „Ihre Filiale zieht um. Erleben Sie Ihre Berliner Bank neu.“ „Das ist doch zynisch“, meint Witzel. „Was gibt es da neu zu erleben?“. Denn wenn am 12. August auch die Berliner Bank ihre Filiale in Haselhorst schließt, gibt es im Ortsteil keine einziges Geldhaus mehr.

Die nächsten Zweigstellen – ob Sparkasse, Volksbank, Commerzbank oder Deutsche Bank – befinden sich dann in Siemensstadt oder Spandau-Altstadt, sind nur mit U-Bahn oder Bus erreichbar. „Gerade hier, wo viele Ältere leben, ist das ein Problem“, sagt Witzel, der selbst 78 ist. 500 Unterschriften haben die Anwohner deshalb gesammelt. Witzel hat einen Brief an den Spandauer Bürgermeister geschrieben. Geholfen hat es nicht. In Haselhorst rechnet sich das Bankgeschäft offenbar einfach nicht mehr.

Berliner Sparkasse streicht dieses Jahr elf Filialen

Wurden bislang vor allem auf dem Land Bankfilialen geschlossen, fallen jetzt auch in den Städten vermehrt Zweigstellen weg. Die Berliner Bank, die seit 2010 als Niederlassung der Deutschen Bank geführt wird, hat im letzten halben Jahr bereits neun Filialen in der Hauptstadt geschlossen, acht weitere Standorte sollen noch bis 2014 dicht machen. Auch die Berliner Volksbank schließt Filialen und reduziert an anderen Standorten die Öffnungszeiten.

Die Berliner Sparkasse hat seit Januar fünf Privatkundencenter zugemacht, sechs weitere fallen bis Jahresende weg. Das Institut hat nach eigenen Angaben über einen längeren Zeitraum gemessen, wie viele Kunden die einzelnen Filialen noch besuchen und sich das nähere Umfeld angeschaut: Wie viele Menschen leben dort, wie weit ist die nächste Zweigstelle entfernt? „An einigen Standorten ist die Kundenfrequenz so stark zurückgegangen, dass es betriebswirtschaftlich nicht mehr gerechtfertigt ist, dort ein Privatkundencenter mit mindestens drei Mitarbeitern aufrechtzuerhalten“, sagt Sprecherin Constanze Stempel.

Das Geschäftsmodell ist überholt

Die Experten nennen Deutschland „overbanked“ – das heißt, gemessen an der Zahl der Kunden, gibt es zu viele Banken und zu viele Filialen. Die Beratungsfirma Investors Marketing prognostiziert deshalb, dass die Zahl der Zweigstellen bundesweit bis 2020 um zehn Prozent auf 32 500 zurückgehen wird.

Das Problem der Banken: Ihr Geschäftsmodell, das vor allem auf die Präsenz vor Ort setzt, ist überholt. Die meisten Kunden machen ihre Überweisungen online, informieren sich über die Konditionen im Netz und zahlen Bargeld statt am Schalter am Automaten ein. Bei der Berliner Sparkasse wickeln mittlerweile rund die Hälfte der eine Million Kunden ihre Bankgeschäfte im Netz ab. Nur wenn sie zum Beispiel einen Kredit brauchen, kommen sie noch in die Filiale.

Dieses Phänomen ist zwar nicht neu. Doch die Banken haben diesen Trend über Jahre ignoriert, sagt Christoph Kaserer, Bankenprofessor an der TU München. „Lange konnten die Institute ihre Probleme im Privatkundenbereich mit Gewinnen im Investmentbanking und Firmengeschäft kaschieren.“

Umstrukturierung kostet viel Geld

Das funktioniert aber immer weniger. Die deutschen Banken rechnen damit, dass ihre Erträge im Privatkundengeschäft künftig nur noch um ein Prozent jährlich steigen werden. Noch vor zwei Jahren lag das Ertragswachstum bei sechs Prozent. Eine Umfrage von Investors Marketing unter 100 Führungskräften zeigt: „Nur jedes dritte Institut sieht sich für die Herausforderungen im Privatkundengeschäft optimal aufgestellt.“

Fast alle Institute versuchen jetzt krampfhaft, sich auf das geänderte Kundenverhalten – weniger Laufkundschaft, mehr Onlinegeschäft – einzustellen. Doch das bringt hohe Kosten mit sich. Um ihr Online- und Mobiles Banking auszubauen, müssen die Banken Geld in neue Hard- und Software, in Sicherheitssysteme und Server stecken. „Der Bankensektor ist eine der letzten Branchen, die ihr Geschäftsmodell noch nicht an diese neue Wirklichkeit angepasst haben“, sagt Kaserer.

Während aber auf der einen Seite die Kosten steigen, sinken auf der anderen Seite die Gewinne. Vor allem die langanhaltend niedrigen Zinsen machen den Instituten zu schaffen. Denn ihr Geschäftsmodell fußt darauf, Geld von Sparern einzusammeln und am Kapitalmarkt anzulegen. „Derzeit laufen aber viele der hochverzinsten Anlagen aus“, sagt Oliver Mihm von Investors Marketing. Neu investieren können die Institute das Geld nur zu schlechteren Konditionen, was ihre Gewinne schmälert.

Berliner Bank setzt auf wenige große Filialen

Wenn aber die Einnahmen der Institute sinken und die Kosten steigen, müssen sie sparen. Deshalb schließen jetzt auch Sparkassen und Volksbanken nach den privaten Geschäftsbanken verstärkt Filialen – und das, obwohl die Präsenz in der Fläche ein wichtiger Teil ihrer Geschäftsphilosophie ist. Statt vieler kleiner Filialen setzen sie in Zukunft auf wenige, aber dafür größere Geschäftsstellen.

In diese Richtung scheint auch die Berliner Bank zu steuern. Sie wolle „ihr Beratungs- und Serviceangebot an den betreffenden Standorten sehr wirksam unter einem Dach“ bündeln, heißt es. Die Filialen, die erhalten bleiben, sollen modernisiert werden. Außerdem entsteht in Berlin-Mitte ein neuer Standort. Das Institut investiert dabei nach eigenen Angaben „mehrere Millionen Euro“.

Damit geht die Berliner Bank einen Weg, den die Berliner Sparkasse bereits hinter sich hat. In den letzten drei Jahren hat die Sparkasse die intensive Beratung an wenigen größeren Standorten konzentriert. Es gibt zum Beispiel Filialen, die sich nur um die Immobilienfinanzierung kümmern, und andere, die nur vermögende Kunden betreuen.

In Haselhorst hoffen die Anwohner jetzt, dass wenigstens die Bankautomaten erhalten bleiben. „Das ist das Mindeste“, sagt Rentner Witzel. Noch stehen die Automaten in der alten Sparkassen-Filiale zur Verfügung. Nach derzeitigem Stand bleibt aber künftig nur ein einziger Sparkassen-Automat in Haselhorst bestehen – und zwar einer von der einfachen Sorte, an dem man nur Geld abheben kann. Über einen Standort werde derzeit verhandelt, heißt es. Die Berliner Bank will dagegen Automaten aufstellen, an denen Kunden auch Daueraufträge einrichten oder Überweisungen tätigen können. Den älteren Kunden will das Institut jetzt zeigen, wie sie die neuen Geräte bedienen.

Wie sich die Filialen der Berliner Volksbank entwickeln, lesen Sie am Montag im Interview mit Bankerin Tanja Müller-Ziegler

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