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Parteichef Christian Lindner beim FDP-Bundesparteitag in Berlin.

© Florian Gaertner / photothek

FDP-Chef gegen Siemens-Boss Kaeser: China-Wochen bei Christian Lindner

FDP-Chef Lindner wünscht sich einen anderen Umgang mit dem Regime in Peking. Was steckt hinter seiner neuen „China-Strategie“?

In den Vorstandsetagen der großen Konzerne dürften sich einige verwundert die Augen reiben – oder zumindest ihren Ohren nicht trauen angesichts der neuen Töne, die an diesem Mittwoch aus der FDP zu hören sind. Es ist Haushaltswoche im Bundestag, gerade läuft die Generaldebatte zum Etats des Kanzleramts, traditionell die Stunde der Opposition. FDP-Chef Christian Lindner steht im dunkelblauen Anzug hinterm Rednerpult – und plötzlich holt er wie aus dem Nichts zu einem Angriff auf einen Spitzenvertreter des deutschen Unternehmertums aus: den Siemens-Vorstandsvorsitzenden Joe Kaeser.

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Er sei schon sehr verwundert, ruft Lindner den Parlamentariern zu, dass Kaeser „mit Blick auf die chinesische Regierung vor zu scharfer Kritik gewarnt hat“. Der Siemens-Boss hatte sich kürzlich gegen zu viel „allgemeine Empörung“ im Umgang mit dem Regime in Peking ausgesprochen. Die Volksrepublik ist für Siemens ein wichtiger Absatzmarkt. „Gute Geschäfte in allen Ehren“, sagt Lindner nun dazu. „Für uns muss aber klar sein: Wirtschaftliche Freiheit und gesellschaftliche Freiheit dürfen nie voneinander getrennt werden.“

„Spirit der Apo-Zeit“

Es ist ungewöhnlich, dass der FDP-Chef so offen gegen einen Spitzenmanager wie Kaeser keilt. Gelten die Liberalen doch als engste Verbündete der deutschen Wirtschaft, als eine Partei, die stets die Interessen der Unternehmer im Blick hat. Zugleich wirft Lindner der politischen Konkurrenz, etwa den Grünen, gerne eine übertriebene Moralisierung der politischen Debatte vor. Und jetzt liest er selbst dem Weltkonzern Siemens die Leviten. Was ist da los in der FDP?

In der Bundestagsfraktion spielt man Lindners öffentlichen Angriff auf Kaeser runter. Die deutlichen Worte des Partei- und Fraktionschefs zeugten einfach von einer klaren Haltung, heißt es. Lindner bewege sich voll auf FDP-Linie und habe sich nur den „Spirit der Apo-Zeit“ bewahrt, den vier Jahren in der außerparlamentarischen Opposition. Daher rühre dieser „Mut-Moment“ hinterm Rednerpult im Bundestag. „German Mut statt German Angst“, ist ein Motto der Liberalen.

Offenbar steckt aber mehr hinter Lindners Klartext-Ansprache – inhaltlich wie strategisch. Der FDP-Vorsitzende steht unter Druck, neue Ideen zu liefern. Drei Wahlen in Folge – Europa, Brandenburg, Sachsen – sind für die Liberalen danebengegangen, ihre Themen haben in den Wahlkämpfen nicht gezündet. Die FDP hat es mit ihrem Programm nicht geschafft, die Groko-Parteien vor sich herzutreiben. Noch weniger konnte Lindner dem Höhenflug der Grünen etwas entgegensetzen.

Ein Ausweg könnte für die Liberalen jetzt die aktuelle Debatte über den richtigen Umgang mit China sein. Denn hier lassen sich zwei urliberale Themen miteinander vereinen: die Verteidigung der Menschenrechte und eine freiheitliche Wirtschaftspolitik. Deswegen veranstalten die Liberalen in diesen Tagen eine Art „China-Woche“ – mit Lindners Bundestagsrede am Mittwoch als vorläufigen Höhepunkt.

JuLis: Menschenrechte wichtiger als Wirtschaftsinteressen

Für den Partei- und Fraktionschef ist die Volksrepublik schon länger Thema. Im April eröffnete er den FDP-Bundesparteitag auf Chinesisch. Er warnte damals vor der Weltmacht aus Asien. Seine Botschaft: „Machen wir Wirtschaftspolitik, bevor es andere tun!“ Im Juli reiste Lindner dann in das Land, traf sich mit Oppositionellen, was ihm den Zorn des Regimes in Peking einbrachte.

Vor allem die derzeitigen Proteste in Hongkong scheinen die Freidemokraten nun zu beflügeln. Bei ihrer Klausur in Jena vergangene Woche verabschiedete die Bundestagsfraktion eine „China-Strategie“ und rief „zur Verteidigung westlicher Werte im Systemwettbewerb mit China“ auf. In dem 16-seitigen Papier heißt es, die Hongkong-Krise zeige, wie die Volksrepublik „die westlichen Staaten wirtschaftlich, gesellschaftlich und geopolitisch“ herausfordere.

Am Dienstag traf Lindner den Hongkong-Aktivisten Joshua Wong. Das gleiche sollte auch die Kanzlerin dringend tun, fordert der Liberalen-Chef nun. Für ihn ist es eine Möglichkeit, Merkel ein Stück vor sich herzutreiben, ihr Schweigen in Sachen Hongkong offen anzuprangern.

Joshua Wong, Aktivist und Generalsekretär der regierungskritischen Partei Demosisto aus Hongkong, in Berlin.
Joshua Wong, Aktivist und Generalsekretär der regierungskritischen Partei Demosisto aus Hongkong, in Berlin.

© dpa/Wolfgang Kumm

Gyde Jensen, menschenrechtspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, warnt davor, dass China „weltweit immer mehr Machtpolitik betreibt“. Deutschland müsse mit Peking weiter im Dialog bleiben, „aber in gewissen Rahmenbedingungen und Grenzen, die wir klar setzen“.

Ria Schröder, die Bundesvorsitzende der „Jungen Liberalen“ (JuLis), wünscht sich mehr „Solidarität mit den Demonstrantinnen und Demonstranten in Hongkong“. Bei einem Protest von rund 20 JuLis vor der chinesischen Botschaft in Berlin fordert sie am Mittwoch fast zeitgleich zu Lindners Ansprache im Bundestag, „dass sich auch die Bundesregierung mit den Ereignissen in Hongkong beschäftigt.“ In den Beziehungen zu China dürften wirtschaftliche Interessen nicht über den Menschenrechten stehen, betont auch Schröder.

Bei Unternehmern wie Siemens-Boss Kaeser dürften solche Botschaften nicht unbedingt gut ankommen. Auch ist fraglich, ob die altgedienten Realpolitiker in der FDP so viel Moralappelle an die deutsche Wirtschaft gutheißen. Denn dafür sieht man sich bei den Freidemokraten traditionell nicht gerade berufen. Wolfgang Kubicki etwa sprach sich schon vor zwei Jahren für eine Lockerung der EU-Sanktionen gegen Russland aus.

Lindner hatte damals alle Hände voll zu damit tun, die Sache einzufangen. Erst eine Kampfabstimmung auf einem Parteitag im Frühjahr 2018 konnte den Streit zwischen Lindner und Kubicki über den richtige Kurs in der Wirtschaftspolitik beenden – mit einem vorläufigen Punktsieg für Lindner.

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