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Kein Geld: Am Ende droht die Insolvenz.

© imago/photothek/Ute Grabowsky

Experten warnen: Doppelt so viele Privatinsolvenzen bis zum Jahresende

Erstmals nach zehn Jahren steigen die Zahlen wieder. Das hat mehrere Gründe. Corona spielt eine Rolle, eine verbraucherfreundliche Reform auch.

Erstmals seit zehn Jahren steigt die Zahl der Privatinsolvenzen wieder an. „Derzeit gehen unsere Prognosen von bis zu 120.000 Privatinsolvenzen im Jahr 2021 aus“, sagte der Geschäftsführer der Wirtschaftsauskunftei Crifbürgel, Frank Schlein, am Donnerstag. „Damit würden sich die Zahlen im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppeln.“ Nach Berechnungen der Auskunftei haben bereits im ersten Halbjahr 2021 57.992 Menschen Insolvenz angemeldet, das waren mehr als im gesamten Vorjahr. 2020 hatte Crifbürgel insgesamt 56.324 Fälle gezählt.

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Der rasante Anstieg hat im wesentlichen zwei Gründe. Viele Betroffene haben eine Gesetzesreform abgewartet, die ihnen Vorteile bringt. Statt nach sechs Jahren werden sie – unter bestimmten Voraussetzungen – ihre Schulden nun bereits nach drei Jahren los. Die Verkürzung gilt rückwirkend auch für Insolvenzverfahren, die ab dem 1. Oktober vergangenen Jahres angemeldet worden sind.

Finanzielle Reserven sind aufgebraucht

Hinzu kommt, dass sich jetzt auch die Folgen der Coronakrise bemerkbar machen. Viele Menschen, die in der Corona-Pandemie Einkommenseinbrüche zum Beispiel durch Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit erlitten haben, hätten versucht, durchzuhalten und eigenständig mit ihrer finanziellen Lage zurechtzukommen. Die finanziellen Reserven vieler Betroffener seien jetzt aber aufgebraucht, heißt es im Bericht von Crifbürgel. Auch der Anteil von ehemals Selbstständigen, die Privatinsolvenz anmelden, steigt. Seit Mai „sehen wir einen Anstieg auch der unmittelbar von der Corona-Pandemie verursachten Insolvenzen“, berichtet Schlein. „Diese Insolvenzwelle wird dann verstärkt ab dem zweiten Halbjahr 2021 einsetzen und bis in das Jahr 2022 hineinreichen“, prognostiziert er.

In Berlin steigt die Zahl um 60 Prozent

Steigende Zahlen sieht die Auskunftei in ganz Deutschland, besonders deutlich ist die Zunahme in Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg mit jeweils 74,2 Prozent. In Berlin nahm die Zahl der Privatinsolvenzen im ersten Halbjahr um 60 Prozent zu. Insgesamt gelten in Deutschland 6,8 Millionen Menschen als überschuldet. Trauriger Spitzenreiter ist Bremen mit 135 Privatinsolvenzen je 100.000 Einwohnern, Berlin liegt mit 73 Fällen pro 100.000 Einwohnern im Mittelfeld.

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Verbraucherschützer hatten mit dem Anstieg der Privatinsolvenzen wegen der Insolvenzrechtsreform gerechnet. Die gesetzlichen Verbesserungen reichen nach Meinung von Christoph Zerhusen von der Verbraucherzentrale NRW jedoch nicht aus. Das Bemühen, wieder aktiv am Leben teilzunehmen, werde dadurch konterkariert, dass nach Ende des Verfahrens die Daten der Betroffenen weitere drei Jahre bei Auskunfteien wie der Schufa gespeichert bleiben. „Betroffene haben deswegen häufig Probleme, eine neue Wohnung zu finden, Kredite zu bekommen oder über den Versandhandel zu bestellen“, meint Zerhusen. mit dpa

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