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Julia Reda war von 2009 bis 2019 in der Piratenpartei. Von 2014 bis 2019 saß sie im Europäischen Parlament.

© picture alliance / dpa

Ex-Piratin Julia Reda: "Die Gesetzgebung muss auch für Influencer funktionieren"

Im Interview spricht die ehemalige Europaabgeordnete über ihre Pläne, strategische Grundrechtsklagen zu führen und welche Rolle Youtuber dabei spielen sollen.

Frau Reda, nach Ihrem Ausstieg aus der Politik vor einem Jahr wollten Sie eigentlich in den USA promovieren. Warum kam es anders?
Ich brauchte ein wenig Abstand, um zu erkennen, wo ich am sinnvollsten zum Thema Urheberrecht weiterarbeiten kann. Mit den relevantesten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern bin ich ohnehin schon ausreichend vernetzt und tausche mich aus. Mir ist auch bewusst, dass gewisse Kreise – wie zum Beispiel die Gema – mich nie als objektive Autorität auf diesem Gebiet sehen werden, da hilft auch kein Doktortitel. Ich will deshalb jetzt die Umsetzung der EU-Urheberrechtsrichtlinie begleiten, um die positiven Aspekte zu retten und die negativen auszubremsen. Meine größte Sorge sind die grundrechtlichen Probleme, die durch Uploadfilter entstehen.

Wie wollen Sie dabei vorgehen?
Ich habe mich der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) in Berlin angeschlossen, wo wir strategische Klagen zu grundrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit dem Urheber- und dem Medienrecht führen werden. Die Idee kam natürlich durch Artikel 17 der Reform und die Gefahren für die Meinungs- und Informationsfreiheit. Ich kann mir aber beispielsweise auch Prozesse vorstellen, bei denen es um die Wissenschaftsfreiheit oder die Situation der Bibliotheken geht, etwa um die Open-Access-Thematik. Zum Beispiel haben Autorinnen und Autoren von wissenschaftlichen Artikeln in Deutschland ein Zweitveröffentlichungsrecht. Praktisch durchgesetzt wird dieses komplizierte Recht zu selten. Und der wissenschaftliche Dialog zu Covid-19 oder dem Klimawandel kann nicht funktionieren, wenn man sich über öffentlich geförderte Forschung nicht frei austauschen kann. Zum Beispiel sind 80 Prozent aller Studien zu Beatmungsgeräten nicht öffentlich zugänglich.

Treten in der aktuellen Situation im Zusammenhang mit der Coronakrise denn urheberrechtliche Probleme auf?
Manches, was wir in der Krise beobachten, wird durch die neue Richtlinie besser. Zum Beispiel konnten Kanadische Forscher bereits im Januar die Ausbreitung des Virus mithilfe von Big-Data-Analysen von Presseartikeln nachverfolgen. Mit der Urheberrechtsrichtlinie werden auch im deutschen Urheberrecht die Möglichkeiten für solches Text- und Data-Mining ausgeweitet.

Die Krise offenbart aber auch die Versäumnisse, die der europäische Gesetzgeber in der Reform nicht geklärt hat. In Zeiten von Online-Lehre und Online-Lernen können öffentliche Bibliotheken häufig keine Vorleseangebote per Stream anbieten und wissenschaftliche Bibliotheken ihre analogen Bestände nur in sehr geringem Umfang digital verleihen oder nach Hause schicken. Ich hatte auch einen Austausch mit einem Lehrer in Saarbrücken, der Schülerinnen und Schüler auf unterschiedlichen Seiten der Grenze unterrichten soll, aber Probleme mit dem Geoblocking von Online-Inhalten bekommt. Deshalb braucht es Unterstützungsangebote und eine praxisorientierte Auslegung der Regeln, um durch die aktuelle Notsituation zu kommen.

Zurück zu Ihren Plänen. Warum braucht es diese Art von juristischen Auseinandersetzungen grundsätzlich?

Tatsächlich gibt es in diesem Bereich sehr wenige, die versuchen, grundrechtliche Fragen im Urheberrecht gerichtlich zu klären. Vorbild war sicherlich der österreichische Aktivist Max Schrems, der etwas Ähnliches zur Datenschutzgrundverordnung macht und dabei großen Erfolg hat. Ich wollte jedoch das Rad nicht neu erfinden und wie er eine neue NGO gründen, da es in Deutschland schon die Gesellschaft für Freiheitsrechte gibt, die solche Klagen für Grundrechtsfragen aller Art führt. Deshalb haben wir uns für das Projekt „control ©“ zusammengetan, um Grundrechte im Spannungsfeld zwischen Urheberrecht und Kommunikationsfreiheit durchzusetzen.

Sie sind selbst allerdings keine Juristin.

Das stimmt, deswegen werde ich mich als Projektleiterin des neu geschaffenen Themenfelds besonders auf die Bereiche Kommunikation, Vernetzung und Strategie konzentrieren.

Ich schätze sehr an juristischen Auseinandersetzungen, dass es dort mehr um die Details und Fakten geht. Diese Art der Argumentation ist mir näher als oberflächliche Diskussionen und mediale Attacken, wie ich sie in der Politik erlebt habe. Gewisse Leute sind dort einfach resistent gegen die Beratung aus der Wissenschaft.

Sie sind nicht nur gut mit Wissenschaftlern vernetzt, sondern haben auch eine große Followerschaft im Netz. Wie soll die nun zum Einsatz kommen?

Natürlich hoffe ich, dass einige der hunderttausend Menschen, die im vergangenen Jahr mit mir zusammen auf die Straße gegangen sind, um gegen die Uploadfilter zu protestieren, auch meine Arbeit bei der GFF unterstützen werden. Die GFF ist ja ein Verein, der sich in erster Linie durch Fördermitgliedsbeiträge und Spenden finanziert.

Unser Erfolg mit den Grundrechte-Klagen wird außerdem davon abhängen, ob wir die richtigen Fälle und Betroffenen finden. Ich habe deshalb einen Aufruf an die Content-Creator-Szene auf Youtube und Co. gestartet, damit sie mir von unrechtmäßigen Sperrungen ihrer Inhalte wegen angeblicher Urheberrechtsverletzungen berichten. Das typische Beispiel ist, wenn jemand ein klassisches Musikstück selbst performt, der Algorithmus aber eine Copyright-Verletzung zum Beispiel von Sony Music wittert. Mit der Umsetzung der Urheberrechtsreform drohen solche Fälle viel häufiger zu werden, deshalb richte ich mich mit meinem Aufruf an alle, die auf diesen Plattformen kreativ tätig sind. Es ist wichtig, das genau jetzt zu tun, bevor die Richtlinie umgesetzt wird, um von Tag eins nach Umsetzung handlungsfähig zu sein und etwaige Klagen einreichen zu können.

Die Influencer werden also wie bei dem Urheberrechtsstreit im vergangenen Jahr eine entscheidende Rolle spielen?

Es ist deutlich geworden in der Diskussion, dass es eine große Gruppe von erfolgreichen Urheberrinnen und Urhebern gibt, die sich von klassischen Institutionen wie Verwertungsgesellschaften überhaupt nicht vertreten fühlen. Das kann daran liegen, dass Influencer noch ein neues Phänomen sind. Ich hoffe sehr, dass die sich mittelfristig selbst organisieren, denn sie sind letztendlich auch Kreative. Und wenn die Gesetzgebung für eine relevante Gruppe von Betroffenen nicht funktioniert, läuft irgendetwas falsch.

Warum ist Ihr Vertrauen eigentlich so gering, dass die Umsetzung der Urheberrechtsrichtlinie in Deutschland nicht ohne Uploadfilter möglich ist? Das ist laut der Protokollerklärung der Bundesregierung das Ziel.

Es kann sein, dass sich die Bundesregierung daran gebunden fühlt und die neue SPD-Führung beziehungsweise Saskia Esken darauf pochen wird, da sie zu den schärfsten Kritikerinnen von Uploadfiltern in der SPD zählt. Es besteht aber auch die Gefahr, dass die Bundesregierung ihr Versprechen vergisst, wenn die öffentliche Aufmerksamkeit nicht mehr so hoch ist wie unmittelbar vor der Abstimmung im vergangenen Jahr.

Eigentlich ist eine richtlinienkonforme Umsetzung von Artikel 17 ohne Uploadfilter praktisch kaum möglich. Der Artikel 17 ist in sich widersprüchlich, indem er einerseits die Ausnutzung aller technischen Mittel fordert, um gegen Urheberrechtsverletzungen auf Plattformen vorzugehen, aber andererseits die Löschung von legalen Inhalten verbietet. Diesen Spagat schafft kein Uploadfilter. Im Klartext bedeutet das, dass auch eine Umsetzung mit Uploadfiltern höchstwahrscheinlich gegen die Vorgaben der Richtlinie verstoßen wird, von den Grundrechten ganz zu schweigen. Deshalb wird eine gerichtliche Klärung früher oder später wohl unumgänglich. 

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