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Atomkraftwerk Gundremmingen: EU-Mitgliedsländer sollen auch künftig alleine über ihren Pfad in eine emissionsfreie Zukunft entscheiden.

© dpa

EU-Taxonomie-Vorschlag am Freitag erwartet: Eine Empfehlung an die Finanzmärkte, in Atomkraft zu investieren

Die EU will im Kampf gegen den Klimawandel wohl auf Kernenergie setzen. Der Vorschlag, der morgen vorgelegt werden könnte, entsetzt Umweltschützer.

Die EU-Kommission stuft Atomkraft und Gas wohl als „nachhaltige“ Energiequellen ein. Am Freitag soll nach Informationen aus dem Europaparlament die sogenannte Taxonomie veröffentlicht werden. Wie der grüne Europaabgeordnete Michael Bloss sagte, soll trotz ungeklärter Endlager- und Sicherheitsfragen die Kernenergie in diesem Kriterienkatalog für „grüne“ Investitionen enthalten sein. Das stößt nicht nur bei Umweltschützern auf völliges Unverständnis.

Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken sprach sich strikt dagegen aus, die Atomkraft als „grüne“ Energie einzustufen. Sie habe bereits in jungen Jahren gegen die Atomenergie demonstriert, sagte Esken den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Schon damals erschien mir die Nutzung ein Irrsinn, nicht zuletzt solange das Problem der Endlagerung der radioaktiven Abfälle nicht gelöst ist, und das ist es bis heute nicht.“ Esken zeigte sich zugleich überzeugt, dass Deutschland „als Industrienation die besondere Herausforderung meistern“ werde, nach dem Atomausstieg nun auch aus der Kohleverstromung auszusteigen. „Dazu werden wir die Energieerzeugung aus Erneuerbaren Quellen massiv ausbauen“, kündigte die SPD-Parteichefin an. Dies sei eine der wichtigsten Aufgaben der Ampel-Regierung.

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Für Kritik hatten Äußerungen von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gesorgt. Der hatte auf dem EU-Gipfel vor einigen Tagen versucht, die Situation zu beschwichtigen. Der Kommissionsvorschlag sollte „nicht überschätzt werden“, sagte er und nannte die Taxonomie „ein kleines Thema in einer ganz großen Frage“. Aber auch Scholz betonte, dass in Deutschland 2022 das letzte Atomkraftwerk abgeschaltet werde.

Merz: „Nicht nur am deutschen Weg orientieren“

Auch der designierte CDU-Vorsitzende Friedrich Merz hat sich in der Debatte um die EU-weite Einstufung von Atomstrom als „nachhaltig“ geäußert. Er zeigte Verständnis für die vor allem von Frankreich vertretene Position. „Atomstrom erzeugt kein CO2, und allein deshalb ist Frankreich in der CO2-Vermeidung so viel weiter als wir“, sagte Merz dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Die EU-Kommission werde sich „nicht nur am deutschen Weg orientieren“, mahnte er.

Michael Bloss ist das viel zu wenig. Der Europaparlamentarier der Grünen gehört zu den vehementen Kritikern einer Aufnahme der Atomkraft als „grüne“ Energieform. Doch die Zeit drängt. Nach seinen Informationen wird die EU-Kommission den Vorschlag für die Taxonomie am 31. Dezember veröffentlichen, spätestens Mitte Januar soll er dann dem Parlament als Rechtsakt präsentiert werden. „Wenn die EU-Kommission ihren Vorschlag erst einmal vorgelegt hat, bräuchte es unter den EU-Mitgliedsstaaten eine sogenannte qualifizierte Mehrheit, um das Vorhaben noch zu stoppen“, erklärt Bloss und macht wenig Hoffnungen, dass das gelingen könnte. „Das ist praktisch aussichtslos.“

„Greenwashing-Skandal auf Kosten des Klimaschutzes“

Doch er will den Kampf nicht aufgeben und hat in diesen Tagen eine Petition im Internet gestartet. Denn nach seinen Worten „droht ein Greenwashing-Skandal auf Kosten des Klimaschutzes“. Bis Donnerstagnachmittag haben deutlich über 80.000 Menschen unterschrieben. Er kritisiert, dass Atom und Gas auf eine Stufe mit Wind- und Sonnenenergie gestellt und eine Art Öko-Siegel bekommen würden. Das sei Augenwischerei für jene Menschen, die in wirklich grüne Energie investieren wollen. „Wo nachhaltig draufsteht, muss auch nachhaltig drin sein, sonst verliert das gesamte Regelwerk seine Glaubwürdigkeit“, sagt Michael Bloss. Nicht nur in Kreisen der Umweltschützer gilt Kernenergie aufgrund der hohen Sicherheitsrisiken und des ungelösten Abfallproblems als problematische Energiequelle.

Doch die Front der Atom-Befürworter ist fest geschlossen. An deren Spitze steht Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Der hält die Kernkraft für unerlässlich, damit Frankreich und die EU wie geplant bis 2050 klimaneutral werden können. Macron hat die Atomenergie vor der Präsidentschaftswahl im April neu entdeckt: Kürzlich hat er eine Milliarde Euro für ihren Ausbau angekündigt. Schon jetzt bezieht die Atommacht Frankreich rund 70 Prozent ihres Stroms aus Kernkraftwerken, das ist der höchste Anteil weltweit.

In Berlin dürfte der Streit um die Taxonomie noch für einige Reibereien sorgen. Während Kanzler Scholz in der Einordnung der Kernenergie als nachhaltige Energieform offensichtlich keine größeren Probleme sieht, warnt Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) in scharfen Worten vor einer Renaissance der Atomkraft in Europa. „Atomkraftwerke sind und bleiben Hochrisikoanlagen, die hochradioaktiven Atommüll verursachen“, erklärte sie, um dann zu versichern, dass der Atomausstieg Deutschlands nicht zur Disposition stehe. Der sei in einem parteiübergreifenden Konsens beschlossen worden und mache Deutschland sicherer, sagte Lemke. Diesen Satz kann allerdings auch der neue SPD-Kanzler Scholz in dieser Form unterschreiben.

Knut Krohn

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