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Wer den Strom-Monopolen Vorschriften machen darf. Ein positives Urteil würde eine deutliche Veränderung in Deutschland bringen.

© Andreas Lander/dpa

EU beanstandet Einmischung des Bundes: Muss der deutsche Energiemarkt komplett neu reguliert werden?

Bei der Energiemarktregulierung reden Bundestag und Regierung der Bundesnetzagentur zu viel rein, findet die Kommission – und klagt vor dem EuGH.

Von Jakob Schlandt

Der erste Paukenschlag war die Klageeinreichung der Europäischen Kommission Mitte 2018. Der zweite erfolgte am Donnerstag mit der Veröffentlichung des Schlussantrags des Generalanwalts des Europäischen Gerichtshofs (EuGH): Er schloss sich im Wesentlichen der Kommission an und hält die derzeitige deutsche Energiemarktregulierung für europarechtswidrig. Der dritte Paukenschlag könnte Mitte des Jahres folgen, für diesen Zeitraum wird das Urteil des Gerichts erwartet.

Es geht dabei um eine ganz grundsätzliche Frage: Darf die Politik, dürfen Bundestag und Bundesregierung einer Behörde, die wichtige Regeln aufstellt, dauernd reinreden und die Regeln im Detail bestimmen? So lautet verkürzt nämlich das traditionelle deutsche Modell.

Die Kommission ist der Ansicht: Das geht so nicht, zumindest im Falle der Bonner Bundesnetzagentur (BNetzA), die dem Wirtschaftsministerium untersteht und die Energiemärkte überwacht. Unter anderem kümmert sie sich zum Beispiel darum, wie viel die Stromnetz-Monopole von den Verbrauchern kassieren dürfen, es geht um hohe Milliardenbeträge.

Das deutsche Modell, so der konkrete Vorwurf, verstößt nach Ansicht der Kommission gegen das dritte Energiemarktpaket von 2009. Dort ist unter anderem festgelegt, dass die Regulierungsbehörde „unabhängig von jeglichen staatlichen oder wirtschaftlichen Interessen“ arbeiten müsse. Der deutsche Gesetzgeber habe die Bestimmungen „nicht ordnungsgemäß umgesetzt“.

Das System könnte damit beerdigt sein

Der Energierechtsexperte Joachim Held von der Kanzlei Rödl & Partner sagte auf Anfrage, in dem Konflikt bahne sich, „wenn das Gericht dem Generalanwalt folgt, womit tendenziell zu rechnen ist, ein Sieg der Kommission auf ganzer Linie an“. Die Auswirkungen wären gravierend. Thorsten Müller, Wissenschaftlicher Leiter der Stiftung Umweltenergierecht, sagte auf Anfrage: „Ergeht das Urteil in diesem Sinne, dann ist damit das Modell der politischen Festlegung mit anschließend durchführender Behörde für wichtige Teile der deutschen Energiemarktregulierung beerdigt.“

Ein entsprechendes Urteil hieße laut Müller: „Wir bekommen in Deutschland ein völlig neues regulatorisches Spielfeld, auf dem nicht Parlament und Ministerium in Berlin, sondern die BNetzA selbst weite Teile der Spielregeln festlegt.“ Das könnte drastische Folgen haben: „Die Aufteilung der Bundesnetzagentur ist aus meiner Sicht strukturell nach einem Urteil im Sinne des Generalanwalts eine fast zwingende Folge“, führte Müller aus.

Es müsse dann wohl einen Teil geben, der den Verwaltungsvollzug organisiert, etwa beim Netzausbau mit der Bestimmung von Stromtrassen. „Und einen zweiten Teil, der unabhängig und anders organisiert als Regulierungsbehörde anstelle der Politik die notwendigen Festlegungen trifft.“

Abstimmungsbedarf in der Energiebranche

Rechtsexperte Held von Rödl & Partner sieht auch Personalkonsequenzen kommen. „Das Verfahren wurde nicht über Fragen der personellen Unabhängigkeit deutscher Regulierungsbehörden geführt. Hier ist aber ebenfalls klar, dass ein dem Generalanwalt folgendes Urteil Konsequenzen hätte“, sagte er. Der zu beobachtende rege Wechsel zwischen Ministerien und Bundes- beziehungsweise Landesregulierungsbehörden und die bestehenden ministerialen Weisungsrechte würden in der Rechtswissenschaft seit langem kritisiert.

In der Energiebranche herrscht nun Alarmstimmung. „Die Schlussanträge des Generalsanwalts stellen das deutsche Rechtssystem der normierenden Regulierung infrage“, hieß es in einer Mitteilung des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft.

Das Bundeswirtschaftsministerium will nun erst einmal abwarten, ob es so schlimm kommt wie die Einlassungen des Generalanwalts befürchten lassen. „Mit dem Urteil des EuGH ist etwa Mitte des Jahres zu rechnen. Da es sich um ein laufendes Verfahren handelt, äußern wir uns nicht zu Details.“ Dörte Fouquet, Brüsseler Expertin der Energierechtskanzlei BBH, schätzt die Erfolgsaussichten für die Bundesregierung nicht besonders hoch ein. „Die EU-Kommission hat in Schlüsselbereichen der deutschen Verwaltung eine recht strenge Auffassung zur Unabhängigkeit der deutschen Strukturen im Rahmen von Entscheidungs- und Regulierungsfunktionen entwickelt.“ Das deutsche Modell, bei dem Regulierungsbehörden eng geführt werden, könnte also noch an vielen Stellen unter Druck geraten.

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