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Kristalina Georgiewa bei ihrer ersten Rede als IWF-Chefin.

© AFP

Erster Auftritt der neuen IWF-Chefin: „Lieber drei Stunden zu früh, als eine Minute zu spät“

Die neue IWF-Chefin Kristalina Georgiewa fürchtet eine neue Krise. Sie hat konkrete Forderungen – auch an Deutschland.

Von Carla Neuhaus

Kristalina Georgiewa hat keine Zeit zu verlieren. „Ich krempele jetzt die Ärmel hoch und lege los“, sagte sie, als sie vor gut einer Woche ihren neuen Job antrat. Nur kurz ließ sie sich von den Kameras aufhalten, die vor dem Hauptsitz des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington auf sie warteten, ihrem neuen Arbeitsplatz. Dann deutete Georgiewa auf einen Stapel Akten und meinte: „Es ist viel zu tun.“ Als neue Präsidentin des Internationalen Währungsfonds (IWF) hat die gebürtige Bulgarin den wichtigsten Posten in einer der wichtigsten Institutionen der Welt übernommen. Der IWF versucht, die Lebensbedingungen der Menschen weltweit zu verbessern. Er hat die Finanzstabilität im Blick. Und er unterstützt Länder mit Krediten, wenn sie – wie zuletzt Argentinien – in Zahlungsschwierigkeiten geraten.

Georgiewa ist nach Christine Lagarde, die als Präsidentin zur Europäischen Zentralbank (EZB) wechselt, die zweite Frau an der Spitze des IWF. Und sie ist die erste Vertreterin eines Schwellenlandes in dieser Position. Auf ihren Aufstieg ist Georgiewa stolz. Bei Twitter hat sie ein Schwarz-Weiß-Bild ihrer Familie geteilt und dazu geschrieben: „Meine Großeltern hatten sehr wenig Bildung. Ich war die erste in der Familie, die einen Doktortitel bekam.“ Aufgewachsen ist sie in einem Dorf in Bulgarien, als in dem Land noch der Kommunismus herrschte, man sich morgens früh in die Schlange stellen musste, um eine Flasche Milch zu ergattern. Trotzdem gelang Georgiewa der Aufstieg. Nach ihrem Studium an der damals noch nach Karl Marx benannten Universität in Sofia führten Lehraufträge sie nach Yale, Harvard und London.

Als Vizepräsidentin der EU-Kommission war sie von 2014 bis 2016 für Haushalt und Personal zuständig – bis heute rühmt sich Georgiewa die einzige in dieser Position zu sein, der es bislang gelungen sei, einen EU-Haushalt bereits eine Woche vor Ablauf der Deadline zu verabschieden. Zuletzt arbeitete sie bei der Weltbank, die sie Anfang des Jahres übergangsweise leitete. Mehrmals war sie in der Vergangenheit für internationale Spitzenposten im Gespräch, etwa auch als Generalsekretärin der Vereinten Nationen, als man 2016 einen Nachfolger für Ban Ki-Moon suchte. Damit sie IWF-Präsidentin werden konnte, haben die  Mitgliedsstaaten extra die Altersgrenze für den Posten hochgesetzt: Denn die hat Georgiewa mit 66 bereits überschritten.

Für 90 Prozent der Welt erwartet der IWF weniger Wachstum

Dass sie keine Zeit verliert, beweist sie am Dienstag auch bei ihrer ersten offiziellen Rede als IWF-Präsidentin. Gleich mehrere unangenehme Themen spricht sie dabei an, wie die Lage der Weltwirtschaft und die Handelspolitik von US-Präsident Donald Trump. Für 90 Prozent der Welt erwartet der IWF inzwischen in diesem Jahr ein geringeres Wachstum. Weltweit dürfte es 2019 so niedrig ausfallen, wie seit zehn Jahren nicht mehr. Als einen Grund benennt Georgiewa den Handelskonflikt, den sich die USA mit China und der EU liefern.

„Das Wachstum des globalen Handels ist nahezu zum Stillstand gekommen“, sagt sie. „Wir brauchen eine dauerhafte Lösung für den Handel.“ Auch wenn sie den US-Präsidenten mit keinem Wort erwähnt, ist klar, an wen sie sich damit richtet. Um ihren Worten Nachdruck zu verleihen, wirft sie eine bunte Grafik an die Wand. Sie zeigt, wie sehr der Handelskrieg die Wirtschaft noch belasten wird. Wird er nicht beigelegt, könnte er die Welt 2020 bereits 70 Milliarden Dollar kosten, rechnet die Ökonomin vor. So viel erwirtschaftet die Schweiz in einem Jahr.

Die Staaten ruft Georgiewa deshalb zum Einlenken auf. Zumal der Handelskrieg nicht die einzige Herausforderung ist. Dazu kommen der Brexit und geopolitische Risiken. Deutschland zum Beispiel, sagt Georgiewa, müsse sehr viel mehr investieren, um die Wirtschaft zu stärken – „vor allem in Infrastruktur und Forschung und Entwicklung“. Noch stehe die Welt nicht vor der nächsten Finanzkrise. Doch man müsse sich wappnen. Georgiewa sagt, sie halte das wie Shakespeare: „Besser drei Stunden zu früh handeln statt eine Minute zu spät.“

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