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Erste Ratssitzung und Pressekonferenz mit der neuen Präsidentin Christine Lagarde

© REUTERS / Ralph Orlowski

Erster Auftritt der EZB-Präsidentin: Weder Falke noch Taube

Die erste Ratssitzung unter der Leitung von Christine Lagarde. Die Französin gibt sich selbstbewusst und kämpferisch.

Es dauert 16 Minuten bis Christine Lagarde vom üblichen Prozedere bei Pressekonferenzen im fünften Stock der Europäischen Zentralbank (EZB) abweicht. Die 63-Jährige hat wie ihre drei Vorgänger das Statement zur Sitzung des 25-köpfigen Rates vorgetragen, die sie als neue und erste Präsidentin gerade geleitet hat. Lagarde wirkt ein wenig angespannt, vielleicht auch aufgeregt, aber je länger sie auf dem Podium zwischen Vize-Präsident Luis de Guindos und ihrer Sprecherin Christine Graeff spricht, desto souveräner agiert sie.

„So“,sagt die groß gewachsene Französin,nachdem sie das Geklicke der Fotoapparate von mehr als einem Dutzend Fotografen zwei Minuten lang hat über sich ergehen lassen. Schwarzer Hosenanzug, weiße Bluse und wie immer mit einem schicken Schal locker um den Hals geschwungen ist sie in den Presse-Saal gekommen. Gut 60 Journalistinnen und Journalisten warten gespannt, doppelt so viele wie sonst bei Pressekonferenzen der Notenbank. Sie wollen „Madame President“ live und nicht nur im Internet erleben, einen ersten Eindruck der nach EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mächtigsten Frau in Europa gewinnen.

Zinsen bleiben im Keller

„Jeder Präsident hat seinen eigenen Stil zu kommunizieren“, sagt Lagard wie immer in perfektem Englisch, nachdem sie das Statement verlesen hat. Es legt dar, dass der Leitzins bei null und der Einlagezins für Banken bei minus 0,5 Prozent bleibt. Auch an den monatlichen Anleihekäufe für 20 Milliarden Euro ändert sich nichts. Das bestätigt, dass die EZB an ihrer großzügigen Geldpolitik festhalten wird, solange bis sich die Inflationsrate an die gewünschte Marke von knapp zwei Prozent annähert. Bis 2022 wird das nicht der Fall sein. Bis dahin erwarten die EZB und Lagarde einen Anstieg auf nur 1,6 Prozent.

Sie werde ihren eigenen Stil finden, sagt sie. Und nicht jede Äußerungen solle man bitte überinterpretieren. „Ich werde ich selbst sein“, lächelt Lagarde. „Soll ich Ihnen erst einmal die Gründe für einer Überprüfung unserer Strategie erläutern“, fragt sie in die Runde bevor sie Fragen beantwortet. Eine solche Lockerheit hatte es in der EZB vielleicht unter dem ersten beiden Präsidenten Wim Duisenberg und Jean-Claude Trichet gegeben. Aber nicht unter dem eher steifen Mario Draghi.

Ein bisschen Revolution

In wenigen Worten macht Lagarde klar, dass sie die EZB anders führen wird. Nach 16 Jahren sei es an der Zeit, die Strategie zu überprüfen. Und die Effektivität der einzelnen geldpolitischen Instrumente. Das soll nicht im Elfenbeinturm der Notenbank passieren. „Ich will dabei das Europa-Parlament konsultieren genauso wie Wissenschaftler“, sagt die 63-Jährige. „Und Vertreter der Zivilgesellschaft. Wir hören die an, die unsere Politik betrifft.“ Sie nennt zentrale Elemente der Strategie-Analyse. Die „große“ Herausforderung des Klimawandels und - was so von ihr bislang nicht zu vernehmen war - die „zunehmende Ungleichheit in unseren Gesellschaften“. Lagarde betont, wie erfreut sie über den am Vortag „von meiner Freundin Ursula von der Leyen“ verkündeten Green Deal sei. Auch deshalb werde man die Auswirkungen und die Reaktion der EZB auf den Klimawandel analysieren. Solche Worte, Ideen und Ansätze gleichen fast einer Revolution für die weltweit zweitwichtigste Zentralbank.

Die Nebenwirkungen der Geldpolitik

Lagarde räumt ein, dass sie nach rund sechs Wochen im Amt noch in der Lernphase steckt. Sie wisse nicht alles, kenne nicht alle Abkürzungen. „Ich sage Ihnen, wenn ich etwas nicht weiß“. Und trotzdem antwortet sie auf die zahlreichen Fragen souverän, wenn auch politischer gefärbt als ihre Vorgänger. Sie profitiert von ihren langjährigen Erfahrungen als französische Finanzminister und als Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF). Und sie wird von Minute zu Minute entspannter. „Welcome to Frankfurt“ beginnt ein Kollege seine Frage. „Dankeschön“, entgegnet Lagarde lächelnd.

Und dann auch wieder ernst zu werden. „Wir sind uns der Nebenwirkungen unserer Geldpolitik bewusst. Wir würden unseren Job nicht richtig machen, wenn wir nicht darauf achten würden.“ Sie weiß um die Kritik von Banken und Sparkassen, um die Sorgen deutscher Sparer. 

Diskussion erwünscht

Lagarde weiß auch um die schlechte Stimmung im EZB-Rat in den letzten Monaten unter der Regie ihres Vorgängers und die öffentliche geäußerte deutliche Kritik einzelner Ratsmitglieder. Aber sie schaue nicht zurück auf vergangene Entscheidungen. Und sie positioniert sich. „Ich bin kein Falke und keine Taube“, sagt sie. Also weder eine Vertreterin einer harten noch einer lockeren Geldpolitik. „Ich werde versuchen, das Beste aus dem Rat herauszuholen“, betont sie. Dazu gehören für sie Debatten, schließlich werde man nicht in allen Punkten übereinstimmen. „Aber am Schluss muss eine Entscheidung stehen. Und das ist dann die Position der EZB“.

Mehr Moderatorin als Gestalterin

Volkswirte kommentieren den Auftritt der neuen Präsidentin eher trocken und sachlich. Sie werde erst einmal an der großzügigen Geldpolitik ihres Vorgängers festhalten. Sie sei eher Moderatorin als Gestalterin, sagt Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Deka-Bank, eher enttäuscht. Erst mal „Weiter so“ heiße es in der EZB, betont auch Kollege Jan Holthusen von der DZ Bank. Uwe Burkert von Landesbank Baden-Württemberg bemerkt dagegen eine neue Art des Stils in der Notenbank. Nach der Strategie-Überprüfung werde die EZB nicht mehr dieselbe sein.

"Frohe Weihnachten"

45 Minuten antwortet die 63jährige ausführlich, kenntnisreich, aber zugleich auch noch als Lernende. Über den letzten Fragesteller ist sie erstaunt, weil er nur eine Frage stellt. Zugelassen sind üblicherweise zwei. „Voila“, sagt „Madame“ Präsident pünktlich um 15.30 Uhr, dem üblichen Zeitpunkt an dem EZB-Pressekonferenzen enden. „Wann sehen wir uns wieder?“ blickt sie fragend zu ihrer Kommunikationschefin. Den Zeitplan der EZB hat sie noch nicht im Griff. Im nächsten Jahr erst, am 23. Januar. „Dann Frohe Weihnachten und schöne Ferien, sagt Lagarde. "Und machen sie andere Menschen glücklich." 

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